Seite:Die Gartenlaube (1863) 099.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

den Menschen. Er war todt. Zwei Kugeln hatten ihn getödtet; der Hirnschädel war ihm zerschmettert; aus einer Wunde mitten auf der Brust quoll das Blut. Das Blut floß noch, und die Leiche war noch warm. Man erkannte den Getödteten. Es war der Graf Hochhausen, Lieutenant des in der benachbarten Stadt garnisonirenden Kürassierregiments. Alle kannten ihn, obgleich das Gesicht durch den Schuß entstellt war. Der Graf kam oft, fast täglich zum Schlosse, denn er war Freund des Hauses, der intimste Freund des Freiherrn. Und wie er in der Nacht hierher gekommen war? Warum er als Leiche dalag? Warum der Freiherr, sein bester Freund, ihn erschossen hatte? Denn ihren Herrn hatten sie erkannt, Alle, und sie hatten sein leichenblasses Gesicht, seine drohenden, wilden Blicke, seinen blutigen Mantel, seine blutigen Hände gesehen. Wer anders, als er, konnte den Grafen getödtet haben? Es sollte ihnen auch das Warum unzweifelhaft werden. Die Leiche lag dicht am Hause, unmittelbar unter den Fenstern des Gemachs der Freifrau. Das Zimmer war im ersten Stock, und an der Mauer des Hauses führte bis zu jenen Fenstern hinauf ein Birnenspalier. Die Untersuchung des Spaliers ergab, daß mehrere Zweige zertreten waren; an anderen klebte frisches Blut; mit frischem Blute war die Mauer des Hauses bespritzt. Der Graf hatte sich auf dem Spaliere befunden, als ihn der erste Schuß getroffen hatte. Er war im Heruntersteigen begriffen gewesen, als ihn der Schuß traf, denn die Zweige des Baumes waren hoch über den Blutspuren zertreten. Der erste Schuß mußte die Brust getroffen haben, da der Getroffene noch hatte laut um Hülfe rufen können. Dem Niedergefallenen hatte der Mörder dann am Boden den Hirnschädel zerschmettert. Und das Weitere? Wie der Graf auf das Spalier gekommen? Warum der Freiherr ihn erschossen, dem tödtlich Getroffenen noch gar in wilder Rache oder Mordlust das Gehirn zerschmettert hatte? Das Spalier selbst, unmittelbar unter den Fenstern der Freifrau; der Angstschrei einer Frau, den man während des Mordes vernommen hatte; die früheren täglichen Besuche des Grafen im Schlosse, auch wenn der Freiherr nicht da war; die Schönheit und Lebhaftigkeit der jungen Frau; das kecke und feurige Wesen des schönen jungen Officiers: das Alles gab eine Antwort, der nicht zu widersprechen war.

Ein anderer Umstand sprach nicht minder klar: die Freifrau gab bei alle dem Lärm, der unmittelbar unter ihren Fenstern stattfand, bei allem Tumulte, der das ganze Schloß erfüllte, kein einziges Lebenszeichen von sich; man sah, man hörte nichts von ihr. Man begab sich zu ihrem Zimmer und fand es verschlossen. Man rief ihr durch die verschlossene Thür zu, daß unmittelbar beim Schlosse ein Mord verübt, daß der Ermordete der Graf Hochhausen sei. Sie kam nicht aus ihrem Zimmer hervor und sie öffnete die Thüre nicht; sie erklärte, daß sie unwohl sei, und befahl, man solle zu einem Arzte schicken, aber sie in der Nacht nicht mehr stören. So konnte nur eine Schuldbewußte handeln, die zugleich ein Zeugniß für die Schuld ihres Gatten ablegte. Daß sie am andern Morgen gefaßt war, konnte nicht als Widerlegung dienen. Den entstandenen Verdacht hatte die sofort eingeleitete Untersuchung zur Gewißheit erhoben. Der Angeklagte hatte zwar fortwährend hartnäckig geleugnet, er wollte zur Zeit der That gar nicht im Schlosse oder in dessen Garten oder Nähe gewesen, vielmehr erst mit dem Nachtzuge von H. zurückgereist und erst des Morgens um fünf Uhr auf der Eisenbahnstation Wiekel angelangt und, nachdem er gefrühstückt, gegen sechs Uhr von da fortgeritten und gegen sieben Uhr im Schlosse wieder eingetroffen sein. Von einer Untreue seiner Frau, von irgend einem Verhältnisse derselben zu dem Grafen Hochhausen, von einem Verrathe des Freundes, den er stets nur als erprobt erkannt, wollte er nichts wissen; jeden Verdacht, jede Anklage in dieser Beziehung hatte er entschieden und entrüstet zurückgewiesen.

