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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

auch unser kleines Segelboot zu bemannen und sich gehörig mit Proviant zu versehen für alle Fälle. Auch durfte die Flasche Champagner, die auf dem Nordcap geleert werden sollte, nicht vergessen werden. Die Stunde der Abfahrt wurde auf 9 Uhr Morgens festgesetzt.

Vergebens erwarteten wir am andern Morgen das große Boot. Leopold von Buch klagt schon über die guten Stunden, welche er über langwierigen Vorbereitungen mit Lappen und Normännern habe verlieren müssen. Auch hier schienen dieselben Klagen ihre Stätte zu finden. Zehn Uhr vorüber und kein Schiff zeigte sich. Man glaubte an ein Mißverständniß und ruderte hinüber. Aber die Verabredung ist ganz richtig verstanden worden; nur sind die Leute spät vom Fischfang heimgekommen, haben essen müssen – und was dergleichen Gründe mehr sind. Endlich erscheint das Boot um elf Uhr an unserem Bord, mit vier Ruderern bemannt, welche ihre keinen Löffel (denn Ruder kann man die Dinger wohl nicht nennen) mit ziemlicher Geschwindigkeit handhaben. Wir wollen einsteigen – kein Sitz. Wahrscheinlich hatten sich unsere Ruderer eingebildet, wir würden nach Art der Lappen uns auf dem Breterboden, der im Hintersteven angebracht war, auf die Fersen in die Runde hocken und so die Meile zurücklegen. Es müssen noch Sitze mit Koffern und Bretern improvisirt und damit wieder eine kostbare Zeit verloren werden.

Endlich sind wir fertig. Der Capitain und Berna besteigen unser keines, mit zwei Mann besetztes Segelboot, wir Andern suchen im großen Boot uns einzurichten. Der Wind ist uns nicht günstig, wir müssen nach dem Tufjord hin kreuzen.

Anfangs gewinnt unser großes Boot scheinbar einen bedeutenden Vorsprung. Das einzige große Segel, das es besitzt, zieht gewaltig, und die vier Ruderer arbeiten aus Leibeskräften, um uns nahe an dem Winde zu halten. Bald aber zeigt es sich, daß unser Blankeneser Boot mit seinem dreieckigen Fock- und schiefen Hauptsegel sich viel näher an den Wind legen und schneller wenden kann, als das plumpe norwegische Fahrzeug. Der Capitain schießt mit seiner Nußschale zwischen Scheeren hindurch, um welche wir langsam herumluven müssen, und wie wir endlich, bei fast vollkommener Windstille, im Tufjord anlangen, sehen wir den Capitain schon gegenüber am Ufer hinkreuzen und auf eine Bucht hinsteuern, welche noch ferner als diejenige war, an der wir landen sollten. In der That langen wir auch trotz dieses Umwegs eine Viertelstunde später am Landungsplatze an, der in einer kleinen Bucht am östlichen Ende des Fjords lag.

Der Marsch ward angetreten. Die Felsen, auf denen wir mit Beschwerde landeten, die steilen Ufer ringsum bestanden aus grauschwarzem, feinkörnigem, leicht verwitterbarem Gesteine, dessen Schichtenköpfe nach Norden schauten, so daß überall im Tufjorde die Neigung der Schichten und ihr Einschießen gen Süden deutlich zu erkennen war. Ueber die mineralogische Beschaffenheit dieses Gesteines, welches das ganze Massiv von Nord-Mageroe bildet, möchte ich nicht streiten. L. von Buch behauptet mit Bestimmtheit, nördlich von Hammerfest komme kein Glimmerschiefer sondern nur Gneiß und Thonschiefer vor; allein schwer würde es werden, am Gesteine des Tufjords nachzuweisen, daß es kein Glimmerschiefer sei, und wenn Einer uns sagte, es sei glimmeriger Sandstein, so könnte man ihn auch nicht widerlegen. So zermahlen und zerrieben sind die Bestandtheile, welche diesen dunkelgrauen, geschichteten Stein bilden, daß man wohl Glimmer, Quarz, Feldspath darin unterscheiden, aber nicht deutlich sichten und erkennen kann. Außerordentlich deutlich ist aber überall die Schichtung und die Einlagerung von Schichten fleischrothen, massiven Granites, die der Wand des Tufjordes aus einiger Ferne das Ansehen geben, als wäre es eine Wand von Liasschiefer mit Einlagerung von derbem Liaskalke. Und das ist ja wohl eine merkwürdige Erscheinung! Ist es doch, als ob die Natur mit deutlichen Zügen in die nördlichsten Blätter des europäischen Steinbuches die Metamorphose der Gesteine hätte eingraben wollen. Freilich enthalten diese bis zur gänzlichen Zerstörung ihres ursprünglichen Gefüges umkrystallisirten Gesteine keine Versteinerungen, welche uns über ihr Alter und ihre Einreihung in die Zeitalter der Erde belehren könnten; – aber daß diese krystallisirten Schiefer einst versteinerungshaltige Mergel oder Thonschiefer, die granitischen eingelagerten Schichten einst derbe Kalke waren, das wird unmittelbar Jedem klar werden, der die Wand von einer Entfernung aus betrachtet, wo ihm die Existenz von Versteinerungen doch entgehen mußte. Ganz gewiß aber wird Angesichts einer solchen Einlagerung continuirlicher Granitschichten in Schiefermassive kein vernünftiger Mensch behaupten können, daß der Granit ein eruptives Gestein sei, das, aus den Tiefen der Erde emporgeworfen, die Schichten der Erde in die Höhe gehoben habe. Nein! hier ist gewiß der Granit an Ort und Stelle gebildet, durch langsame, allmähliche Umwandlung, Metamorphose der ursprünglichen Schichten, die sich aus dem Wasser abgesetzt hatten.

