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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)


Genius, daß er den Menschen und den Dingen, die mit ihm in längerer Berührung sind, den leuchtenden Stempel seines Wesens für alle Zeit aufprägt, daß er gleichsam Alles in seiner Nähe mit dem Goldglanze seiner Sonnenstrahlen überkleidet.

So hat Jean Paul Richter der Frau Dorothea Rollwenzel und ihrem kleinen Hause die Unsterblichkeit gesichert.

In den spätern Jahren ging der Dichter gewöhnlich nur noch Nachmittags zur Rollwenzel und nur einige Male in der Woche. Wenn ihn Krankheit an seine Stadtwohnung fesselte, und in der letzten trüben Zeit, als sein Augenlicht erloschen war, kam auf seinen Wunsch die kleine alte Frau zu ihm, und es gereichte ihm zur Befriedigung, sich mit ihr in der alten muntern Weise unterhalten zu können. Sie überlebte ihn vier und ein halbes Jahr und starb 74 Jahre alt, am 22. April 1830. –

Das kleine Haus, auch jetzt noch eine häufig besuchte Schenke, ziert eine dunkle Marmortafel mit der vergoldeten Inschrift: „Rollwenzel’s Haus. Hier dichtete Jean Paul.“ Im Volksmunde heißt das Haus aber „die Rollwenzel“ oder „die Rollwenzelei“. Die Jean-Paul-Stube, jahraus, jahrein von vielen Verehrern des Dichters aus allen Landen besucht, ist so erhalten, wie er sie verlassen hat, und man bewundert mit Rührung den einfachen, genügsamen Sinn des unsterblichen Dichterfürsten. Man findet seine Büste und sein Bild in der Stube, darunter das kleine Bild der Frau, deren Namen mit dem seinigen so merkwürdig verbunden ist. Ein Album nimmt die Namen der Besucher auf. Daneben liegt eine Handschrift des Dichters nebst einigen Büchern von ihm und über ihn.

Voraussichtlich werden das Rollwenzelhaus und die Jean-Paul-Stube darin Orte angemessener Feierlichkeiten am hundertjährigen Geburtstag des Dichters und die Erinnerungen an ihn und seine Freundin aus dem Volke lebendig aufgefrischt werden. Die Wallfahrt nach diesen durch den großen Mann geheiligten Localitäten werden bis in die spätesten Zeiten fortdauern, und an Frau Rollwenzel wird Schiller’s schöner Spruch in Erfüllung gehen:

„Mit dem Philister stirbt auch sein Ruhm. Du ewige Muse
Hebst, die dich lieben, die du liebst, in Mnemosyne’s Schooß.“



Des Freiherrn von Trenck letzte Stunden.
Nach den Acten des „Droit public“ und archivarischen Mittheilungen.


Die Trommeln der Nationalgarde rasselten vor dem Gefängnisse St. Lazare zu Paris. Eine große Menge Volks harrte vor den Pforten der unheimlichen Wohnung, um die Angeklagten zum Verhöre abführen zu sehen; ja, obgleich die Blutmenschen der Schreckenszeit bereits so an Hinrichtungen gewöhnt waren, daß ein Wagen voll Schlachtopfer der Guillotine kaum noch die Aufmerksamkeit erregte, so herrschte doch heute eine ungewöhnliche Bewegung unter den Massen. Die scheußlichen Weiber, die Pikenmänner, die Patrioten in der phrygischen Mütze und schmutzigen Carmagnole mit den Labots an den Füßen, die entarteten Kinder, deren Jugend unter Anschauung der Blutscenen verfloß, diese Alle wogten und kreischten, heulten und zeterten durcheinander am 7. Thermidor des Jahres II. der französischen Republik (9. Juli 1794). Vor den Thoren von St. Lazare, dessen verfluchte Mauern so viel Elend und Seufzer, so viel Verwünschungen und Angst bargen, als ehedem die der zerstörten Bastille, war ein von Pikenmännern gebildetes Spalier errichtet. Durch dasselbe schritt der öffentliche Ausrufer. Eine braune Carmagnole hängt um seine Schultern, die rothe Mütze bedeckt sein struppiges Haar, ein starrer Bart umgiebt das Kinn, seine Beine stecken in roth und weiß gestreiften Schifferhosen, seine Füße in plumpen, mit dicken Nägeln beschlagenen Schuhen. Er trägt einen Gürtel mit kurzen Stacheln besetzt; – die Schlachtopfer könnten ja Hand an ihn legen! In diesem Gürtel stecken zwei Pistolen, deren Hähne gespannt sind; – die Verurtheilten könnten in der Verzweiflung den Ausrufer, das Werkzeug der Peiniger, für den Ausspruch des Convents züchtigen wollen. In der Hand hält der Mann ein Papier; auf demselben sind die Namen der Gefangenen verzeichnet, die heute verhört werden sollen, was 1794 im Juli noch so viel hieß: „Ihr sollt die Stunde erfahren, in der ihr den Kopf unter die Guillotine legen müßt.“ Hinter dem Ausrufer schreiten zwei Pikenmänner von der Section der Lombarden. Ueber einen Hof, dann durch einen von bewaffneten, spielenden, rauchenden und trinkenden Wachen besetzten Corridor schreitend, gelangen die drei Männer zu einer großen Thür. Verworrene Stimmen tönen hinter derselben. Endlich wird sie geöffnet, ein halbfinsterer Raum von großer Ausdehnung zeigt sich.

