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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)


glauben, dessen flache Lavaströme mit ausgewittertem Schwefel und Salzen überdeckt seien; hier konnte keine Täuschung obwalten über den grauenvollen Kampf, in welchem der Schrecken eines durch seine Länge entsetzlichen Winters Sieger geworden über die unterliegende Vegetation. Schnee zeigte sich freilich nirgends mehr auf unserem Wege; nur in der Runse einer seitlichen Schlucht hatte sich noch ein Ueberrest erhalten; aber viele ausgetrocknete Tümpel und kleine mit Wasser gefüllte Teiche zeigten deutlich, daß sie kaum erst durch Schmelzen des Schnees entstanden und vielleicht nur dem heuer außerordentlich günstigen warmen Wetter ihren Ursprung verdankten.

(Schluß folgt.)


Blätter und Blüthen.


Aus dem Leben eines deutschen Thierbändigers. Es war im Herbste 1848, nach der Beendigung des mexicanischen Krieges, als ich mit einem Trupp Reconvalescenten von Veracruz in New-Orleans eintraf. Nachdem ich meine Amts- und Berufsgeschäfte beendigt und die Leute dem Vereinigten-Staaten-Inspector übergeben hatte, nahm ich mir vor, zu meiner eigenen Erholung einige Tage in dieser Stadt zu verweilen und die Ankunft der Peytona abzuwarten, mit deren Capitain ich befreundet war, um mit diesem prachtvollen Dampfboote die Reise stromaufwärts anzutreten. Das gelbe Fieber zeigte sich freilich wieder in New-Orleans und fing nachgerade an epidemisch zu werden, indessen wer die Hölle des vomito prieto in der tierra caliente Mexicos mitgemacht hat, pflegt sich vor dem Fegefeuer nicht mehr zu fürchten. So schlenderte ich denn eines Tages wohlgemuth über den französischen Markt, als meine Aufmerksamkeit plötzlich dadurch rege wurde, daß ich die Menschen scheu von dem Seitenwege ausbiegen sah. Die Ursache davon wurde mir bald klar, als ich einen Mann von hohem Wuchs daher schreiten sah, dem ein mächtiger Jaguar wie eine große Dogge folgte, wie ein wohl dressirter Hühnerhund[WS 1] dem Jäger. Auf eingezogene Erkundigungen erfuhr ich, daß dieses der berühmte Thierbändiger Herr Driesbach sei, der am Abend im amerikanischen Theater eine Vorstellung geben werde und die Ausgänge mit der wilden Bestie zuweilen benutze, um Reclame für sich zu machen. Da Herr Driesbach ein Deutscher und folglich ein Landsmann von mir war, und die Anschlagzettel Außerordentliches verhießen, so konnte ich der Versuchung nicht widerstehen, hinzugehen, obgleich ich van Amburgh und andere Künstler der Art schon oft gesehen hatte.

Ich hatte mir, um besser schauen zu können, einen Platz in der vordern Reihe der Sperrsitze genommen, und da ich zeitig genug gekommen war, fand ich reichlich Gelegenheit, vor dem Anfange des Stücks meine Bemerkungen über das schaulustige Publicum von New-Orleans zu machen. Da in kluger Berechnung, um das Theater noch mehr mit dem den Sport und gewaltige Aufregung liebenden Theile der Bevölkerung zu füllen, vor dem Auftreten Driesbach’s noch ein Spectakelstück „die corsicanischen Brüder“ gegeben wurde, so kann man sich wohl denken, daß das Parterre und die obern Gallerien mit jener Gentry überfüllt waren, die man gewöhnlich bei Bärenhetzen, Hahnenkämpfen, Preisgefechten und dergleichen Vergnügungen der Südländer eifrig wettend am Platze findet. Da fehlten nicht die ledernen Helme der Feuerleute, noch die wildscheuen Gesichter jener Loaser, die eine transatlantische Ausgabe der neapolitanischen Camorristen vorstellen könnten. Im ersten Range schauten die feurigen Augen jener Creolinnen hinter den bunten Fächern hervor, welche den unerfahrenen Nordländern bei dem ersten Anblick durch ihre wahrhaft classische Schönheit imponiren, duftige Rosen mit vergiftetem Stachel, denen aber ein vernünftiger Deutscher jedenfalls die tugendhafte Petersilie der Heimath vorzieht. Auch Neger und mit bunten Kopftüchern geschmückte Sclavinnen machten sich oben im Paradiese über das Publicum im Parterre lustig, zeigten grinsend ihre weißen Zähne und unterhielten ein fortwährendes Bombardement mit Orangen. Nichts konnte die fieberhafte Spannung übertreffen, mit der die Zuschauer der Handlung des Stückes folgten, und als fast in jedem Acte Mord und Giftmischerei vorkam, war des Beifallklatschens kein Ende. Zuletzt, als in der letzten Scene der Zwillingsbruder des gemeuchelten Corsen dem Todfeind seiner Familie erscheint und von diesem für den Geist des von seinen Händen Gefallenen gehalten wird, war des Jubels kein Ende, denn die New-Orleanser haben starke Nerven. „Give it to him, tuez, mata,“ tönte es von allen Bänken, und selbst die zarten Creolinnen lehnten sich weit über die Einfassung der Logen heraus, um ja den unblutigen Bühnenmord recht zu genießen. Kurz und gut, es war eine Scene, welche einen deutschen Hoftheaterintendanten und ditto Polizeicommissair zur Verzweiflung gebracht haben würde.

