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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

Die Tochter des Fälschers.


Von Carl Heigel.


(Fortsetzung)


Amanda war eine jener Frühlingsnaturen, denen der Glaube an das Unglück schwer wird. Lächelnd und sorglos blickte sie in’s Leben, wie in einen grenzenlosen, blauen Morgenhimmel. Wohl überschlich sie manchmal der Gedanke an ein nahes Ende des Vaters, aber das waren vorübergehende, wesenlose Schatten. Es ist unmöglich, dachte sie, als sie einige Stunden später auf ihrem Stübchen über seinen Handarbeiten saß. Gott muß uns den Theuren erhalten, denn das Leben seines Kindes blüht nur auf dem seinen fort. Noch steht er ja im schönsten Mannesalter, und welch ein Mann ist er! Seine Vorgesetzten sehen in ihm nicht den Untergebenen, sondern den Freund, das Muster eines redlichen Beamten. Die Stadt und Bürgerschaft zählt ihn stolz zu den Ihrigen. Der Fürst, unser hoher Nachbar, zeichnet ihn auf jede Weise aus. Mit einem mäßigen Gehalte weiß er sich ein behagliches Dasein zu schaffen, und mich zu bilden, scheut er keine Opfer. Selbst die zarte Sorgfalt der Mutter konnte sein Herz ersetzen; Freude und Friede wichen nie aus diesen bescheidenen Räumen. Jedes von uns Beiden ist dem andern nothwendig; jedes trägt und wird von der höchsten Liebe getragen. Die neue Verbindung mit einer andern Familie ist für den Vater ebenso erfreulich als tröstlich. In einer Vermählung mit Theodor sieht er die Gewißheit, daß seine Grundsätze und Tugenden fortdauern. Und der Himmel sollte ihn, der so viele Fremde glücklich machte, nicht das Glück seines eigenen Kindes erleben lassen? Nein – bald wird er wieder heiter lächeln und genesen, mich als Braut, als das Weib Theodor’s segnen!

Und damit erschlossen sich ihr neue, trostreiche Bilder der Zukunft. Die Nadel entfiel ihren Händen, und das Mädchen lehnte sich zurück, so daß das Sonnenlicht voll auf die braunen Haare, das feine Gesicht und die schwellende Gestalt fiel. Die frischen, recht zum Kuß geschaffenen Lippen öffneten sich über den weißen Zähnen mit einem Lächeln. Die langen Wimpern verschleierten halb die braunen Augen, die auf den gestickten Rosen ihrer Arbeit ruhten, während die Seele rosigen Jugendträumen nachhing. Sie sah sich von einer frisch ergrünten Natur umgeben, Arm in Arm mit dem geliebten Gatten wandelnd.

Als sie in der Dämmerstunde am Bett des Kranken wieder Platz nahm, befremdete sie das stumme, nachdenkliche Wesen, der starre Blick des Vaters. Sein Geist schien der gewohnten Thätigkeit nachzuhängen, denn seine Lippen flüsterten Zahlen, und die Finger schieben auf die Bettdecke Ziffern, schienen sie auszulöschen und wieder zu schreiben.

„Vater,“ brach endlich Amanda die bange Stille, „warum hast Du keinen Blick für mich? Lange schon sitze ich neben Dir, und Du hast meine Anwesenheit noch kaum bemerkt!“

Der Rendant wandte sein Antlitz nach der Sprechenden und sah sie mit großen, fremdblickenden Augen an. „Kommst Du von Scybylski?“ fragte er dann.

„Was hätte ich bei dem zu suchen?“

„Kommt Reinhold nicht?“

„Ja, er wollte Dich Abends besuchen.“

„Wie viel Uhr ist es?“

„Sieben Uhr.“

„Jetzt zieht der Herr Rath auf unserm Büreau den Ueberrock an; der Herr Kreisrichter ist schon fort, der hält niemals länger als bis fünf Uhr aus. Jetzt kommt der Rath an mein Pult. Guten Abend, Herr Kreisgerichtsrath!“ Der Rendant verbeugte sich im Bett vor einer unsichtbaren Person.

„Vater!“ rief Amanda ängstlich und berührte den Arm des wachen Träumers.

„Ja so,“ sagte er traurig, „ich bin krank, und mein Pult steht leer. Ob der Herr Rath wohl im Vorübergehen nach meinem Platz blicken wird? Ich habe ihm Jahr für Jahr und Abend für Abend an derselben Stelle und mit demselben Glockenschlag einen guten Abend und eine Prise geboten. Er ist kein Schnupfer, er mußte jedesmal niesen … Prosit, Herr Kreisgerichtsrath! … Ja so! heute niest er nicht, denn heute ist Niemand da, der ihm eine Prise reicht! Wenn er nur nicht krank deswegen wird! das regelmäßige Niesen that ihm gewiß gut. … Jetzt tritt er an Scybylski’s Pult. …“

Der Kranke richtete sich jetzt krampfhaft empor und starrte mit weit geöffneten Augen in’s Leere. „Was zischelt er mit dem Actuarius? Was blättern sie denn in den großen Büchern? Es sind meine Bücher! Ich will nicht, daß man in meinen Büchern … Alles in Ordnung, Herr Kreisgerichtsrath! Alles in Ordnung!“

Er sank erschöpft in die Kissen zurück. Pastor Reinhold trat ein. Günther erkannte ihn.

„Gut, daß Sie kommen, Herr Pastor. Ich habe eine Gewissensfrage an Sie. Halten Sie das Lotteriespiel für eine Sünde?“

„Als Leidenschaft kann es leicht zur Sünde werden.“

„Glauben Sie aber nicht, daß Gott einem Bedrängten auch auf diesem Wege aus der Noth helfen kann?“

„Wer vermag des Herrn Mittel und Wege zu erforschen?“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 17. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_017.jpg&oldid=- (Version vom 29.7.2021)