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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

der Stiefel uns mitten in unserem Fortschreiten aufhält, indem er uns beengt und quält, daß er unserem Fuße, dem wirklichen Fortschrittsgliede, offene und augenscheinliche Krankheiten zufügt, und daß er uns beim An- und Ausziehen sehr oft in eine verdrießliche, mehr der Ruhe zugeneigte Stimmung versetzt, das weiß Jeder, den der Stiefel drückt; und er drückt wohl die Meisten von uns. – Die Alten waren freie Menschen; am Kopfe, denn sie füllten denselben nicht, wie wir, mit vielen Schulweisheiten an, und am Fuße, denn sie kannten nicht die Qual unseres ledernen Stiefels, sie trugen Sandalen, in denen der Fuß ziemlich nackt seine Arbeit verrichten konnte, und brauchten nicht, wie wir, immer die glatten Wege aufzusuchen. Noch besser haben es freilich jetzt noch die vielen Landbewohner, die mit ihrem Fuße, wie mit dem Geiste im Kopfe, ganz frei und offen auftreten und nicht von den Hühneraugen heimgesucht werden, die wir „mit Blut und Eisen“ vertilgen müssen.

Sollen wir den Stiefel abschaffen und dafür eine mehr oder weniger offene Fußbekleidung einführen? Das ist bei der jetzigen Verfeinerung und Veredlung unserer Fußhaut, bei der besseren Einrichtung unserer Straßen und des öffentlichen Verkehrs nicht mehr möglich. Der Stiefel ist ein wohlthätiger Schutz für den Fuß, da er dessen Blöße verbirgt und von ihm die schädlichen Einwirkungen des Bodens und des Wetters abhält, er ist ein Erforderniß der modernen Cultur und des besonnenen Fortschritts, der mit ihr zusammenhängt. Aber – es ist doch endlich nöthig, den Stiefel zu verbessern und fußgerecht zu machen, wir müssen auch einmal ernstlich für die Freiheit unserer Füße sorgen, zumal wir diese sehr leicht herstellen können, wenn unsere Herren Schuhmacher einerseits mehr Kenntniß erlangen, nicht gerade – wie es jetzt Mode ist – von der Politik, sondern von dem Bau und der Verrichtung unseres Fußes, und wenn wir selbst andererseits unseren Fuß mehr würdigen und nicht als ein Anhängsel an unserem Leibe, sondern als ein werthvolles Glied schätzen, das uns recht eigentlich erhält und uns in der ganzen Schöpfung ziert.

Denn wie wir stehen, mit dem Rücken aufrecht und mit dem Kopf gen Himmel, frei, wendbar nach allen Seiten, mit freiem Gebrauch der Sinne und Hände, der Stimme und der Brust, eine kleine Fläche – an dreien Punkten nur – hält uns auf dem Boden – so steht kein Thier. Sehen wir ab von dem nachgeahmten, gezwungenen Stehen der Affen und Bären, so wissen wir, daß die Thiere allesammt dem Boden zugekehrt all ihre Gliedmaßen zur Fortbewegung gebrauchen und eine Fußstellung haben, die von der unsrigen ganz verschieden ist; entweder treten sie mit dem vorderen Fußtheile allein auf, wie die Huf- und reißenden Thiere, oder mit dem platten Fuße, wie die Sohlengeher. Unser Fuß hingegen berührt vermöge seiner kunstvollen Wölbung den Boden nur an drei Stellen, den Hacken, dem großen und kleinen Ballen, daß das Wasser, wie die Araber sagen, zwischen durchfließen kann, und trägt doch seinen Körpertheil sammt den vielen Organen mit einer bewundernswerthen Geschicklichkeit und Sicherheit, die in seiner baulichen Einrichtung begründet ist.

Er ist nämlich gliederig gebaut, denn er hat viele kleine Knochen zur Grundlage, die gelenkig mit einander verbunden sind. Machen wir im Sitzen eine leichte Fußbewegung, so können wir die Beweglichkeit der Gelenke sehen und zugleich deren Verschiedenheit. Eine große Freiheit hat das Gelenk, das den Unterschenkel mit dem Fuße verbindet, das Sprunggelenk, wodurch wir mit dem Fuße beinahe einen Halbkreis beschreiben können.

Fassen wir den gewölbten Fußtheil an, so spüren wir keine Beweglichkeit an ihm, er ist ein starkes Gerüste, das fest genug ist, um die Körperlast zu tragen; allein wie jede gut gebaute Brücke bei einer starken Bewegung auf derselben etwas nachgiebt, so ist auch die Fußwölbung vermöge ihrer elastischen Bänder beim starken Gehen etwas beweglich, während sie in der Ruhe und bei der gewöhnlichen Bewegung sich nicht ändert. Die Zehen hingegen besitzen die meiste Beweglichkeit, sie lassen sich fast um ihre Achse drehen und können wie die Finger an der Hand gekrümmt und zusammengedrückt werden, denn sie haben freie Gelenke, wie ihnen auch solche ihren Verrichtungen gemäß nothwendig sind.