In dem Halbdunkel dieses Raumes gewahrt man eine Menge Gestalten. Es sind die Gefangenen des Convents; jedes Alter und Geschlecht, jeder Stand, jede Vermögensstufe ist vertreten; die Guillotine verschmähte keine Kost – sie fraß ohne besondere Auswahl. Als die Thür geöffnet wurde, ertönte ein ängstlicher Schrei aus vielen Kehlen kommend, dazwischen einzelne Rufe: „Nun ist’s aus!“ – „Jetzt!“ – „Adieu!“ etc. Aus allen Winkeln liefen die Gefangenen zusammen; ihre Augen hafteten auf dem öffentlichen Ausrufer und seinem verhängnißvollen Papiere. Wer wird hinausgeschleppt zum Fallbeil? Wem bringt der breite Mund des Schergen die endliche Gewißheit des Schicksals? Angstvolles Zucken in den Gesichtszügen der Einen – stumpfe Gleichgültigkeit bei den Andern. Der Ausrufer räuspert sich, überblickt die Menge und liest dann mit lauter Stimme. „André Chenier, Literat.“ Ein junger Mann von 22 Jahren trat aus der Menge. „Hier bin ich!“ rief er mit fester Stimme. „Hinter die Barre!“ rief der Ausrufer. Chenier trat hinter einen gitterartigen Verschlag, in welchem die Bezeichneten stehen mußten, bis der Zug sich in Bewegung setzte, der sie ihren Richtern überlieferte. „Alexander Boucher. Excapitain der exköniglichen Marine,“ fuhr der Rufer fort. „Ich bin es!“ antwortete eine sonore Stimme, die einem Manne von 36–37 Jahren angehörte, der mit festem Schritte in die Barre trat. „Charles de Bart, Exofficier der Dragoner,“ tönte es wieder. „Ha! ha! habt Ihr mich endlich?“ lachte es aus dem Haufen, und mit den Worten „Platz da!“ stellte sich ein wunderschöner Mann, dessen aristokratisches Aeußere selbst der Schmutz und das Grauen des Kerkers nicht hatten verwischen können, vor den Ausrufer hin. „Hinter die Barre!“ donnerte die Stimme des Ausrufers. „Wie können Sie es wagen, einem Patrioten in’s Gesicht zu sehen?“ De Bart summte einen Chanson und tänzelte hinter die Barre. „Friedrich, Exbaron von Trenck, früher Officier.“

Von dem Schemel, auf dem sie bisher gesessen, erhob sich die gewaltige, hagere Gestalt des Geforderten. Gleichgültig hatte er bis zur Nennung seines Namens das Schauspiel betrachtet, mit wehmüthigem Lächeln die Gestalten der schönen Frauen und Mädchen, der kräftigen jungen Männer angeblickt, die hier neben dem Greise und der Matrone in dem scheußlichen Kerker zusammengepfercht zitternd oder ergeben ihren Namen erwarteten. Ein verächtliches Zucken spielte um seine Lippen, wenn er zuweilen vor und hinter sich ein zaghaftes Schluchzen, einen leisen Schrei der Angst vernahm. Die Beine lang von sich gestreckt, die Hände in den Taschen seiner kurzen Hosen, so hatte der Baron von Trenck die Nacht vom 6. zum 7. Thermidor in dem Gefängnisse St. Lazare zugebracht. – Trenck hatte schlechtere Lagerstellen kennen gelernt. – Er war es, der Maulwurf von Magdeburg, der Abenteurer, der Liebling der Damen, der muthige Soldat, der Spötter seiner Wächter, dem keine Mauer undurchdringlich, keine Fessel zu dicht, kein Graben zu tief gewesen. Sein ganzes Verlangen war von Jugend auf nach ungebundener, zügelloser Freiheit gegangen; dieser Drang führte ihn in die Kerker, dieses Verachten aller Ketten und Mauern machte ihn fähig, sie zu durchbrechen, mit beispielloser Ausdauer rüstete ihn jenes Verlangen nach Luft und Licht, wenn er sich durch die Erde wühlte mit den erbärmlichsten Werkzeugen, und als er endlich eine ruhige Stätte finden sollte, ließ seine unzähmbare Natur ihm dennoch keine Ruhe, sie führte ihn nach Frankreich – in den Kerker von St. Lazare. Der Jüngling, der Mann hatte gezeigt, daß es für seine Kraft keine Bande gebe – der Greis mußte sich beugen unter der Wucht des Geschickes. Furchtbares Verhängniß! Trenck scheint von der Vorsehung bestimmt gewesen zu sein, die düstere Laufbahn des Kerkerlebens

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 8. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_008.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)