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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

Mann, ein echter Prototyp des gesunden derben hessischen Bauernschlags, war sechszehn Jahre jünger als sein ihm so wohlgesinnter Landesherr und überlebte denselben 25 Jahre. Der Landgraf wurde 76, der Bauer 85 Jahre alt.

Hans Hooße’s gesunder Menschenverstand hatte manche gute Einsicht, zumal in die bäuerlichen Verhältnisse, und seine örtliche Stellung als wohlhabender Mann gab ihm vielfache Gelegenheit, diese Einsicht geltend und sich nützlich zu machen. Wegen dieser Verdienste und seines schlichten geraden Sinnes, seiner einfachen, aber tiefen Religiosität, seiner nie versiechenden Heiterkeit und eben so wenig ermüdenden Thätigkeit in seinem Dorfe und dessen Umgegend weithin geehrt und geachtet, durch seinen Wohlstand angesehen und einflußreich, mußte er die Augen des Landesherrn auf sich ziehen, der oft in dem nahen Ziegenhain bald allein, bald mit der fürstlichen Familie verweilte und nicht selten Leimbach zum Ziel seiner kleinen Ausflüge machte, oder das Dorf auf seinen großen Jagden besuchte. Dann pflegte er wohl in dem stattlichen Bauernhofe Hooße’s einzukehren und sich ein Stündchen mit dem freimüthigen, verständigen Bauersmanne zu unterhalten. Nachdem er aber eine unverkennbare Vorliebe für den redlichen, geraden und biederherzigen Landmann gefaßt, ließ er ihn auch von Zeit zu Zeit zu sich nach Ziegenhain und Kassel kommen, und es stellte sich ein eigenthümliches vertrautes Verhältniß zwischen dem gelehrten und leidenschaftlich unruhigen Fürsten und dem schlichten, ruhigen, besonnenen Bauer her, aus welchem der Erstere, zum Wohle seines Landes, mehr klare Einsicht in die Verhältnisse der arbeitenden Bevölkerung geschöpft haben soll, als aus allen grundgelehrten Auslassungen seiner Professoren zu Marburg und Rinteln. Hinsichtlich ihres heitern Temperaments paßten Fürst und Bauer trefflich zusammen; sie scherzten gern miteinander, und mehrere solcher meist drastischen und pikanten Scherze haben sich im Andenken des Volks erhalten. Auch liebte es der Landgraf, sich dem Landwirth zu vergleichen und zu sagen: Hans sei sein Muster, und er werde sich glücklich preisen, wenn man mit Recht von ihm sage, daß er sein Land so gut verwalte, wie Hans sein Bauerngut. Auch darin hatten die beiden in der äußern Lebensstellung so verschiedenen Männer Aehnlichkeit miteinander, daß jeder Vater von vierzehn Kindern und zärtlicher, gewissenhafter Familienvater war. Beide mußten auch bei weitem die Mehrzahl ihrer Kinder begraben lassen und kamen zu einander, um sich über solche herben Verluste selbander zu trösten.

In Bezug auf die Angelegenheiten der Landleute und die zur Verbesserung ihrer Lage zu machenden Einrichtungen hörte der Fürst stets erst die Ansicht und Meinung des ihm vertrauten Bauers, und dieser fand dadurch Gelegenheit, seinen Standesgenossen ungemein zu nützen. Man erzählt, daß zwei seiner Prinzen, die den Landgrafen nach Leimbach zu begleiten pflegten, und darunter der nachherige König Friedrich von Schweden, ein so großes Wohlgefallen an Hooße’s Wirthschaft gefunden, daß sie sich verabredet – Bauern zu werden. Wahrscheinlich wäre der gute Erbprinz im Besitz eines hübschen Bauerngutes, das er selbst bewirthschaftet, glücklicher gewesen, als im Besitz des schwedischen Königsthrons.

Von Hans zur Hochzeit mit seiner zweiten Frau eingeladen, vergnügte sich die landgräfliche Familie, besonders die edle Landgräfin Marie Amalie, eine Prinzessin von Kurland aus dem Kettler’schen Stamme, ungemein, so daß sie sich sogar in den ländlichen Tanz mischte. Die Fürstin ließ sich von dem vergnügten Bräutigam zum Reihen führen. Nun war dieser gerade ein Nationaltanz der Bauern an der Schwalm, „das Küsse-Süßchen“ genannt, weil der Tänzer der Tänzerin darin einen Kuß giebt. Hans hielt es doch für schicklich, vom Landgrafen erst die Erlaubniß zu solchem Kuß einzuholen.

„Umsonst laß ich die Landgräfin nicht von Dir küssen,“ versetzte der Fürst in der heitersten Laune. „Was giebst Du mir dafür?“

„Eine Metze voll Ducaten,“ entgegnete der Bauer rasch.

„Dafür lassen Sie sich von ihm küssen, Madame!“ rief Karl seiner Gemahlin lachend zu; und sie gehorchte.

