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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

geleitet hatte) und eilte nach Italien. Aber nur zu bald trafen ihn in Rom die Nachrichten über die neue deutsche Misère, den Undank der Regierungen, die Demagogenriechereien und all den Jammer, der den kaum gehobenen Volksgeist von Neuem niederdrücken sollte. Da wandte der Dichter, verbittert, von seinem Verherrlichungswerke sich ab und zunächst den Minnesängern und der italienischen Volkspoesie, bald aber, nachdem er in Wien (1819) durch Hammer auf den Orient hingewiesen worden war, der umfassendsten Pflege der Völkerpoesie zu, indem er zu der Herrschaft über die Sprachen und Literaturen des Abendlandes, die alten wie die neuen, nun auch die des Morgenlands fügte.

Für diejenigen unserer Leser, welche Rückert’s Werke kennen, würde mit der Andeutung des äußeren Wegs für die Gestaltung der innern Thätigkeit des Dichters hier nun genug des Biographischen gegeben sein. Unser Artikel soll sich jedoch hauptsächlich an diejenigen richten, welchen der hohe Genuß, den ersten Gang durch die Prachthallen der Rückert’schen Poesie zu thun, noch bevorsteht. Diese müssen wenigstens zu einigen seiner Dichtungen näher herangeführt werden, damit wir der Freude sicher sind, ihnen durch diese Verlockung wirklich den Weg zu der Lebensverschönerung gewonnen zu haben, die sie in Rückert finden. Die Verlockung wird leicht, weil anzunehmen ist, daß alle unsere Leser einmal recht herzlich geliebt haben oder noch selige Liebesleute sind. Ihnen verrathe ich, daß Rückert im Jahr 1821 in Coburg einen Kranz von Gedichten lebte, der aus fünf Sträußen besteht, aber einen Kranz von so edlen reinen Kindern der heiligen Natur, daß bis heute Jeder, der diese Sträuße recht innig und sinnig angeschaut, sie schließlich an das Herz drückte als das liebste Kleinod unter den Schätzen der kleinodreichen Schatzkammer unserer Dichtkunst: das ist Friedrich Rückert’s „Liebesfrühling“. Er beschreibt darin zwar nur die allbekannte uralte und ewigneue Geschichte einer Liebe, aber es ist die Liebe eines Dichters, der mit dem glücklichen Auge seines scharfen Geistes die erotischen Auen vieler Völker ruhig, prüfend, sammelnd und sichtend durchforscht hat und nun plötzlich selbst mitten in dem eigenen Liebesgarten steht. Einem solchen Auge entgeht kein Blümchen, kein Hälmchen, wenn noch so klein und versteckt, und selbst das unscheinbarste schmückt seinen Strauß und vervollständigt den Kranz, weil der Liebesblumenmann es an seinen rechten Ort bindet. Und wie leise hört das Ohr seines Herzens, wie feine klingende Hauche hat er entdeckt und wie zart sie in Gestalt gebracht! Es ist ein wunderbares Buch! Wer selbst die Liebe durchgelebt, dem ist’s wie sein eigenes geheimes Tagebuch aus jener Zeit: es hat Alles verrathen! Alle hohe heilige Wonne vom Augenblick des ersten Findens bis zu dem des Ewigbindens, all die flüsternden Worte, das leiseste Lispeln, die fragenden Blicke, ja jede Schelmerei des köstlichen Glücks ist festgebannt, ist ewig festgehalten, und es spricht sie nicht blos der jubelnde Bräutigam, auch von den Lippen der Braut fallen die sinnigsten Gedankenblumen und Gefühlsblüthen, so daß man oft fast nicht zu sagen weiß, wer von Beiden das Lieben besser versteht. Ja, wie in Rückert Alles Wahrheit ist, so spricht sie auch offen aus den Worten:

Es reut mich jeder Liedeston,
Der auf’s verworrene Getriebe
Der Zeit sich wandt’ und nicht auf Liebe.
Die Liebe ist der Dichtung Stern,
Die Liebe ist des Lebens Kern;
Und wer die Lieb’ hat ausgesungen,
Der hat die Ewigkeit errungen.“

Wahrlich, es sollte in Deutschland keine Verliebten und keine Verlobten mehr geben, die nicht aus diesem ewig klaren Born der Liebe für ihren eigenen Bund die dichterische Verherrlichung schöpften. Um wie viel edler würde es bald in Tausenden von Herzen und Häusern aussehen!

Es ist ein hartes und schweres Ding, Rückert’s Werke neben sich liegen zu haben und einen kurzen, gedrängten Artikel über ihn schreiben zu sollen. Man muß das Blättern in den lieben Büchern sein lassen. Da winken die „östlichen Rosen“ und beweisen uns, daß Rückert in das Morgenland mit seinem kerndeutschen Herzen gegangen ist und daß es keinen höheren Wunsch hegt, als unter den fremden Schätzen die herrlichsten in’s Vaterland heim zu tragen zur Erhebung, Erbauung und zum Ergötzen seines lieben deutschen Volkes; und da winkt die „Amaryllis“, das liebliche, kunstreich gestaltete Vorspiel zum Liebesfrühling; und dort winkt wieder „Rodach“ mit seinem ehrwürdigen Superintendenten (Hohnbaum), und da wieder die italienische Beute an Sicilianen und Ritornellen, und dort locken Edelstein und Perle und hier die fünf Märlein für mein Schwesterlein. – – „Mach’s Buch zu!“ mahnt’s in mir. Ich thu’s und stoße dabei an „die Verwandlungen des Abu Seid“, jenen verwegensten Reimkampf in unserer ganzen Literatur, und klingend und schwingend, flirrend und klirrend stürzen sie auf „Nal und Damajanti“, die indische Erzählung, hin und schieben sie mir mitten auf mein Schreibeblatt, als ob sie sagen wollten: „Da, zeig’ uns nur Deinen Leuten und berichte ihnen, wie Rückert uns und euch ehrt, wie er wahrhaft „verdeutschet“ gleich einem zweiten Luther, und gleich einem zweiten Columbus immer neue Reiche des Geistes für die Herrschaft der deutschen Dichtkunst entdeckt und erobert.“

