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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)


Die an den Ring gebunden ist, und gleich
Dem Salomo ward er ein Herr der Geister
Und hoher Weisheit, deutscher Weisheit Meister.

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Ohn’ Ansehn der Geburt, in Kraft allein

Des Rings ward er der Fürst in unsern Reih’n.

Mit starker Hand, ein neuer Hercules,
Wirft er den fremden Wust aus unterm Hause,
Der massenhaft da lagerte, dann gleich

110
Beginnt er frisch des Deutschthums neuen Tempel,

Den deutschen Tempel Salomo’s, zu bauen,
Das Cultushaus des Geists, der Wissenschaft.
Die rang sich los aus ihrer alten Haft,
Um sich nach Sonnenhöhen umzuschauen.

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Seit diesem Siegestage wich allmählich

Der schwere Schlaf von unsern Augenlidern,
und wir erwachten, von der Hand berührt,
Die unser Elend und den Weg uns zeigte.
Zur Burg des Lichtes aus der Nacht des Wahns.

120
Ja, Brüder, Lessing wurde unser Führer,

Der Vater des neustrebenden Geschlechts,
Auf unsrer Bahn der Wahrheit und des Rechts.
Und der so stark den Weg voran uns ging,
Sagt selbst, besaß er nicht den echten Ring?

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Doch seht, auch Er, der Held, der weise Schöpfer

Des neuen deutschen Geistes, hat der Ringe
Unzähl’ge hinterlassen; doch nicht mehr
Zum Streit verführt uns eines Rings Besitz.
Vielmehr soll sich des Vaters hoher Geist

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An uns nun offenbaren. Wer besitzt

Nicht heute einen Ring? Wer hat den echten,
Allein gebietend hohen Geistesmächten?

Ja, sie sind alle echt; er weihte sie
Mit seinem Geiste, taufte sie mit Feuer.

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Die Zwietracht schickt sich an das Feld zu räumen.

Wir streiten nicht um Namen mehr. So nennt
Die Ringe, wie ihr wollt und wie ihr könnt:
Der Lieb’, des Wissens, Glaubens, der Erkenntniß,
Humanität, des Deutschthums Ringe. – „Name

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Ist Schall und Rauch umnebelnd Himmetsgluth –“

Ist nur die Sache einfach, wahr und gut.

Die Sache ist’s, die That, die große, schöne,
Zu der, o Volk, der beste deiner Söhne,
Zu der uns unser Salomo berief. –

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Als noch der größte Theil des Volkes schlief,

Da glänzt der Talisman an seiner Hand,
Mit dem er dich geweckt, mein Vaterland!

Und welches ist die That, die er verlangt,
Die alle edlen Geister mit ihm fordern,

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Beseelt von der gewalt’gen Kraft des Rings?


Daß jeder seinen Ring nicht einzeln trage,
Daß wir vielmehr an einem großen Tage
Die deutschen Ringe in einander schlingen
Und eine Kette bilden von den Ringen.

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Daß jeder Ring ein Glied der Kette sei,

Die unser Volk umschließt frisch, fröhlich, frei!

Fahrt fort und bringt die Ringe um die Wette!
Und das giebt keine neue Sclavenkette.
Die Kette ist’s der Einigung zu Schutz

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Und Trutz, die ausschließt allen Eigennutz.

Der starke Reif, der unter Riesenfaß
Zusammenhalte, drin das edle Naß,
Der neue Wein, die Panacee, soll gähren
Und lagern und zum Feuertrank sich klären.

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Die Ankerkette sei sie unsres Schiffs,

Mit der wir an der Tiefe fest uns halten,
Wenn wir im Meer getrotzt des Sturms Gewalten,
Und nun des Hafens sichere Bucht erreichen
Und an der Zukunft grünes Ufer steigen.

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Dann wird sie Windekette, der wir uns

Getrost vertraun, um uns zur Gipfelhöh’
Des reinen schönen Menschenthums zu heben.
O Sonnenschönheit! Heil’ges Menschenleben!

In solchem Kreis, wie er uns nie umfing,

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Wir schmieden selbst den starken Zauberring,

Den keine Macht der Welt vermag zu brechen,
Den tück’sche Selbstsucht nie vermag zu schwächen.
Das ist der echte Ring des alten Weisen.
Jetzt aber ist er von gestähltem Eisen.