Dem Spotte ward damit die Bemerkung nah gelegt, daß dem vielgerühmten Hessenfürsten für Geld nicht allein seine Landeskinder, sondern auch die Küsse der Landesmutter feil waren.

Hans bezahlte den ihm verkauften fürstlichen Kuß auf eine Weise, die auch in Bezug auf die verkauften Soldaten Nachahmung verdient hätte; vielleicht wäre dann der Fürst von all solchem Handel geheilt worden. Als er sich das nächste Mal in Ziegenhain befand, stellte sich der Bauer im Schlosse ein. „Hast Du mir die Metze voll Ducaten mitgebracht?“ fragte der Fürst.

„Das versteht sich!“ versetzte der Bauer und zog ein winziges silbernes Gefäß in Form einer Metze und mit einem silbernen Streichholz belegt, voller Ducaten hervor, das er dem Herrn schmunzelnd darbot.

„Die Metze ist verflucht klein!“ rief dieser erstaunt.

„Es ist das Ducatenmaß der Großen und Reichen zur Bezahlung empfangener Leistungen. Die Fruchtmetze des Bauern für Zins und Abgabe ist freilich größer. Durch den Verkaufsgegenstand hat mich Ew. fürstliche Gnaden aber zum vornehmen Mann gemacht.“

„Gut gesagt, vornehmer Bauer! Dein Witz gefällt mir und Deine Ducaten-Metze auch.“

Sie kam als willkommene Curiosität in das Kunsthaus des „curiösen“ Herrn. (So nannte man die Fürsten jener Zeit, welche ihre bizarren Gelüste auf Seltsamkeiten in ähnlicher Weise zu befriedigen suchten, wie Landgraf Karl, der curioseste von allen.)

Hans, in einem Hofconcert der fürstlichen Kapelle von Karl befragt, wie ihm die Musik gefalle, antwortete: „Sie ist schön, meine Kapelle macht mir aber doch schönere.“

„Die muß ich auch hören!“ rief der Landgraf lachend. „Bestelle sie auf morgen; ich komme.“

Sobald der Fürst des andern Tags auf Hooße’s Hofe abgestiegen war, schloß Hans das Thor und öffnete die Ställe. Da liefen denn bald Pferde, Rindvieh, Schafe, Gänse und Hühner, Hund und Katz wiehernd, brüllend, blökend, schnatternd, schreiend, bellend, miauend durcheinander, und die Lebendigkeit dieses natürlichen Concertes wurde durch die Leckerbissen erhöht, welche Hans jeder Thiergattung reichen ließ. Als nun die wohlaussehenden Mägde und Knechte fröhlich dazwischen lachten und Hooße’s Kinder jauchzend mit den Thieren schäkerten, da sagte der Bauer zum Fürsten: „Ich habe behauptet: meine Kapelle macht mir schönere Musik.“

„Mir auch!“ rief der Fürst freudig gerührt. „Ohne die Deinige hätt’ ich die meinige nicht. Du hast als braver Bauer gesprochen und Dein Wort gelöst.“

Fürst und Bauer, beide alt geworden, saßen in erhöhter Stimmung beim Becher. Der Landgraf trinkt dem Landmanne zu: „Ich möchte Dir eine Freude machen, Hans. Bitte Dir etwas aus, ich will’s gewähren, wenn ich kann.“

Scherzend antwortete dieser: „Ich habe von meinem Vater einen reichen adligen Zehnten auf das Klostergut Immichenhain ererbt, der Kuß der Frau Landgräfin hat mich geadelt, Ew. Gnaden fürstliche Gunst mich ausgezeichnet. Der Sache nach bin ich also ein Edelmann. Es fehlt nur die Form in der ausdrücklichen Erklärung Ew. fürstlichen Gnaden.“

„Die sollst Du haben!“ rief der Fürst in fröhlicher Weinlaune. „Sollst Junker Hans heißen, und dabei soll’s bleiben.“

Und dabei blieb’s wirklich. Der Bauer wurde von Allen „Junker Hans“ genannt, erhielt aber nie einen Adelsbrief. Sein ehemaliger Hof heißt heute noch „Junker Hansens Hof“.

Dieser deutsche Fürst und deutsche Bauer geben ein freundliches Bild, leider verunziert von den schon genannten bösen Schlagschatten.

Wie nachher unter Karl’s Enkel, dem katholisch gewordnen Landgrafen Friedrich II. (1760–1785) und Urenkel, dem ersten Kurfürsten Wilhelm, der hessische Seelenhandel im großen Styl etablirt wurde, so daß Napoleon decretirte: „Das Hessen-Kasselsche Haus hat seine Unterthanen seit vielen Jahren an England verkauft, und dadurch hat der Kurfürst so große Schätze gesammelt. Dieser schmutzige Geiz stürzt nun sein Haus;“ – wie aus diesen Schätzen des Blutgelds zum größten Theil das Haus Rothschild herausgewachsen ist, dieses traurige Bild ist bereits anderwärts geschildert worden.

L. St.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 91. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_091.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)