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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

Uebrigens hatte der Cameriere sein Möglichstes an Baffetto gethan – er war kaum wieder zu erkennen. Sein Gesicht war bis auf das kleine Stutzbärtchen auf der Oberlippe glatt wie seine flache Hand geworden, die Locken fügten sich in die vorgeschriebenen Spirallinien; Wäsche, Kleidung und was noch sonst den äußerlichen Menschen macht, und einstweilen aus der Garderobe des Exprinzen entlehnt war, stand in richtigem Verhältniß zu dem Uebrigen. Baffetto war ohnehin kein übles Bürschchen, und so geschah es denn, daß die Principessa ihr Wohlgefallen zu äußern, einige Aehnlichkeit in den Nasenflügeln mit denen ihres seligen Eheherrn zu finden geruhte, und ihm die Hand gnädigst zum Kusse reichte. Baffetto drückte sie herzhaft genug, um der Altezza einen hellen Schrei zu erpressen.

Im Allgemeinen muß man dem Prinzen Baffetto rühmend nachsagen, daß er sich unglaublich schnell in seine neue Stellung zu finden wußte, und dies um so leichter, weil einestheils zwischen dem Ton eines echt modischen Dandy und dem eines Eckenstehers wirklich keine so mächtige Kluft liegt, als man zu glauben geneigt sein möchte, anderntheils aber, weil bei Erlauchten das für Genialität gilt, was bei niedriggeborenen Erdensöhnen Flegelei heißen würde. Ließ sich daher der junge Prinz in der Zerstreuung oder durch allzu lebendig werdende Erinnerung an vergangene Zeiten verleitet mitunter einige Mißgriffe zu Schulden kommen, sprang er mit Federhut und Degen hinten auf seine eigene Staatscarosse statt in dieselbe, oder verlor er sich aus den langweiligen Conversazioni der Salons in das Erdgeschoß, um beim Takt des Bratenwenders mit irgend einer stämmigen Küchendirne den Saltarello zu tanzen, zog er wohl gar in Gesellschaften den zwängenden Frack aus, um ihn auf Birbaccioni-Manier über die Achseln zu werfen, und verkroch er sich in einen Winkel des Friedenstempels, um mit den dortigen Steinschneidern ungestört alla Mora zu spielen – so that dies der Liebenswürdigkeit des Naturkindes, wie er in der großen Welt hieß, noch keinen Abbruch, und machte ihn vielmehr in den Augen der Damen nur noch interessanter. In den Soiréen riß man sich um die naive Durchlaucht. Sein Glück bei den Frauen war entschieden, und schon sprach man von einer Vermählung mit der Tochter eines steinreichen Banquiers, welcher, mit Schwefelhölzchen anfangend, sich eine Herzogskrone erwuchert hatte. Pater Tommaso erntete von der sich mehr und mehr mit ihrem neuen Sohne versöhnenden Prinzessin die schmeichelhaftesten Danksagungen für seine segensreiche Einmischung, sein Kloster die splendidesten Dotationen. Die Dienerschaft hätte sich für den herablassenden Gebieter todtschlagen lassen, und auf der ganzen Welt waren nur zwei Personen mit jenem Tausche nicht zufrieden, nämlich erstens die alte Anna Pastone, welche sich in ihren sanguinischen Hoffnungen gewaltig getäuscht sah, indem Prinz Baffetto ihr die späte Anerkennung seiner fürstlichen Geburt und den dadurch entstandenen Verlust an Götterstunden, wie sie ihm jetzt zu Theil wurden, zum Verbrechen anrechnete und nichts von ihr wissen, ja sie nicht einmal vor Augen lassen wollte; zweitens aber der ehemalige Prinz Gaetano Castrucci oder Luigi Pastone, wie er nunmehr heißen sollte.

Dieser war just, als der Courier mit dem enterbenden Briefe an ihn abgefertigt wurde, im Gefolge seines Monarchen nach Sicilien hinüber gereist. Dem steten Wechsel seines Aufenthalts, so wie der mangelhaften Verbindung im Innern der Insel war es zuzuschreiben, daß jenes Schreiben erst nach Monatsfrist an seine Bestimmung gelangte. Es war ein zerschmetternder Schlag für ihn. In seiner bisherigen Stellung zu verharren, verwehrte ihm sein Stolz, er gebot ihm ferner freiwillig von dem Schauplatz abzutreten, noch ehe die Geschichte seines Unglückes ruchbar geworden sei. Augenblicklich reichte er seine Entlassung ein und reiste nach Neapel zurück. Seiner Verlobten als namenloser Abenteurer gegenüber zu treten, fühlte er sich unfähig, und so löste er denn mit blutendem Herzen die Verbindung, entband die Gräfin schriftlich ihres Worts und ließ sie nur aus unbestimmten Ausdrücken ahnen, daß ein unverschuldetes Unglück ihn zwinge, auf das Glück seines Lebens zu verzichten. Hierauf eilte er nach Rom mit dem Entschluß, von dort aus in’s Ausland zu gehen und in fremden Kriegsdiensten den Tod zu suchen.

