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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

zu durchwandeln bis das Beil ihn befreite. Schrecklicher Contrast! Die glanzvollen Säle der Hofhaltungen Berlins, Petersburgs, Wiens! – im Besitze der zärtlichen Zuneigung einer hohen, edlen Dame, gesucht von vielen anderen Schönen, strahlend in der glanzvollen Uniform der fürstlichen Krieger, frei nach tausend überstandenen Gefahren, und nun – – die zähneklappernde oder verzweifelte, resignirte oder freche Gesellschaft der Todescandidaten des Nationalconvents, das dumpfe, unheimliche Gewölbe als Wohnung, die fadenscheinige, besudelte Kleidung und der wurmstichige Schemel – im Gefängnisse von St. Lazare! –

Trenck’s Schicksale, in Deutschland so populär geworden, waren auch in Frankreich bekannt. Zu jener Zeit, die ebenso reich an großen und bedeutenden, als scheußlichen und entwürdigenden Ereignissen war, fanden Männer wie Trenck in allen Kreisen der Gesellschaft Theilnahme. Man fragte nicht, ob sein Leben frei von jedem Vorwurfe sei, ob er sein Schicksal verdient oder verschuldet habe (und Letzteres war großentheils der Fall); es genügte, daß es schrecklich genug gewesen, um den Greis, dessen Silberhaare man mit Achtung betrachtete, in Frankreich freundlich aufzunehmen. Aber er war Robespierre entgegengetreten, und das erforderte, ihn unter Anklage „der versuchten Wiederherstellung des Königthums und der Aufwieglung der Gefangenen von St. Lazare“, im Verein mit noch 29 Unglücksgefährten, zu stellen. Robespierre ging mit furchtbarer Entschiedenheit vorwärts. Ihm genügte die Anzahl der Opfer nicht mehr. Es mußten unter denselben auch Leute von Ruf sein. Was nur irgend von Bedeutung in Paris aufzufinden war, das suchte man unter die Guillotine zu bringen. Trenck erfreute sich, wie gesagt, einer großen Beliebtheit in den Stadttheilen, welche er gewöhnlich besuchte. Die Männer von Ruf fingen an, selten in Paris zu werden. Er mußte fallen.

Friedrich von Trenck.

Noch 29 Namen rief der Ausrufer. Dann steckte er seine Liste in die Brusttasche, nahm eine ungeheuere Prise, zog eine Glocke, deren Strang an der Seite des Gefängnißeinganges herabhing, und verließ die Halle.

Wenige Minuten später öffnete sich wieder die Thüre; auf dem Corridor gewahrte man eine doppelte Reihe von Nationalgardisten aufgestellt. Die bezeichneten Gefangenen traten aus der Barre und zwischen die Soldaten, das Commando „Marsch“ ertönte, und die Gefängnißthür schloß sich vor den Zurückbleibenden. Sie sollten ihre Unglücksgefährten nicht wiedersehen. –

Trenck hatte durch keine Miene irgend eine Bewegung geäußert. Als aber der Ausrufer die Halle verlassen hatte, als die Geforderten Abschied von ihren Freunden, Verwandten nahmen, die unter dem Haufen der Zurückbleibenden sich befanden, als Thränen und Seufzer auf’s Neue sich zeigten und hundert zitternde Hände sich nach der Barre ausstreckten, die zwischen dem Gitter hervorkommenden Hände noch einmal zu drücken, da winkte Trenck einem feinen jungen Manne, der gedankenvoll an einem Pfeiler der Halle lehnte.

„Mein lieber Graf Baylus,“ flüsterte er, „nehmen Sie dieses hier, als ein Zeichen meiner Freundschaft. Es ist das letzte Geschenk der Prinzessin Amalie, meiner Wohlthäterin, meiner Freundin. Ich bewahrte es lange. Bewahren Sie es ebenso lange zum Zeichen eines ehrenvollen Andenkens für mich und für Sie.“ Mit diesen Worten überreichte er dem Grafen eine schöne, mit dickem Goldrande verzierte Dose von Schildpatt.

„Theuerster Baron,“ rief Baylus, „warum wollen Sie sich von dem werthvollen Gegenstande trennen?“

„Nehmen Sie es. Ich vermache es Ihnen. Ich bin ein Sterbender; ehren Sie meinen letzten Willen. Wir sehen uns nie wieder. Mein Kopf wird fallen.“

„Aber, theurer Baron, in dieselbe Anklage wie Sie verwickelt, steht mein Kopf nicht fester als der Ihrige.“

„Ich weiß es. Aber mir ahnt es, Sie werden gerettet. Ich, Baron – ich werde sterben.“[1]

Vor dem Gefängnisse, zwischen den lauernden Volkshaufen angelangt, ward Trenck vor allen Andern erkannt. Man rief ihm zu. Man applaudirte ihm. „Singt das Ça ira, langer Preuße!“ „Er ist ein Spion!“ „Es muß sich erst zeigen, ob er kein Patriot ist!“ So rief der Pöbel durcheinander.

