Seite:Die Gartenlaube (1862) 825.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

unterdrückten Unschuld, den muthigen Streiter für Recht und Freiheit. Später im persönlichen Umgange mußte leider Friedrich als König auch die Schattenseiten des großen Mannes, seine kleinliche Lust an Intriguen, seine Habsucht, seine Falschheit und all die Fehler kennen lernen, welche leider das Genie entstellen, wie die Flecken den Sonnenball. Damals aber glühte Friedrich noch für Freundschaft, und seine Verehrung für Voltaire trug den Stempel jugendlicher Schwärmerei.

„Bon jour, Mesdames et Messieurs,“ sagte der Kronprinz, indem er die Anwesenden mit dem ihm eigenen bezaubernden Lächeln grüßte. „Cäsarion wird Ihnen bereits gesagt haben, welch ein glücklicher Tag der heutige für mich ist. Ich bin aber zu wenig Egoist, um meine Freude für mich allein zu bewahren: Sie Alle sollen daran Theil nehmen und hören, was der größte Geist des Jahrhunderts mir schreibt.“

Auf einen Wink des Prinzen nahm die Gesellschaft Platz, um den Inhalt des Briefes aus dem Munde des fürstlichen Vorlesers zu vernehmen. Auf allen Gesichtern drückte sich die größte Spannung und Theilnahme aus. Man lebte noch in einer Zeit, wo Geist und Wissen die höchste Verehrung einflößte, wo in der That der Dichter mit dem König ging, wo Fürsten sich durch den Umgang mit Männern wie Voltaire, Diderot u. s. w. geehrt fühlten. Nicht das neunzehnte Jahrhundert, sondern das achtzehnte kannte allein den Cultus des Genius und saß in Andacht zu den Füßen seiner großen Denker und Dichter. –

So hoch aber auch Friedrich Wissenschaft und Künste stellte, so ließ er darum sein eigentliches Ziel nicht aus den Augen, und mit dem heiteren Spiele der Musen wechselten auch ernste Stunden, in denen er sich auf seinen Beruf im Verborgenen vorbereitete. Vor Allem erkannte er schon damals die Nothwendigkeit, sich mit der Praxis und dem Leben vertraut zu machen. Wie er in Küstrin, wenn auch nicht ganz freiwillig, bei der dortigen Regierung in der Stellung eines jüngsten Rathes die Bedürfnisse des Landes, seine Hülfsquellen und seinen Mangel aus eigener Anschauung kennen lernte, so beschäftigte er sich in Rheinsberg angelegentlich mit seiner militärisch-praktischen Ausbildung, indem er das ihm von seinem Vater geschenkte, in dem benachbarten Ruppin garnisonirende Regiment auf eine möglichst hohe Stufe zu bringen suchte, was ihm auch gelang. Mit den Officieren desselben stand er in einem freundschaftlichen, fast cameradschaftlichen Verhältnisse, das sich besonders schön in dem von ihm gestifteten Bayardorden bekundete, dessen Mitglieder wie Bayard ritterliche Ehre und kriegerische Bildung zu ihrer Devise machten. Ihr Sinnbild war ein auf einem Lorbeerkranze liegender Degen mit der Umschrift: „Sans peur et sans reproche“, ihr Ordenszeichen, das sie nie ablegen durften, ein zu einem Ringe zusammengebogenes Schwert mit der Inschrift: „vivent les sans-quartier“. Zwölf Ritter versammelten sich an bestimmten Tagen in Rheinsberg unter ihrem Großmeister, der nicht der Kronprinz, sondern der wackere Fouqué war. Um jeden Standesunterschied zu beseitigen, führten die Mitglieder besondere Namen, die sich meist auf ihre Charaktereigenthümlichkeiten bezogen; so hieß Fouqué „le Chaste“, Friedrich selbst „le Constant“. Sämmtliche Ritter des Bayardordens blieben ihrer Devise treu und bewährten sich im ernsten Waffenspiel und in blutigen Schlachten als wirkliche „Chevaliers sans peur et sans reproche“.

So war das Leben in Rheinsberg beschaffen, so lange Friedrich daselbst verweilte. Einige Zeit nach seiner Thronbesteigung machte er die reizende Besitzung seinem Bruder Heinrich zum Geschenk, der bis zum Jahre 1802 daselbst ein nicht minder interessantes Leben führte, das der liebenswürdige Dichter Fontane ausführlich in seinen trefflichen „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“ schildert. – Nicht ohne Wehmuth scheiden wir aber von dem stattlichen Schlosse, das in seinen Mauern einst so viele edle und große Männer, so viele schöne und geistreiche Frauen und vor Allen den jugendlichen Friedrich gesehen, den die Welt mit Recht den Großen nennt. Ein eigener Zauber umschwebt noch immer den stillen See und den grünen Park; es ist, als ob sein Geist noch immer dort verweilt, als müßte er jeden Augenblick aus den schattigen Baumgruppen hervortreten und den Wanderer mit seinen blauen durchdringenden Augen ansehen. –

Max Ring.     




