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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

Baffetto.
Novelle von Franz Freiherrn Gaudy.[1]


Unter den römischen Kaffeehäusern zweiten Ranges ist das Café Gnocchi eins der bekannteren. Es liegt an der Ecke der Via felice und Via di Porta Pinciana. Trotz dieser günstigen Lage in einem fast ausschließlich von Fremden bewohnten Viertel wird es doch weder von diesen noch von den Römern der bessern Classen eben sonderlich aufgesucht. Selten nur verirrt sich ein Maler auf seinem eiligen Gange nach dem Atelier in die unfreundliche, düstere Bottega, um seinen caffé dolcissimo schnell hinunter zu schlürfen und die Bajocchi auf den Marmortisch zu werfen. Desto stärker wird das Café dagegen von den zahlreichen Schwärmen der Modelle, welche auf dem Monte Pincio in der Nähe der deutschen Künstler horsten, besucht. Zu jeder Tageszeit findet man dort weißbärtige Greise, welche abwechselnd den heiligen Hieronymus und den Straßenbettler spielen, rothgekleidete Albanerinnen mit weißem Kopftuch und Korallenschnüren, Pifferari mit Dudelsäcken und der Pfauenfeder auf dem Hut, und Lumpe aller Art auf den ledernen Bänken herumrutschen und schwatzen, rauchen oder schlafen.

Unter der letzteren Classe, der Faulpelze, spielte Luigi Pastone oder der Baffetto[2], wie er von seinem langen, freiwachsenden Bart gewöhnlich genannt wurde, eine Hauptrolle. Seine Mutter war aus Genzano gebürtig und an einen dortigen Hirten verheirathet gewesen. Nach Luigi’s Geburt hatte man sie in das Haus des Prinzen Castrucci berufen, um dem neugeborenen Stammhalter des Geschlechts die Brust zu reichen. Späterhin hatte sich Anna Pastone in Rom niedergelassen und that sich bei Suppenvertheilungen in den Klöstern durch den größten Topf und die lauteste Stimme besonders hervor.

Ihr Söhnlein Luigi, oder in der Abkürzung Gigi, die einzige Frucht ihrer Ehe und der Held meiner Erzählung, erwuchs wie die Lilie auf dem Felde, ohne zu säen, ohne zu spinnen und vom himmlischen Vater dennoch gekleidet – wenn auch just nicht ganz so glänzend wie jenes blühende Symbol der Jungfräulichkeit. Seine Jugend war so ziemlich die aller römischen Straßenbuben; er bettelte, stahl – obwohl nur in den äußersten Nothfällen –, aß, wenn er etwas hatte, und wärmte sich an Fasttagen mit den Hunden im Sonnenschein. Wir sehen unseren Helden in den früheren Jahren bald auf dem Geländer der spanischen Treppe hinunterrutschen, bald während des Carnevals echte Confetti unter den Hufen der Pferde und zwischen den Rädern aufsuchen, bald bei Processionen neben den kerzentragenden Mönchen herlaufen und das herabtröpfelnde Wachs in Düten oder mit der bloßen Hand auffangen, bald auch als Kreuzträger, wenn die Knaben des Viertels sonntäglich in die Pfarrkirche getrieben wurden. Unter diesen und ähnlichen harmlosen Beschäftigungen erreichte Luigi das zwanzigste Jahr, war lang und schlank in die Höhe geschossen und stark und kräftig geworden – nur daß er fortwährend an einem verzehrenden Hunger, an einem noch peinigenderen Durst und einer an’s Fabelhafte grenzenden Arbeitsscheu litt.

Um diese Zeit war es, wo ein deutscher Künstler, der für sein Genrebild einen echten birbaccione[3] brauchte, auf der Piazza Barberina unsern Gigi auf dem Bauche liegend Karte spielen sah. Er machte ihm den Antrag, ob er ihm für drei Paul täglich Modell stehen oder vielmehr liegen wolle, ein Vorschlag, welcher von dem edlen Jüngling mit Freuden angenommen ward. Luigi folgte dem Maler in sein Studium, streckte sich lang auf die Erde, brauchte nichts zu thun, als eben nichts zu thun, und bekam für seine Mühe ein schönes blankes Apostelstück. Die Sache gefiel Pastone, und allmählich reifte in ihm der Entschluß, sich ganz diesem neuen Beruf zu widmen. Von Stund’ an ließ er sich Bart und Haare frei wachsen, nahm den Titel Baffetto an und verlegte seine Residenz nach dem Café Gnocchi, welches er nur verließ, um es gegen die Villeggiatur in den umliegenden Weinkneipen zu vertauschen.

Wir müssen eingestehen, daß Baffetto keinen Fehlgriff begangen hatte, als er sich für den Stand eines Modells entschied: er vereinigte beide Hauptrequisiten eines Lumpenlebens, Müßiggang und mühlosen Erwerb. In kurzer Zeit ward er unter den Künstlern bekannt und von ihnen gesucht, so oft es rasende Rolande, Räuber oder überhaupt Rabbiate und Hallunken zu malen gab. War keine Nachfrage nach Bösewichtern, so ließ sich Baffetto wohl auch herab, den Facchino zu spielen, einen Brief auf die Post zu tragen, einen Pudel zu scheeren oder sich sonst einer Beschäftigung zu unterziehen, die ihm eine halbe Stunde kostete und einen halben Paul einbrachte. Das Tagewerk war dann beendet – fünf Bajocchi klimperten in der Tasche, und davon ließ sich beim Friggitore ein Blatt Papier, angehäuft mit dampfendem Blumenkohl, bezahlen, eine Fogliette Albaner Weins, und beim Tabakshändler hinreichender Stoff, um die Bajoccopfeife bis zur sinkenden Nacht in Brand zu erhalten. Vor der Thür des Café Gnocchi mit über die Achsel geworfener Jacke sitzend, den Dampf gemüthlich vor sich hinblasend, mit jedem hübschen Mädchen auf der Straße sich neckend und wieder geneckt, fühlte Baffetto sich selig und hätte nicht mit dem Senatore von Rom getauscht. Alle Vorschläge, die ihm von Diesem oder Jenem gemacht wurden, ein solides bürgerliches Geschäft zu unternehmen, beantwortete er nur mit geringschätzigem, überlegenem Lächeln. Der Eckstein der Via Felice, setzte er wohl dann noch hinzu, sei ihm


  1. Unter dem Nachlaß dieses schon im Jahre 1840 in der Blüthe der Mannesjahre gestorbenen liebenswürdigen Dichters fand sich die obige noch ungedruckte Novelle, die, als eine letzte Gabe desselben, der nicht geringen Zahl seiner Verehrer sicher willkommen sein wird.
    D. Red.
  2. Diminutiv von baffi, Schnurr- und Knebelbart.
  3. Lump.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 81. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_081.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)