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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

so zu sagen, obdachlos, und die souveraine Nationalversammlung des deutschen Volkes irrte in den Straßen umher. Am 13. versammelten wir uns im Kolbischen Saale. An diesem Tage lief wieder eine große Anzahl von Adressen ein, und, was interessanter ist, es stieß eine Anzahl von Ersatzmännern zu uns, um die Lücken einiger Deserteure der letzten Tage aufzufüllen, und unter diesen auch der Ersatzmann des Herrn Römer. Es ist gewiß anerkennenswerth, daß diese Männer sich im letzten und äußersten Momente auf das lecke Schiff begaben, das sich selbst als ein versinkendes bekannte. Wieder am 16. beherbergte uns das Fritz’sche Reithaus, das, ohne daß wir eine Ahnung hatten, vor unserm Einzuge mit Blumen und Gezweige auf das Anmuthigste ausgeschmückt wurde. Es war ein geschmückter Katafalk. Wir sollten nicht zum zweiten Male in diese Räume einziehen.

Am 17., spät Abends erhielt der Präsident Löwe von Calbe im Namen des Gesammtministeriums ein von Herrn Römer unterzeichnetes Schreiben, in welchem dieser verkündigte, „daß das Tagen der hieher übergesiedelten Nationalversammlung und das Schalten der von ihr am 6. d. Mts. gewählten Reichsregentschaft in Stuttgart und Würtemberg nicht mehr geduldet werden könne.“ Die Zuschrift enthält noch immer eine Anerkennung des Rechtes, kann sich aber trotzdem hie und da eine gegen die Nationalversammlung gerichtete höhnische Bemerkung nicht versagen. Wer Herrn Römer für einen tragischen Helden hält, der unter einer Collision von Pflichten leidet, der lese diese Zuschrift, um sich zu überzeugen, daß sich mit dieser Kleinigkeit, mit dieser Verspottung des ohnmächtigen Rechtes, keine Tragik verbinden lasse. Der Präsident ließ diese Zuschrift unbeantwortet. Herr Römer schickte ihm am nächsten Tage, gegen Mittag, wieder einen Zettel zu, um ihn „darauf aufmerksam zu machen“, daß gegen eine Sitzung der Nationalversammlung „die erforderlichen Maßregeln ergriffen werden“. Der Präsident wollte sich hierauf mit den Schriftführern in das Sitzungslocal begeben, um es vor Eröffnung der Sitzung, welche um drei Uhr beginnen sollte, in Besitz zu nehmen, aber schon um ein Uhr wurde er benachrichtigt, daß das Haus bereits von Militär besetzt sei. Doch war von Truppenbewegungen nichts bemerkt worden; die Soldaten hatten sich durch Seiten- und Nebengassen in die Nähe des Fritz’schen Locales geschlichen. Man wußte bald, daß dort verhältnißmäßig bedeutende Truppenmassen aufgehäuft waren, und in den Straßen hieß es, daß man uns Alle niederhauen wolle. Da trat Ludwig Uhland auf. Er forderte den Präsidenten auf, so viele Mitglieder als möglich zu versammeln und sich mit diesen in einem Zuge an Ort und Stelle zu begeben, um die Gewalt an uns sich vollenden zu lassen, und käme es auch auf’s Aeußerste. Wir versammelten uns unter den Bäumen eines gewissen Platzes, den ich, bei meiner damaligen Unbekanntschaft mit der Stadt, nicht näher bezeichnen kann, und setzten uns von da aus in Bewegung. An unserer Spitze schritt der Präsident, ihm zu Seiten zwei Prytanen Deutschlands, die beiden Greise Albert Schott und Ludwig Uhland, zwei Männer, die ein ehrenvolles, fleckenloses, langes Leben hinter sich hatten, das nur dem Kampfe für das Recht, für das Gute und Schöne gewidmet war und das sie auch jetzt, ohne Zaudern der Ungewißheit, einer drohenden Gefahr ruhig und schlicht entgegentrugen. Auf dem Gesichte des alten Schott lag dieselbe Milde, derselbe Ausdruck der Humanität, die dieses Gesicht zu allen Zeiten charakterisirte, dieselbe Heiterkeit, die nur eine attische Bildung, verbunden mit dem Bewußtsein stets erfüllter Pflicht, geben kann. Damit sei aber nicht gesagt, daß sich in diesem sanften Gesichte nicht zugleich eine gewisse Aufregung kund that; das Verbrechen, welches eben an der deutschen Nation begangen werden sollte, ging ja von Römer aus, der der Mann seiner Tochter war. Wenn es Deutschland nicht auffiel, wie klar ein Recht sein mußte, für das ein Mann wie Schott mit dem Reste seiner Tage eintrat, so fehlte es vielleicht nicht an fernen und fremden Völkern, denen seine Gegenwart am Sterbebette der Nationalsouverainetät für uns ein vollgültiges Zeugniß war. Ist es doch dem Aufzeichner dieser Skizze begegnet, daß sich bei ihm, auf ferner griechischer Insel, alte Hellenen nach dem braven, edlen „Skotos“ erkundigten. Und aus der andern Seite des Präsidenten ging Ludwig Uhland, mit jenen großen, strammen Schritten, die man an ihm kannte. Sollte man nicht meinen, daß ein Recht, das von zwei solchen Zeugen begleitet auftritt, von aller Welt erkannt werden müsse? Man sollte es meinen, wenn man nicht wüßte, daß der Eigennutz sich um das Recht und seine heiligsten Zeugen nicht kümmert und daß er, um es zu besiegen, die Gedankenlosigkeit als Mittel gebraucht. Unmittelbar hinter dem Präsidenten und den beiden Greisen ging ich, Arm in Arm mit meinem Freunde Ludwig Simon, kann also als Augenzeuge über die letzten Momente des Parlamentes berichten. Ich wußte, daß wir unserm Ende entgegengingen, und das dicht gedrängte Volk, rechts und links an unserm Wege, flößte mir, trotz aller Zurufe, kein Vertrauen ein. Durch die natürlichste Ideenassociation erinnerte ich mich jenes andern Ganges vom Römer in die Paulskirche bei Eröffnung des Parlamentes – als alle Häuser mit Flaggen und Blumen geschmückt waren, aus allen Fenstern Jubelrufe erschollen, die Musik „Nur gewagt, unverzagt“ aufspielte und Aller Herzen voll großer Hoffnungen waren. Nun will ich es offen gestehen, daß ich mich damals in Frankfurt nicht so gehoben fühlte, wie auf diesem letzten Gange des Parlamentes, der einem Gange zum Schaffote glich. Wir kamen in eine Straße, in der wir das Militär, Infanterie, aufgestellt sahen; während links in einer Seitenstraße Cavallerie wartete. Wir setzten unsern Weg fort, als ob jenes Hinderniß vollkommen unsichtbar wäre, und kamen so an die Reihen der Soldaten, welche die Straße, die zum Sitzungslocale führte, absperrten. Der Präsident mit seinen beiden Begleitern war eben bis auf ungefähr zwei Schritte Entfernung den Soldaten nahe gekommen, als sich deren Reihen plötzlich öffneten und ein älterer Mann mit weißer Binde und einem Papier in der Hand heraustrat und dem Präsidenten verkündete, daß er als Civilcommissär den Auftrag habe, zu erklären, daß keine Sitzung gehalten werden dürfe. Der Mann – Cammerer hieß er – war blaß, und seine Stimme zitterte, wie eines Verbrechers. Kaum hatte er seine Worte hervorgestoßen, als er schon wieder hinter den Soldaten verschwand. Ich glaube, daß er nur noch die Worte „mein Auftrag ist erfüllt“ hervorstotterte. Der Präsident erhob seine klangvolle Stimme und rief: „Ich erkläre“ – hier aber wurde er von Trommelwirbel unterbrochen, wie ein Delinquent, den man nicht zu Worte kommen läßt. Trotzdem rief der Präsident dem Civilcommissär zu: „Sie müssen mich hören!“ und als dieser verschwunden blieb, erhob er die Stimme noch einmal und rief: „Ich protestire gegen dieses Verfahren, als gegen einen Verrath an der Nation!“ und die Worte wurden gehört, trotzdem die Trommelwirbel immer stärker wurden und trotz dem Waffengeklirr. Die meisten Abgeordneten hatten sich indessen nach vorn gedrängt und standen in compacter Masse vor den Soldaten. Eine kleine Episode, die in diesem Momente spielte, scheint von nur sehr Wenigen, vielleicht nur von mir bemerkt worden zu sein, da ich sie in den zahlreichen[WS 1] Berichten, die später im Hotel Marquart erstattet wurden, nirgends erwähnt finde.