Es war an einem jener schönen Wintertage, wie nur der römische Februar deren aufzuweisen hat, als der tiefgebeugte Gaetano in den Anlagen des Monte Pincio auf und nieder wandelte, und endlich in schwermüthige Gedankten versunken an der steinernen Balustrade stehen blieb und über das zu Füßen liegende herrliche Rom, dem er nun auf ewig den Rücken kehren sollte, die Augen gleiten ließ. Rom ist schon so schön, so unendlich schön in den Augen des Fremden, des zum ersten Male in dessen Herrlichkeit schwelgenden – um wie weit schöner aber in denen des Scheidenden, eines seine Vaterstadt auf immer Verlassenden!

Ein Bettelweib trat an Gaetano und flehte ihn um der Madonna willen um eine Gabe an. Schweigend reichte er ihr eine Silbermünze. Da faßte die Bettlerin den Geber in’s Auge, schrie hell auf und warf sich ihm zu Füßen: „Ihr seid es, Eccellenza!“ kreischte sie. „Und Ihr reicht mir ein Almosen, mir, der verlorenen Seele, der falschen Zeugin, die Euch um Alles, Alles brachte! Euch, der Ihr an meinem Herzen ruhtet, dem ich meine Brust reichte! Und für wen habe ich diesen Frevel auf mein Haupt geladen und meine ewige Seligkeit verwirkt? Für wen anders, als für meinen gottlosen, undankbaren Buben, der jetzt seine eigene Mutter verleugnet und von ihrer Sünde schwelgt! Eccellenza, Principe, um der Leiden des Heilands willen vergebt mir, auf daß ich ruhig sterben könne. Ich will ja Alles widerrufen – dem Pater Tommaso, der mich zu falschem Zeugniß angestiftet hat, ihm, der Principessa, aller Welt in’s Gesicht sagen, daß ich damals gelogen, daß Ihr der einzige wahrhafte Sohn des verstorbenen Herrn seid. O, erbarmt Euch Eurer armseligen Amme, Eccellenza! Gott, Ihr wißt nicht, wie schwer die Versuchung ist, seinem Kinde mit einem Worte Reichthum und Herrlichkeit zuwenden zu können, wie tief es schmerzt, einen undankbaren Sohn zu haben! Vergebt, Principe, vergebt einer armen Sünderin!“

Vergebens mühte sich Gaetano, seine ehemalige Amme zu beschwichtigen – sie fuhr fort, unter Thränenströmen die Brust zu zerschlagen, das Knie ihres Pflegekindes zu küssen und sich vor dem immer dichter herandrängenden Kreis der Neugierigen mit lauter Stimme zu beschuldigen, wie sie dem Einreden des Mönches Gehör gegeben, um durch ihren Sohn Baffetto den echten Sprößling der fürstlichen Ehe zu verdrängen.

In diesem Augenblicke rollte ein eleganter Wagen vorüber, in welchem ein ältlicher Herr und eine junge Dame saßen. „Dort ist er ja!“ rief die Letztere mit freudeleuchtenden Augen. „So leicht, Don Gaetano, glaubtet Ihr mir zu entschlüpfen? Habt Ihr gewähnt, daß Euer Unglück ein hinreichender Grund sei, mich zu fliehen? Stolzer Mann, so dachtet Ihr denn nur allein an Euch?“

Es war die Gräfin, welche schon in Neapel das Schicksal ihres Verlobten erfahren hatte und ihm in Begleitung ihres Vaters, mit dem festen Entschlusse, auch dem namen- und güterlosen Geliebten die Hand zu reichen, gefolgt war.

Ihr Edelsinn ward belohnt. Zu viele Zeugen waren bei dem freiwilligen Bekenntniß der alten Anna zugegen gewesen, als daß Pater Tommaso sie hätte einschüchtern und zum Widerruf bewegen können. Sie wiederholte ihre Aussage vor Gericht und enthüllte das ganze Gewebe der gegen Gaetano angesponnenen Intrigue. Feierlich wurde er in seinen Rang und seine Güter wieder eingesetzt, und Pater Tommaso in ein entferntes Kloster, ich glaube nach Palazzuola, versetzt. Die Prinzessin ging vor Verdruß, sich von ihrem Vertrauten hintergangen und den ungeliebten Sohn im Besitz seines vollen Erbes zu sehen, in das Stift der adligen Nonnen von Santa Eusemia.

Baffetto brach, als er seine Entthronung vernahm, in ein lautes Accidente! aus, resignirte sich jedoch mit bewunderungswürdiger Fassung und trat wiederum in den Privatstand zurück. Von Neuem thront er auf seinem geliebten Eckpfeiler an der Via Felice, hat sich den Bart wieder wachsen lassen, steht Modell, scheert zur Abwechselung Pudel und präsidirt nach wie vor im Café Gnocchi. „Als ich noch Prinz von Castrucci war,“ lautet der Anfang seiner meisten Erzählungen. Allen meinen Freunden, die nach Rom kommen, kann ich den Baffetto mit gutem Gewissen empfehlen. Er ist die gutmüthigste Haut von der Welt, anspruchslos und bescheiden, trotz seines vierwöchentlichen Fürstenstandes, und dienstfertig, ja sogar ehrlich, so oft nämlich seine Beinkleidertaschen nicht durchlöchert sind, und er dann in der Zerstreuung das ihm anvertraute Geld durch die Spalten schlüpfen läßt.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 84. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_084.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)