Setzen wir den Fuß auf den Boden fest auf, so drückt die Körperlast durch das Schienbein auf denselben, der Fuß wird breiter, indem sein Rücken um die Zehengelenke abgeflacht wird. Wollen wir gehen, so erheben wir den einen Fuß auf die Zehen, die sich an den Boden andrücken oder ankrallen, und halten uns so einen Augenblick fest, während wir den andern Fuß strecken und vorwärts stellen. Der gestreckte Fuß wird länger, indem das Sprunggelenk nachgiebt, und wird sodann ebenfalls, wenn wir einen zweiten Schritt thun, vom Boden abgelöst durch Erhebung auf die Zehen; und so geht es wieder abwechselnd mit jedem Fuße bei jedem Schritt. Die Zehen wirken wie elastische Druckfedern und geben uns die Sicherheit und Elasticität des Schritts, am meisten aber ist unter ihnen die große Zehe thätig, die, wie der Daumen an der Hand, dieselbe Arbeit unter den Zehen verrichtet.

Chinesischer Damenfuß.

Nächst dieser hat noch die kleine Zehe, mit einem ähnlichen Bau begabt, die größte Arbeitsfähigkeit, sie bewirkt unter den Zehen den Schluß. Fehlen die Zehen, oder sind sie durch Verkrüppelung unthätig gemacht, wie es frühzeitig bei den Füßen der chinesischen Damen durch Zurückbinden der Zehenglieder geschieht (vergleiche beistehende Figur) und bei uns durch den schmalen und kurzen Stiefel, so gehen wir trippelnd, wie auf Stelzen, Kreuz- und Querschritte machend.

Gehen wir nun geraden Weges auf Grund obiger Wahrnehmungen, die ein Jeder an seinem Fuße machen kann, zur Anfertigung des Stiefels über, und merken wir uns zuvor noch, daß der rechte Fuß von dem linken in der Größe sich unterscheidet, der rechte ist gewöhnlich breiter und größer als der linke, und weniger linkisch: so müssen wir für diesen Zweck einen jeden Fuß in gestreckter Stellung, also beim Auftreten messen, da wir wissen, daß der Fuß in dieser Position länger und breiter wird. Es geschieht dies auch gewöhnlich von den Herren Schuhmachern, indem sie den Fuß im Strumpfe auf einem Bogen Papier abzeichnen. Besser ist es jedoch, da der Strumpf die Richtung des Fußes ändert, wenn wir den nackten Fuß aufs Papier stellen, und dessen Umfang abzeichnen. Sehen wir alsdann diese Zeichnung näher an, so bemerken wir, daß unsere Sohle nicht gerade ist, sondern nach vorn geschweift, und stellen wir beide Füße oder deren Umrisse an einander, so ergänzen sie sich gegenseitig und bilden ein Oval, das, beiläufig bemerkt, der Form unseres Kopfes oder des Gehirns in demselben entspricht, als sollte der Anfang und das Ende unseres Körpers durch eine Form ausgedrückt werden.

Geschweifte Sohle.

Unsere Sohle ist bei dem regelmäßigen Fuße nicht gerade, denn unsere Gehfläche ist mehr nach innen gerichtet, nach der Längsrichtung der großen Zehe. Und demgemäß darf auch unsere Sohle an dem Stiefel nicht gerade sein, sondern nach innen geschweift (wie beistehende Figur zeigt).

Eine gerade Sohle bringt den vorderen Fußtheil aus der Lage und verkrümmt denselben. Nicht minder wichtig ist die Berücksichtigtmg der Gelenke.

Um das Fußgewölbe, das die Schuhmacher den Spann nennen, kann und soll der Stiefel fest anliegen, da die Gelenke hier so gut wie nicht beweglich sind, aber das Sprunggelenk und das Zehengelenk müssen wir frei haben, da sie beim Gehen am meisten thätig sind.

Um die Längenausdehnung des Fußes nicht zu behindern, wird daher jetzt zu beiden Seiten des Stiefels, wo die Fußknöchel anliegen, ein Gummizug angebracht, der dem Fuße eine große Erleichterung gewährt; nur ist er leider nicht dauerhaft genug und für solche Stiefeln nicht anwendbar, die einer großen Strapaze ausgesetzt werden sollen, wie die Marsch- und Winterstiefeln. Wo solche Rücksichten oder andere der Sparsamkeit vorliegen, würden wir zweckmäßig an die Stelle des Gummizuges ein entsprechendes Stück weichen Leders einnähen, das den Bewegungen des Sprunggelenks weit eher folgen könnte, als das übrige harte Leder. Denselben Zweck, die Längenausdehnung des Fußes zu ermöglichen, fördern wir, wenn der Stiefel etwa um einen halben Zoll länger wird, als die Fußlänge beträgt, jedoch ist diese Vorsicht bei richtig abgezeichneter Sohle nicht so wichtig, wie es die Herrn Schuhmacher gemeinhin glauben. Hingegen müssen wir, um die Ausdehnung des Fußes der Breite nach zu gestatten, den Zehengelenken die größtmögliche Räumlichkeit verschaffen. Der Stiefel darf daher vorn nicht spitz sein, sondern breit, oder rund, oder oval, je nach dem Geschmacke des Besitzers, besonders aber muß er um die Stelle erweitert sein, wo der große Ballen anliegt. – Versäumen wir diese Vorsichtsmaßregel, so ist eine ergiebige Quelle

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 71. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_071.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)