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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

Als Richter im 41. Lebensjahre mit seiner jungen Familie festen Wohnsitz in Bayreuth genommen, fand er bald in dem kleinen Wirthshause am Fuße der Anhöhe, welche das fürstliche Lustschloß Eremitage krönt, nicht nur ein Local, sondern auch Menschen, die ganz seinen Wünschen und Bedürfnissen angemessen waren. In einer kleinen, abgelegenen Stube des Hinterhauses bot sich ihm die ungemein reizende Aussicht auf eine idyllische Landschaft, im Hintergrunde begrenzt von den in majestätischen Wellenlinien aufsteigenden Bergen des Fichtelgebirgs. Dies war das Stück Erde, welches ihm durch die süßen Erinnerungen seiner Jugend so heilig und so theuer war. Die kleine, ärmliche Schenke wurde ihm deshalb werth, noch werther durch das aufgeweckte, gewandte, witzige und gefällige Wesen der schon 48 Jahre alten Wirthin, die dem geistreichen Gaste bald all seine Lieblingsneigungen abgelauscht hatte und sich beeilte, sie mit Anstand, Achtsamkeit und Sorgfalt auszuführen. Bald waren es nicht allein die guten Speisen und Getränke der Frau Dorothea Rollwenzel und die Aussicht aus der Hinterstube, die ihn in das kleine Haus zogen, er entdeckte in der Wirthsfrau geistige Schätze seltner Art, scharfen Verstand, Humor und tiefes Gemüth. Der Wirth, Friedrich Rollwenzel, war nicht minder eine ehrenwerthe Persönlichkeit und theilte mit seiner Frau die hohe Verehrung des ausgezeichneten Gastes. Richter lebte sich so allmählich in das Haus und die Wirthsleute hinein, daß er sich in der Hinterstube sein gemüthliches Nestchen einrichtete, eine Neigung, die seinem hohen Genius ganz vorzüglich eigen war. Frau Rollwenzel verstand den Flügelschlag desselben so gut und war eine so klare, scharfe und witzige Beurtheilerin seiner geistigen und seelischen Eigenthümlichkeit, daß er sich bald überzeugte, welch ein richtiges Verständniß ihm in ihr entgegen komme. Er las ihr also nicht selten die Erzeugnisse seines Geistes vor, die seine Feder in der Hinterstube auf das Papier geworfen, er liebte es auch, mit ihr in der ihm eigenthümlichen Weise, von der seine persönlichen Freunde mit Bewunderung sprechen, über geistige Interessen zu disputiren. Frau Rollwenzel füllte also den Kreis seiner Bedürfnisse aus, indem sie ihn ebenso durch Witz und Genialität, wie mit delicatem Kaffee, köstlichem Bier, schmackhaftem Braten und feinem Kuchen ergötzte.

So wurde denn in kurzer Zeit die trauliche Hinterstube zur Schöpferwerkstatt des Dichterheros, und fast alle seine späteren Werke sind in ihr entstanden. Denn fast volle zwanzig Jahre ist er, in der schönen Jahreszeit, schier täglich und zwar schon in der frischen Morgenfrühe von der Stadt durch die prächtige Linden- und Kastanienallee hinauf nach dem kleinen Wirthshause gewandert, um sich dort ungestört in süßer Behäbigkeit den erhabenen Schöpfungen seines Geistes hinzugeben und in den Pausen mit Frau Dorothea zu plaudern oder ihre Erzeugnisse zu genießen. Es leben immer noch Leute, welchen die untersetzte, kräftig gebaute Gestalt des Dichterfürsten erinnerlich ist, wie er in schlichter, meist vernachlässigter Kleidung mit offener Brust, freiem Haar, einem Knotenstock und den Ranzen voll Bücher und Manuscripte rüstig die Anhöhe emporschritt. Den Wein, welcher ihm während der Arbeit Bedürfniß war, nahm er sich aus seinem eigenen wohl versorgten Keller jedesmal mit, und man sah die Hälse der Flaschen freundlich aus seinen Taschen herauslugen. Sein treuer Begleiter war stets sein Spitz, den er ebenso wie Frau Rollwenzel in mehreren seiner Dichtungen verherrlicht hat.

Der Maler unserer heutigen trefflichen Illustration hat den Moment aufgefaßt, wo der Dichter eben am Rollwenzelhäuschen ankommt, von Wirth und Wirthin freundlich begrüßt. Der Hund ist ihm vorausgeeilt und tauscht mit Frau Rollwenzel Liebkosungen aus.

Nicht selten begleitete den Dichter sein treuer trefflicher Freund Christian Otto in das kleine Wirthshaus und arbeitete in einem andern Stübchen. Abends holte dann wohl Richter’s Familie den geliebten Mann ab.