180
Und jeder trägt ihn nun mit Zuversicht,

Und darum fehlt die alte Kraft ihm nicht.
Mit ihm beherrschen wir das Reich der Geister
Und werden selbst der Zukunft Herr und Meister.
Denn er ist A und O im Alphabet,

185
Und keine Kraft, die seiner widersteht.


Nun eifre jeder seiner unbestochnen,
Von Vorurtheilen freien Liebe nach,
Und tilge so des alten ungerochnen,
Des unglücksel’gen Bruderkampfes Schmach.

190
Nun strebe jeder von uns um die Wette,

Die Kraft des Ringes in der neuen Kette
An Tag zu legen, komme dieser Kraft
Mit jeder herrlichen Errungenschaft,
Mit Sanftmuth, herzlicher Verträglichkeit,

195
Mit Wohlthun, unserm Bruderbund geweiht,

Mit innigster Ergebenheit in Gott
Zu Hülf’! Und alle Selbstsucht wird zu Spott,
Die unsern Ring zu brechen sich befleißt;
Denn in uns braust der Liebe Riesengeist.

200
Die tausend tausend Jahre sinb vorbei.

Die Liebe macht uns einig, stark und frei.
Der Richter spricht nicht: Geht! Er spricht nun: Kommt!
Und jeder thue, was dem Ganzen frommt!

So Lessing’s Erbschaft froh zum Opfer bringe

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Dem Vaterland! So ineinander schlinge,

Mein Volk, und schmiede Deine Eisenringe
Zum großen Ring, zur starken Eintrachtskette,
Daß sie uns aus der Schmach zum Heile rette!
Auf! Bilde muthig, fest und trotzig so

210
Den neuen Ring des alten Salomo!



Die Tochter des Fälschers.
Von Carl Heigel.
(Schluß.)


9.

Seit jenem Abend, jenem unglücklichen Abend nach Günther’s Begräbniß, war der Friede aus dem Pastorhause gewichen. Nicht daß heftige Auftritte zwischen Mutter und Sohn erfolgten! Mit stillschweigender Uebereinkunft ward Amanda’s Name nie mehr genannt. Aber trotzdem lag ein Bann auf dem Hause, ein Schatten auf Allen, welche darin aus- und eingingen. Wer früher kummerbeladen die Schwelle betrat, verließ sie wohlberathen, getröstet und erheitert. Das war vorüber! Wohl übte Reinhold mit demselben Eifer seine Pflicht, aber nicht mehr mit dem gleichen Segen! Ach, wie schwer auch erschienen ihm jetzt diese Pflichten! Er mußte zum Gebet, zur Frömmigkeit ermahnen, während sein eigen Gebet vergiftet war. Denn ob er vor der Gemeinde oder in Einsamkeit den Geist zu Gott erhob, immer blieb es beim ohnmächtigen Versuch. Die Lippen beteten, allein die Gedanken stürzten vom Himmel zurück und irrten mit verzweiflungsvoller Hast auf Erden und suchten und verfolgten ein Mädchenbild; nicht das liebliche, heitere Mädchen, das einst seine Stunden versüßte, sondern ein Weib, arm, heimathlos, Kummer und Elend preisgegeben – von ihm.

Von der Kanzel herab starrten seine Augen auf den leeren Platz, wo sie einst lauschend saß, und sein Geist zauberte die blasse, abgehärmte Gestalt hin. Wenn er den Bund eines jungen, glücklichen Paares segnete und sie zur Treue in Freud’ und Leid, im Glück und Unglück, im Leben und Tod ermahnte, brannte ihn der Gedanke an seine Treue, die Leid und Unglück nicht überdauerte! Wenn er Jemanden begrub, führte der Weg am Grab des Mannes vorüber, dessen Tochter er das Herz brach und die zu lieben er dennoch nicht aufhören kann. Sein Amt, ehedem sein Stolz, war jetzt sein Fluch; er wurde blaß und elend unter diesen Qualen, wie das Mädchenbild, das ihn bei Tag und Nacht verfolgte.

Niemand in der Stadt wußte von Amanda’s Schicksal seit ihrem räthselhaften Verschwinden, Niemand sprach von ihr in Reinhold’s Gegenwart. Doctor Michaelis, der nach der erzählten Unterredung das Pastorhaus und seine Bewohner hartnäckig mied, zog im Frühling für immer von hinnen, und Reinhold sah in seiner Abreise – seit Günther’s Tod im trägen, glatten Fluß des Kleinstädterlebens das einzige Ereigniß! – nicht die Befreiung von einem unbequemen Widersacher, sondern das Hinschwinden der letzten

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