Civilcommissär Cammerer, nachdem er hinter den Soldaten verschwunden war, kam auf einen Augenblick wieder zum Vorschein, wandte sich an Ludwig Uhland und sagte ihm, daß, wenn er allein eintreten wolle, ihm der Weg offen stehe. Ich werde die Gebehrde der Verachtung, das wegwerfende Achselzucken, mit dem sich Uhland von ihm abwandte, nie vergessen und ich glaube, daß selbst Herr Cammerer, obwohl ein Mann, der sich zu einem solchen Amte hergegeben, diesen Moment ebenso wenig vergessen werde. Mittlerweile, da die Abgeordneten sich an die Soldaten herangedrängt hatten, commandirte man „Fällt das Bajonnet“ – aber sie gehorchten nur zur Hälfte. Ich bemerkte, daß ein einziger Soldat das Bajonnet so weit sinken ließ, daß es Einen der Herandrängenden beschädigen konnte. Dieser Eine hatte offenbar den besten Willen, sein Bajonnet in Blut zu tauchen; seine Bewegungen, wie der Ausdruck seines Gesichtes verriethen es zu deutlich. Die Anderen aber waren unschlüssig und sahen niedergeschlagen vor sich hin. General Miller bemerkte das wohl ebenso gut wie ich, rief dem Präsidenten, der unbeweglich stand, ein „Fort!“, dann einem Officier in der Seitenstraße ein Commandowort zu, und in demselben Augenblicke sprengte die Cavallerie auf uns ein, während der Officier, der sie führte, „Einhauen!“ conmmandirte und die anderen Officiere fortwährend „Haut zu! Haut zu!“ ausriefen. Doch muß ich der Gerechtigkeit wegen hinzufügen, daß ich einen Officier selber sah, der einem Cavalleristen, welcher auf den Abgeordneten Günther einhauen wollte, in den Arm fiel. Der Abgeordnete Günther nämlich, als die Cavallerie herbeisprengte, warf sich ihr entgegen, riß seine Kleider auf und außer sich rief er den Heransprengenden entgegen: „Haut zu!“

Im Allgemeinen aber hatten auch die Cavalleristen, trotz der beständigen Aufmunterung der Officiere und Unterofficiere, nicht die

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: zahreichen
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 43. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_043.jpg&oldid=- (Version vom 16.9.2018)