Wir stiegen langsam einen steilen, aus großen Blöcken zusammengehäuften Schuttkegel hinan, neben welchem ein Bach durch den steilen Thalriß in die Bucht niederrauschte. Von einer alten Strandlinie, wie wir deren so viele bisher gesehen hatten, fand sich keine Spur; auch gestattete die üppige Vegetation, welche den Kegel deckte, nicht zu untersuchen, ob wir uns etwa auf einer Gletschermoräne befänden, die das Thal beinahe sperrte. Es war eine Art nordischer Maienwand, die wir mühsam hinankletterten. Der steile, gen Süden gerichtete, gut bewässerte Abhang, auf dem die Verwitterung des Gesteines eine vortreffliche Dammerde erzeugt hatte, war reich überwuchert von kriechenden Weiden, Zwergbirken, Heidelbeeren und ähnlichem an dem Boden hinschleichenden Gesträuche, zwischen dem blaue Wicken, rothe Feuernelken, weiße Kopfnelken in anmuthigem Wechsel blühten. Die Engelwurz (Angelica), welche den Lappen so werth ist, daß jeder von der Rennthierhut heimkehrende Bräutigam, Gatte und Vater der Familie einige Blumenstengel zum Kauen und Aussaugen mitbringt, treibt hier Stengel von mehreren Fuß Höhe. Gewiß, könnte die Birke oder ein anderer Baum in diesem Klima gedeihen, an diesem Abhange müßte er stehen. Aber nichts der Art zeigte sich. Was mehrjähriges Holz hat, schleicht am Boden hin und drückt sich in die Spalten zwischen den Felsblöcken, und nur die krautigen Stengel, die innerhalb der kurzen Sommerfrist aufschießen und verdorren, wagen ihr Haupt über die feste Fläche in die Luft zu erheben.

Das erste Ansteigen war mühsam und beschwerlich. Der Fuß rutschte in die Spalten und Klüfte, welche zwischen den Steinen von Moos und Kraut versteckt sich hinzogen, und oft mar man genöthigt, kletternd mit den Händen eine Stufe zu erklimmen. Voran schritten die beiden Führer, schwer bepackt mit Speise und Trank; ihnen nach eiferten die Jäger, Berna, Herzen und der Capitain mit dem Maler um dem Vorrang, der vergebens seine Zeichenmappe schleppte. Den Nachtrab machten Greßly und Vogt, eben so sehr durch die Untersuchung der Gesteine und Gewächse, als durch die Schwere des Körpers und die beginnende Steifigkeit des alternden Gebeines zurückgehalten.

Nach einer schweren Stunde mühsamen Aufkimmens hatten wir die Höhe des Fjeldes erreicht und schritten nun, leichter athmend, über ödes Steingeklipp rüstig vorwärts. Die Flächen dehnten sich fast unabsehbar nach allen Seiten hin als Plateau aus, das nur geringe wellenförmige Modulationen zeigte. Die zu kuchenförmigen Stücken verwitterten Gesteine lagen fast wie Pflaster eines Provinzialstädtchens neben einander, und nur in den Fugen keimte mühselig, wie in einem mittelalterlichen, verlassenen Schloßhofe, kümmerliches Gras und spärliches Moos. Nur hie und da zeigten sich riffähnliche Rücken, in welchen die schroff gebrochenen Schichtenköpfe zu Tage traten, oder blendend weiße Massen und Flecke, die man für Schnee oder Eisklumpen hätte halten können, wenn nicht die genau begrenzte, scharfeckige Gestalt über die härtere Natur belehrt und die warme Temperatur die Unmöglichkeit der Erhaltung solcher Winterreste gezeigt hätte. Es waren Massen krystallisirten Quarzes, die bald in Nestern, bald in Gängen sich vorfanden, der Verwitterung besseren Widerstand leisteten, als das weiche Schiefergestein, und so über die Flächen hervorragten als redende Zeugen der Abtragung, die diese erlitten. Wir überschritten einzelne dieser Quarzgänge, die in gerader Richtung, so weit das Auge reichte, wie Mauern über das Fjeld hinliefen und einige Fuß über die allgemeine Bodenfläche emporzuragen schienen.

Wenn auch in vieler Beziehung ähnlich den Fjelden, die wir auf Dovre zwischen Jerkind und dem Sneehättan überschritten hatten, so zeigte sich doch mancher Unterschied. Dort deckte Rennthiermoos und isländisches Moos fußhoch die öden Flächen und überzog sie mit hell schwefelgelben und weißen Farben, zwischen denen die dunkeln Gesteine und Moortümpel mit ihren braunen und schwarzen Tinten hervorstachen, wie Flecken auf dem Felle des Panthers; hier war Alles grau in grau, denn die spärliche Vegetation konnte gegen die allgemeine Wirkung des nackten Gesteins nicht aufkommen. Dort konnte man sich zuweilen in die Nähe eines Vulcanes versetzt

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 14. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_014.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)