Das Ergebniß der Voruntersuchung war indeß vollständig gegen ihn. Die Angaben des Angeklagten über seine Rückreise von H. hatten in keiner Weise bestätigt werden können. Nur daß er am Morgen um sieben Uhr zum Schlosse zurückgekehrt war, stand fest. Das widersprach aber nicht, daß er auch in der Nacht dagewesen war. Um ein Uhr in der Nacht waren die Schüsse gefallen. Dagegen war die gesammte Dienerschaft des Schlosses dabei verblieben, daß sie in der Nacht den Angeklagten auf das Bestimmteste erkannt hätten. Nur Zwei von den Leuten hatten es bei ihrer ersten gerichtlichen Vernehmung abstreiten wollen: der alte Kammerdiener des Freiherrn, mehr sein Vertrauter, als Bedienter, und der Nachtwächter des Schlosses. Allein auch sie waren zu der Wahrheit zurückgekehrt, als man ihnen einen Eid abforderte. Sie hatten Beide eingeräumt, den Freiherrn ebenfalls in der Nacht erkannt zu haben. Dabei hatten sie dann ferner die wichtigsten Umstände angeben müssen; der alte Kammerdiener, daß er seinem Herrn schon früher Verdacht der Untreue der Freifrau mitgetheilt habe; der Nachtwächter, daß der Freiherr in der Nacht des Mordes mit ihm gesprochen und ihm sogar einen Befehl an die Freifrau ertheilt habe.

Die Freifrau selbst hatte eben so entschieden, wie der Angeklagte, jeden Verdacht und jede Beschuldigung gegen sich und ihren Gatten in Abrede gestellt. Sie hatte indeß, nach den Gesetzen, nur als Auskunftszeugin vernommen und mit dem Zeugeneide nicht belegt werden können. Nach dem Gesetze war sie auch nicht als Zeugin zu der öffentlichen Verhandlung vorzuladen gewesen. Die sämmtlichen übrigen Zeugen waren vorgeladen, unter ihnen zwei Cameraden des Ermordeten, die bekunden würden, daß dieser allerdings in einem vertrauten Verhältnisse zu der Freifrau gestanden habe.

„Die vorgeladenen Zeugen,“ schloß die Anklageschrift, „werden die Thatsachen der Anklage in allen Punkten bewahrheiten. Es wird sich dadurch eine Tödtung mit Vorbedacht, selbst mit einem hinterlistigen, meuchlerischen Auflauern, herausstellen. Die Anklage auf Mord ist danach begründet.“

Sie war begründet, wenn die Anklageschrift nicht übertrieb.

Ich bemerkte das einem der Bekannten aus dem Gasthofe. „Die Anklageschriften unserer Staatsanwälte,“ setzte ich hinzu, „pflegen zuweilen ein Geschäft aus dem Uebertreiben zu machen, sie gleichen gehässigen, oft geradezu verleumderischen Schmähschriften.“

„Sehen Sie dieses ordinäre Metier unserem Staatsanwalte an?“ fragte mich der Bekannte.

Er hatte Recht. Das kluge, klare, ruhige Gesicht des Staatsanwalts sah nicht danach aus. Es war auch während der Vorlesung der Anklageacte ruhig und unbeweglich geblieben. Aber auch nur so hatte man den Angeklagten und seinen Vertheidiger gesehen. Kein Zug in ihren Gesichtern hatte sich verändert. Der Angeklagte zeigte die volle Ruhe eines guten Gewissens, der Vertheidiger die der Gewißheit des Sieges. War das eine Maske, so hatten Beide sie mit Geschick gewählt und festgehalten.

Der Präsident fragte, wie es das Gesetz vorschrieb, den Angeklagten, ob er sich schuldig bekenne.

„Nein,“ war die ruhige, feste Antwort.

Der Präsident wollte das gesetzliche Verhör mit dem Angeklagten beginnen. Da erhob sich der Vertheidiger. Man sollte die ersten Worte des berühmten Advocaten aus der Residenz hören. Man lauschte ihnen mit erwartungsvoller Spannung.

„Herr Präsident,“ sagte der Vertheidiger, „der Angeklagte protestirt gegen jedes Verhör mit ihm; er ist der Meinung, daß, nachdem er sich nichtschuldig erklärt hat, jede fernere Frage an ihn über seine Schuld eine Beleidigung seiner Ehre sei. Ich schließe mich seinem Proteste an.“

Er sprach nur die wenigen Worte. Sie hatten keinen bedeutenden Inhalt und wurden einfach, ohne besondere Accentuirung, fast tonlos gesprochen. Sie schienen dennoch im ganzen Saale eine ungewohnte Wirkung hervorzubringen. Weil der berühmte Advocat sie sprach? Oder weil sie etwas Neues sagten, was man hier noch nicht gehört hatte? Der Präsident hatte gestutzt, aber sich schnell wieder gefaßt.

„Das Gesetz schreibt das Verhör des Angeklagten vor,“ sagte er.

„Nicht, wenn der Angeklagte protestirt, Herr Präsident.“

„Das Gesetz kennt keinen solchen Protest. Er ist hier noch nie erhoben worden.“

„So geschieht dies heute hier zum ersten Male.“

„Das Gericht wird beschließen,“ erklärte der Präsident.

Er wollte sich mit den Richtern in das Berathungszimmer des Gerichts zurückziehen.

„Darf ich noch um wenige Worte bitten?“ kam der Vertheidiger zuvor.

„Es sei Ihnen gestattet.“

Der Präsident sagte es doch etwas gereizt. Der Vertheidiger war vollkommen ruhig und bescheiden geblieben. So fuhr er auch fort:

„Herr Präsident, das Gesetz gestattet Ihnen zwar das Verhör des Angeklagten, aber es stellt an die Spitze des ganzen Verfahrens

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 99. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_099.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)