Im Sitzungssaale angelangt, warf Trenck seine Augen umher. Dieselbe Begleitung wie auf der Straße. Männer, Weiber, Kinder. Auf den Gallerien Zuschauer, in den vordersten Reihen Mütter, welche ihre Kinder säugten und dabei gespannt auf die Richter blickten. Man gewahrte, vom einfachen schwarzen Kleide an bis herunter zum Hemdärmel des Sections-Mannes, alle ungeheuerlichen Trachten jener Zeit. Die Schreiber trugen rothe Mützen; rothe Mützen tauchten überall aus dem Haufen der Zuschauer auf, eine rothe Mütze trug die Büste Marat’s, welche hinter dem Gerichtstische auf einer Konsole prangte und das blutgierige Auditorium angrinste, und an der Spitze der über Marat angebrachten dreifarbigen Fahne hing eine rothe Mütze. Widerliche Gerüche, heisere Stimmen, eine erstickende Temperatur, die furchtbaren Gesichter – dies Alles vereinigte sich, um den Sitzungssaal zu einem noch schrecklicheren Aufenthalte als das Gefängniß selbst zu machen. Die Glocke tönte. Tiefe Stille trat ein. –

Der Syndicus Hermann erhob sich. Er verlas die Anklage. Dann wandte er sich an den ihm zunächst stehenden Gefangenen, dessen hoher Wuchs das greise Haupt weit über die Bajonnete der Wachen emporragen ließ. Dieser Kopf, dieses Antlitz, schon dem Messer verfallen, erregten allgemeine Aufmerksamkeit. – Keine Furchen hatte das Schicksal hineingegraben. Es war wie versteinert. Diese Mundwinkel konnten nicht mehr zucken, diese Stirn runzelte sich nicht mehr, nur das Auge und die Zunge vermochten es auszudrücken, was der Mann getragen, was er jetzt empfand.

„Ihr Name, Alter und Stand?“ fragte Hermann.

„Baron Friedrich von Trenck, geboren zu Königsberg im Jahre 1726; früher Officier in preußischen und österreichischen Diensten; jetzt Literat.“

„Angeklagter, Sie stehen in Verdacht, mit den Königen Europas einen verbrecherischen Briefwechsel zu unterhalten. Eines Ihrer Schreiben ist aufgefangen worden; es wird Ihnen durch den öffentlichen Ankläger vorgelegt werden. Sie sprechen sich in diesem Schreiben sehr zweifelhaft über die Ereignisse der letzten Tage aus.“

„Der öffentliche Ankläger ist getäuscht worden. Kein Schreiben von mir hat die deutsche Grenze passirt. Ich bin seit langen Jahren schon kein Gast mehr in den Palästen der Fürsten. Wollen die Herrscher Europas den Zustand Frankreichs kennen lernen, so werden sie nicht bei mir, dem Freunde des Volkes, sich Auskunft erbitten. Hier seht, Bürger, die Wundmale, welche die Kerker meinen Gliedern aufgedrückt haben, und gegen die Befreier aus Kerkern sollte ich diese Hände erheben? Das könnt, das dürft Ihr nicht glauben.“

Trenck streifte den Aermel zurück. Er erhob seine immer noch muskulösen Arme hoch in die Luft. Die Zuschauer erhoben sich von den Sitzen. Sie gewahrten an den Knöcheln der Arme braune Ringe. Es waren die Spuren, welche die Handschellen aus der Magdeburger Sternschanze hinterlassen hatten. Diese Vorgänge erschütterten die Richter; Trenck’s Worte, mit sonorer Stimme gesprochen, brachten unter den Zuschauern ein Gemurmel des Beifalls hervor.

„Können Sie leugnen, daß Sie der Korrespondent Joseph’s II. gewesen sind?“

„Das war ich, ich bin es aber nicht mehr. Vergönnen Sie mir das Wort, Bürger Procurator, und ich werde die Ankläger zum Schweigen bringen.“

Jetzt erhob sich, links vom Gerichtstische, schnell wie eine Natter in die Höhe fahrend, ein Individuum, dessen scheußliches Antlitz das Blut in den Adern erstarren machte. Das waren Züge, wie sie sich eigneten für die Henker jener Zeit, die man so bezeichnend „die Schreckenszeit“ getauft hat. Es war, als schwebe


  1. Die Aussage ging in Erfüllung. Baylus kam nach drei Tagen frei, da Robespierre’s Einfluß bereits sank. Der Graf bewahrte die Dose heilig. Er hatte nur die goldene Einfassung abgetrennt und solche seinen Wächtern gegeben, um ihre Habsucht nicht zu reizen, welche sonst die ganze Dose an sich gerissen hätten.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 9. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_009.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)