Aber auch zum Mittelpunkt seiner oft weit ausgedehnten Spaziergänge diente ihm das Häuschen. Von hier durchstreifte er Berg und Thal, Wald und Flur der lieblichen Gegend, oft ohne Hut und in einem Anzuge, der freilich den vergötterten Liebling der deutschen Intelligenz und vorzüglich der gebildeten Frauenwelt nicht vermuthen ließ. Pflegte er sich doch oft auf den grünen Rasen unter einem Baume oder im Saatfeld niederzuwerfen und sich so dem gewaltigen Strome seiner Gedanken und Gefühle zu überlassen. Wie sich seine Kleider dabei standen, kümmerte ihn ganz und gar nicht. So geschah es denn, daß er eines schönen Tages mitten im Felde von einem Gensd’arm, der ihn nicht kannte, als Vagabund und Stromer arretirt und nach der Stadt zu geführt wurde. Zufällig begegnet dem sonderbaren Menschenpaar der Gouverneur der Stadt im Wagen. Der begrüßt den Dichter ehrerbietigst und läßt halten, um sich nach dem seltsamen Auszug zu erkundigen.

„Ich freue mich sehr, der Arrestant dieses vorsichtigen Herrn zu sein,“ versetzt Richter äußerst vergnügt, „und werde in’s Loch gesteckt werden. Weiß ich doch nun auch, wie’s einem armen Teufel zu Muthe ist, der mir nichts dir nichts aufgegriffen, transportirt und frei logirt und beköstigt wird, Alles gegen seinen ausdrücklichen Willen. Besuchen Sie mich im Loche.“

Dem Gensd’armen wird’s angst, er stottert Entschuldigungen und will ausreißen. Aber Richter hält ihn fest und drückt ihm einen Thaler in die Hand. „Nehmen Sie wenigstens erst eine kleine Erkenntlichkeit für das Vergnügen, das Sie mir bereitet haben.“ –

Eines schönen Sommertags des Jahres 1816 fährt eine prächtige Equipage vor dem Rollwenzelhause vor; ein Cavalier und galonnirte Diener fragen hastig nach Herrn Legationsrath Richter. Der Dichter erscheint heute besonders derangirt und hört etwas bestürzt, daß Ihre kaiserliche Hoheit die Großfürstin Katharina Paulowna von Rußland im Gasthause zur Sonne in Bayreuth auf ihn warte und ihm ihren Wagen schicke. Richter remonstrirt, daß er erst heim müsse, um sich in anständige Kleidung zu werfen; vergebens, der Cavalier der Großfürstin erklärt auf das Bestimmteste: er habe den gemessenen Befehl, Herrn Richter zu bringen, wie er ihn fände; Ihre kaiserliche Hoheit habe große Eile. Kein Weigern hilft, der Dichter wird in seinem alten Gottfried in den Wagen gepackt und in der Sonne abgeliefert.

Es war die liebenswürdige, geniale junge Wittwe des Prinzen Peter von Holstein-Oldenbnrg, die als Braut des Kronprinzen Wilhelm von Würtemberg, des jetzigen hochbetagten Königs, auf der Brautreise nach Stuttgart begriffen ist. Kaum in Bayreuth angekommen, sieht sie in ihrem Vorzimmer die obersten Behörden der Stadt versammelt, um sie im Namen des Königs von Baiern ehrfurchtsvoll zu begrüßen. Sie hört die Anmeldung der adligen Herren nur mit halbem Ohr.

„Ist Herr Richter da? Herr Richter soll kommen, Niemand als Herr Richter.“

Man fragt, man läuft. Herr Richter ist bei Frau Rollwenzel. Die Großfürstin giebt schnelle Befehle, der Wagen rollt fort, sie mißt mit fieberhafter Ungeduld das Zimmer und vergißt die Herren ganz, die draußen in steifer Haltung des gnädigen Wortes der Zulassung harren.

Endlich! Der Dichter wird in seinem malpropren Ajustement durch die Reihen der erstaunten geputzten Herren geführt; die Fürstin reißt die Thür auf, stürmt ihm entgegen, umarmt ihn, weint vor Rührung und Wonne an seinem Halse und ruft: „Göttlichster aller Menschen, Schöpfer meiner seligsten Stunden, willkommen! willkommen!“

Sie zieht ihn in’s Zimmer und auf das Sopha und plaudert mit ihm; sie sieht nicht seinen Rock, nicht sein unrasirtes Kinn; sie sieht nur seinen herrlichen Kopf, sein schönes, tiefes, wonnestrahlendes Auge, sie hört nur den Wohlkang seiner Stimme, seine geistreichen gemüthlichen Worte; sie ist selig versunken in sein Anschauen und Anhören, und sie erzählt dem glücklichen Dichter von all den hohen Freuden, die er ihr geschenkt.

Die Stunden fliegen; der Kammerherr mahnt an den unerläßlichen Aufbruch. Die Großfürstin nimmt endlich des Dichters Arm und schreitet mit ihm durch die wartenden, adeligen Herren, ihren respektvollen Gruß freundlich erwidernd; sie steigt in den Wagen, sie wirft ihm noch Grüße und Dankesworte zu.

Wie freute sich Frau Rollwenzel, als er ihr dieses freundliche Erlebniß erzählte! Denn die alte Schankwirthin nahm an Allem, was den Dichter anging, den lebhaftesten Antheil. Sie gehörte ja zu ihm; sie war der Mond, der, von dieser prächtigen Geistessonne angestrahlt, das Licht empfing, das ihr nun für alle Zeiten bleiben wird. Denn das ist der wunderbare Segen des unsterblichen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 7. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_007.jpg&oldid=- (Version vom 7.4.2019)