Endlich rollte der Vorhang auf. Ich hatte erwartet, daß das Proscenium jetzt durch ein sicheres eisernes Gitter oder eine ähnliche Vorrichtung von dem Orchester und dem Publicum abgesperrt sein würde, allein von alledem war keine Spur zu sehen, die Musiker intonirten ruhig „Eine feste Burg ist unser Gott“, und die Decorationen stellten eine wilde Waldgegend, ähnlich wie die Wolfsschlucht dargestellt wird, vor. Mag es die majestätische Melodie gewesen sein oder spannende Erwartung, oder vielleicht auch Furcht, die bei solchen Schauspielen selbst den Muthigsten befällt, es wurde still im ganzen Hause. Da erschien nun Driesbach aus der Seitencoulisse in der Tracht eines römischen Haussclaven aus der Kaiserzeit, schritt wie ein auf den Tod Ermüdeter wankend über die Bühne und sank endlich betend auf die Kniee, während man in der Ferne dumpfes Hundegebell und den Lärm der Verfolger hörte. Der gehetzte Christensclave konnte nicht weiter, das Getöse der Suchenden verlor sich, und der ermattete Mann, nachdem er noch einen Blick des Dankes nach oben gerichtet hatte, legte sich am Fuße eines Felsens zur Ruhe und versank in tiefen Schlummer. So weit war die Pantomime meisterhaft ausgeführt und hätte dem größten Schauspieler Ehre gemacht, nun kam aber die Reihe an das wilde Thier. Auf einmal hörte man das grollende Knurren des Tigers, der dicke Kopf des Raubthiers erschien in einer finstern Spalte, keine 6 Fuß über dem Haupte des ruhig Schlafenden, und ein Paar grüner Augen reflectirten den sparsamen Schein der Gasflammen in unheimlicher Weise. Immer deutlicher entwickelte sich die kolossale Gestalt des buntgefleckten Jaguars aus dem dunkeln Felsrisse, schon sah man, wie die Bestie sich die breiten Flanken mit dem geringelten Schwanze peitschte, da machte der Schläfer eine Bewegung, und der Tiger sprang unter entsetzlichem Gebrüll auf seine eingebildete Beute hinab. … Doch in demselben Augenblick fiel der Vorhang blitzschnell herunter und entzog dem athemlos hinstarrenden Publicum den Anblick des scheinbar so ungleichen Kampfes. Der großen Stille folgte nun ein gewaltiges Toben, Alles schrie und applaudirte durcheinander, die zarten Ladies klatschten, daß ihnen die Handschuhe an den zierlichen Händen platzten, und die Musik begann das „star spangled banner“ zu spielen. Als der Vorhang wieder aufging, sah man ein anderes nicht minder aufregendes Tableau. Der Jaguar stand aufrecht auf den Hinterfüßen, scheinbar im verzweifelten Ringkampf mit seinem Gegner begriffen, der ihn an der Kehle gefaßt hatte. Jetzt konnte man die massige Größe des Thieres ermessen, welches den großen und breitschultrigen Driesbach fast um eine Kopflänge überragte. Diese Scene, welche einen Tiberius in Entzücken versetzt haben würde, dauerte nur eine Minute, da der Vorhang gleich wieder fiel, doch lange genug, um der Rohheit eines Theils des Publicums vollen Spielraum zu geben. Aus dem Parterre heraus riefen mehrere Stimmen „sicke, sicke,“ ein Ausruf, dessen sich die Sportsmänner bedienen, um bissige Hunde auf einander zu hetzen, und der ungefähr dasselbe bedeutet, wie das deutsche „Pack an“. Das dritte Tableau stellte den vollständigen Sieg des Menschen über die wilde Bestie dar, indem der Tiger platt auf der Seite lag, den Kopf auf der Erde, und Driesbach in imponirender aufrechter Haltung demselben den rechten Fuß auf den Nacken setzte, während er verächtliche Blicke nach der Gegend warf, aus welcher jene brutalen Rufe gekommen waren. Im zweiten Theile der Vorstellung spielte die bekannte Geschichte des Androclus, der dem Wüstenkönig den Dorn aus dem Fuße zieht. Nero, der maroccanische Löwe, spielte seine Rolle ausgezeichnet und brüllte, als er auf den entflohenen Sclaven losgelassen wurde, so natürlich, daß das ganze Haus bebte. Wie es Driesbach dahin gebracht hat, daß das anscheinend so wüthende Thier plötzlich zur größten Sanftmuth überging, ist mir noch heute unerklärlich, obgleich ich seither in manche Geheimnisse der Thierbändiger eingeweiht wurde. Jedenfalls war des Arrangement der beiden Tableaux, welche die Höhle des Androclus und ein Segment des Circus maximus vorstellten, künstlerisch gehalten, abgesehen von der wundervollen Gelehrigkeit des Löwen, welcher seine Rolle mit der Gefühlsfrische und dem Pathos eines Devrient spielte. Wie sehr Driesbach seine Thiere in der Gewalt haben mußte, ging daraus hervor, daß die Coulisseschieber im unbedingten Vertrauen auf denselben ihre Pflicht thaten, als wenn Rochus Pumpernickel über die Bühne ritte, und daß die Musiker dicht unter dem Proscenium ruhig fortspielten, ohne bei dem Brüllen der Bestien aus dem Takte zu kommen; ob letztere selbst nicht aus dem Takte kommen würden, wenn man ihnen eine Hammelkeule auf die Breter werfen würde, möchte ich dahingestellt sein lassen.