Was hilft alles Zureden? es geht heut nicht. Und euch soll man den Leuten erst zeigen? Steht ihr nicht von eurer Geburt her gleich so hoch, daß Alle euch sehen können, wenn sie sich nur entschließen wollen, die Augen aufzuthun? Ihr seid jetzt schon die Lieblinge aller wirklich Gebildeten, und werdet sammt euern andern stolzen Morgenlandscameraden bald die Lieblinge Aller werden, die der süße Brei der Alltagsunterhaltung anekelt, die nach Männerkost für ihren Geist trachten und die für die Schönheit, Kraft und Anmuth ihrer Muttersprache Herz und Sinn haben.

Wir folgen jetzt lieber jenem Studenten auf seinem Gang. Er trägt ein nagelneues Büchlein in der Hand; es ist wohl sein Erstling, und er wird ihn wahrscheinlich unserm Dichtmeister bringen. Richtig, da ist er in Neuseß, da geht er die Dorfgasse hinauf, da biegt er links ab, wo’s zwischen dem Lauter-Bach und der alten Gottesackermauer hingeht, und da steht er an der Pforte des gastlichen Dichterhauses. Er pocht bescheiden an, daß fast das Pochen seines Herzens lauter ist. Dennoch hat ein Frauenohr ihn gehört, eine freundliche Matrone öffnet ihm, sie weiß, wohin er begehrt, noch ehe er’s ausgesprochen, und sie führt ihn durch den Hausplatz zur entgegengesetzten Thür und ruft in den Garten hinein: „Fritz!“ Wie ihn das durchzuckt! Rufen liebe Stimmen ihm wohl auch so? Wie er’s noch denkt, tritt aus einer der Lauben die hohe Gestalt des Dichters hervor. Da hat er den Mann, für den seine Seele voll Verehrung ist.

Wer die Schilderungen gelesen oder es selbst erfahren hat, wie andere Literatur-Größen, und nicht blos namhafte französische, nur mit Hülfe gewichtiger Empfehlungen zugänglich und dann stets gerüstet sind, dem Besucher in einem auf den Eindruck sorgfältig berechneten ceremoniellen Nimbus entgegen zu glänzen, der wird sich freudig in das befreite Gemüth unseres Studenten hinein denken, als diesen nicht der berühmte Dichter und große Gelehrte in respectvoller Entfernung anhörte und abfertigte, sondern als der einfache deutsche Mann ihm zum Willkomm die Hand reichte und, zur Laube zurückkehrend, auf der Gartenbank das Plätzchen neben sich anbot. Wie glücklich fühlte sich da das Studentlein, wie hob es ihm die Brust, seinen Erstling in des Meisters Hand zu sehen, und wie mächtig drang sich ihm der Vergleich auf zwischen dem Benehmen Derer, die nur große Herren, und Derer, die große Menschen sind! Noch wirkte in ihm die Weihe nach von dem Blick, der vor Jahren den Gymnasiasten beseligt; nun saß das hohe Mannesbild, das seine jugendliche Phantasie seitdem mit allen Geistesstrahlen seiner Werke ausgeschmückt, leibhaftig vor ihm – so einfach, so bescheiden, so hausväterlich gemüthlich und doch in jedem Worte so edel, ganz und groß. Der Dichter sprach aus ihm durch die Reinheit und den Adel aller Anschauungen und die Klarheit und Wärme des Ausdrucks, der Gelehrte durch die Fülle des Wissens, die ungesucht, ohne fühlbaren Nachdruck, sich zu Dienst stellte, wenn sie gerufen ward, nicht, wie sie’s bei Professoren gewohnt ist, das Wort allein an sich riß. Es ist eine schwere Kunst, einen Reichthum von Gelehrsamkeit, wie Rückert ihn besitzt, so zu beherrschen, daß seine Wucht Niemanden drückt und Jedermann ihren Segen spürt. Auch darin ist Rückert Meister. Und wie der Dichter Alles besungen, was er gelebt hat, und wie nur Wenigen vergönnt ist, mit solchem Geiste mit den besten Geistern vieler Völker zu leben, so sind seine Werke der ganze Mann selbst und bieten der Welt eine Summe von Weisheit mit derselben herzerquickenden, erhebenden, rührenden und unnachahmlichen Liebe und Bescheidenheit, wie er dem Einzelnen dar.

Im Hause Rückert’s waltete das Glück des „Liebesfrühlings“ fort, und um die Laube schwärmte die junge Lust seiner Früchte, die liebliche Schaar der Kinder. Eines um das andere sprang herbei, mit den frischen Rosenwangen und den Augen des

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