Vom verlassenen Bruderstamme.

Nr. 6. Ein schleswigscher Edelmann.

Es regnete immer noch, als ich am andern Tage von dem Hofe abfuhr, um einen Gutsbesitzer zu besuchen, an den ich bereits aus Hamburg von einem dort lebenden schleswig’schen Patrioten einen Empfehlungsbrief mitgebracht hatte. Der hochrädrige, offene Wagen hielt vor der Steintreppe, welche zu der Hausthüre führte; eine geschlossene Kutsche war nicht vorhanden. Ein großer Mantel und eine dicke, wollene Decke schützte mich vor dem herabfallenden Sprühregen. Die Dämmerung begann bereits anzubrechen; den größten Theil des Tages hatten wir mit dem Besuch eines benachbarten Hofbesitzers zugebracht. Mein Gastfreund, seine Frau und seine Tochter nahmen nochmals an der Thüre ihres Hofes in herzlichster Weise von mir Abschied; ich kletterte auf den hohen Wagen, die Pferde zogen an, und in gestrecktem Trabe ging es in die dämmernde Landschaft hinein, welche der Abend bald völlig in seinen dunkeln Schattenschleier hüllte. Der Abendwind rauschte in den Knicks und warf mir die Regentropfen in’s Gesicht. An einsam gelegenen Höfen vorüber und durch ein aus wenigen Häusern bestehendes Dorf, dessen Bewohner sich bereits zur Nachtruhe zu rüsten begannen, ging es zu der großen Straße, welche von der nächsten Stadt zu dem Gute führte, wo ich die Nacht zubringen sollte. In der Schenke außerhalb des Dorfes hielten wir einige Minuten, um ein Glas Grog zu trinken, da Regen und Wind immer heftiger wurden, und setzten dann unsern Weg fort, bis wir auf die Landstraße kamen.

Noch eine halbe Stunde, und wir fuhren durch ein Thor von alterthümlicher Bauart. Der Weg war mit Kies belegt, zu beiden Seiten des Weges erschienen große Rasenplätze und dunkle, hohe Baumgruppen. „Wir sind wohl schon auf dem Gute angekommen?“ rief ich dem Kutscher zu.

„Ja, Herr,“ war die Antwort, „hier wohnt er, er ist auch ein großer Deutscher. O, unsere Edelleute sind brave Männer, sie haben es immer mit uns und mit dem Lande gehalten. Gleich werden Sie den Hof sehen.“ –

Die Pferde zogen rascher an. Rasenplätze, welche große Blumenbeete einzurahmen schienen, prächtige, breitästige Eichen, Gruppen von Pappeln, Linden und Eschen flogen vorüber, dann rollte der Wagen über eine hölzerne Brücke mit steinernen Pfeilern an beiden Enden; nochmals durchschnitten wir den Park in gerader Richtung, vor uns lag ein großes Bassin mit einer Reihe hoher, dunkler Pappeln eingerahmt, und jenseits des Wasserspiegels erhob sich ein großes, hohes Gebäude mit zwei Flügeln von alterthümlicher Bauart. An den beiden Enden des Mittelgebäudes schienen zwei abgetragene Thürme mit ihren dunkeln Mauerkronen in den Abendhimmel hineinzuragen, an welche sich die Seitenflügel von neuerer Bauart anlehnten. Das ganze Schloß lag vor mir, wie eine dunkle Steinmasse, nur vier Fenster des untern Stocks waren hell erleuchtet. Ein breiter Fahrweg führte um das Bassin herum, in dessen Wasserspiegel die erleuchteten Fenster strahlende Reflexe warfen. Der Wagen hielt vor einer hohen, mit eisernem Geländer versehenen Steintreppe, welche zu dem altmodischen Hausthore und in den untern Stock des Schlosses führte.

Der Kutscher klatschte mehrmals mit der Peitsche, die Thür öffnete sich, und auf der Höhe der Treppe erschien die Gestalt einer Magd, ein Licht in der Hand, welches in demselben Augenblick verlöschte, als sie aus der Thür trat. Sie rief in den Flur hinein, und nach einigen Minuten stieg ein Knecht mit einer Laterne die Steintreppe hinab. „Ist der Herr zu Hause?“ fragte ich, mit seiner Hülfe vom Wagen hinabkletternd.

„Nein,“ erwiderte er in plattdeutscher Sprache, „er ist vor einer Stunde auf die Entenjagd gegangen.“ –

„Und die gnädige Frau? –

„Sie ist auf Besuch gefahren.“

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 825. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_825.jpg&oldid=- (Version vom 22.12.2020)