Einige Jahre später fügte es der Zufall, daß ich mit Driesbach wieder in einer großen westlichen Stadt zusammentraf und dessen nähere Bekanntschaft machte. Ich erfuhr von ihm, daß er in früher Jugend mit seinem Vater, einem verabschiedeten Officier des ehemaligen Königreichs Westphalen, in das Land gekommen sei. Letzterer sei bald darauf gestorben, und so habe er sich als mittelloser Waisenknabe einer englischen Circustruppe angeschlossen, mit der er herumgezogen sei, bis ihm der Zufall „Cuvier’s Naturgeschichte des Katzengeschlechts“ in die Hände gespielt habe. Von da an habe er ein ungewöhnliches Interesse an diesen Thieren genommen und deren Naturell genau studirt. Kein Raubthier ist so wild, daß der energische und intelligente Beobachter es nicht vollständig zähmen könnte. Auf meine Frage, ob er sich denn geheimer Mittel und Kniffe bediene, um seine Löwen und Tiger zu zähmen, antwortete er: „Ja, ja, ich kenne sie alle, aber sie taugen sammt und sonders nichts! Da rühmt sich der Eine, er könne den Bestien ein Schaf in den Rachen halten, ohne daß dieselben zugriffen. Das geht ganz natürlich zu; man schmiert den Hammel mit Terpentinöl ein, und da schaudern begreiflicher Weise die Thiere zurück. Das mag hundert Mal gut gehen, aber einmal doch hat der Tiger den Schnupfen, riecht nichts und faßt zu, wobei es sich sehr gut ereignen kann, daß er dem Manne den Arm abbeißt. Die Hauptsache ist, daß die Thiere vor jeder Vorstellung gut gefüttert werden, die magnetische Macht der Augen und die Kraft der Arme kennen lernen und das Glüheisen fürchten. Ich glaube an die Seelenwanderung und vermuthe, daß ich in einem frühern Leben einmal so eine wilde Bestie gewesen bin, und so kommen diese mir oft vor, als wenn sie meine Basen und Vettern waren, und ich behandle sie danach. Auch die Sprache der Thiere glaube ich zu verstehen. Das tiefe Knurren des Löwen, welches vom Publicum für verkappten Grimm gehalten wird, erscheint mir als das innere Behagen einem Mannes, der sich satt gegessen hat. Ich bin überzeugt, daß mein Jaguar jedes meiner Worte versteht, wie ich auch alle Modulationen seines Brüllens zu deuten weiß.“

Als ich nun zu erfahren suchte, ob er nie in Gefahr gewesen sei, von seinen Zöglingen zerrissen zu werden, sagte er: „Nie! ausgenommen es war denn menschliche Bosheit im Spiel. Glauben Sie, die vierfüßigen Bestien fürchte ich nicht, aber sie werden mitunter von zweifüßigen verführt, und diese flößen ihnen ihre eigene Bosheit ein. Sehen Sie,“ fuhr er fort, indem er seinen linken Aermel aufstreifte und mir eine häßliche große Narbe am Vorderarm zeigte, „diese Wunde verdanke ich der Niederträchtigkeit eines Geschöpfs, das ich längere Zeit in meiner Menagerie beschäftigte und dem ich immer freundlich entgegen gekommen war.“

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Hüherhund
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 15. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_015.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)