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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

„Helene – Miß Ellen!“ rief er aufspringend, „spielen Sie nicht mit mir, wenn ich Ihnen auch nur das Kleinste werth bin!“

Sie senkte das dunkele, strahlende Auge in das seine. „Meinen Sie, Joseph,“ sagte sie mit ruhiger Innigkeit, „daß es Spiel gewesen sei, als ich das Boot nicht eher verlassen wollte, bis Sie dem Feuer entrissen waren, als ich ruhig in den Abgrund von Wasser hinabsprang und ohne Angst meine Besinnung schwinden fühlte, weil ich wußte, daß Sie hinter mir waren? – Warte, Joseph,“ fuhr sie mit leuchtendem Blicke fort, als in dem Gesichtsausdruck ihres Gefährten sich der Ausbruch aller seiner unterdrückten Empfindungen verkündete, und faßte mit festem Drucke seine beiden Hände, „laß uns der Zeit ihr Recht geben, und es wird Alles kommen, wie es kommen mußte!“

Sie hatte sich rasch nach der Thür gewandt und war dahinter verschwunden, ehe er nur zu einem neuen, klaren Gedanken gelangt war.



Den Mississippi herauf arbeitete sich ein mächtiges Dampfboot und begrüßte die vor ihm liegende Häusermasse von St. Louis mit einem kaum enden wollenden Brüllen der Dampfpfeife. Kaum daß es angelegt hatte, sprang allen übrigen Reisenden voran ein riesiger Neger mit bepflastertem Gesichte an’s Land und winkte eine der wartenden Lohnkutschen herbei. Ihm folgte unter dem sich jetzt nach der Stadt ergießenden Menschenstrome ein junges Paar – die Dame, wie von innerer Unruhe getrieben, voran dem Wagen zueilend, beim Einsteigen aber mit einem hellen Aufblicke zu ihrem Gefährten sich voll auf dessen Arm stützend.

„Es muß schon etwas los sein, Sir!“ sagte jetzt der Schwarze, nach Webster’s Verladung-Office deutend, die sich fest geschlossen und ihre Umgebung von Frachtgütern und Arbeitern völlig entblößt zeigte, „Alles wie gefegt dort!“

Der farbige Kutscher hatte gleichfalls die Augen dem Fingerzeige folgen lassen und drehte sich jetzt zurück. „Wenn von Cornel Webster die Rede ist, Sir,“ sagte er, während der junge Mann den Platz neben seiner Begleiterin einnahm, „so ist er wegen der „Lilly Dale“-Geschichte, die Sie heute in allen Morgenblättern lesen können, schon seit zwei Tagen verschwunden. Es heißt, daß ihm von irgend einer Gerichtsperson noch zu rechter Zeit ein Wink gegeben werden ist, denn als er hat sollen verhaftet werden, ist er nicht aufzufinden gewesen und wird sich freiwillig wohl auch nicht wieder zeigen. Zwei andere Betheiligte aber, meldet der Telegraph von heute Morgen, sind in Tennessee eingefangen worden.“

Der junge Mann hatte mit der neben ihm Sitzenden nur einen langen Blick gewechselt und winkte sodann dem Neger.

„Steigt auf den Bock neben den Kutscher, Bob, wenn Ihr jetzt auch wenig Staat macht,“ rief er, „und dann rasch nach der Bank der Versicherungs Compagnie – Gepäck haben wir ja nicht!“

Fünf Minuten darauf hatten die Drei vor dem Bankgebäude den Wagen verlassen, und während Bob sich am Innern des Eingangs einen Platz zum Warten erwählte, durchschritt die junge Dame, von ihrem Gefährten gefolgt, rasch den vordern Raum, ohne auf die sichtliche Ueberraschung der von ihren Pulten auffahrenden Clerks zu achten, öffnete dann fast unhörbar die Thür zu des Bankiers Arbeitszimmer und trat ein. „Da sind wir, Vater!“ sagte sie, als Peters, in die Papiere auf seinem Schreibtische vertieft, ihren Eintritt nicht wahrgenommen, und der Angesprochene fuhr, wie von einem Schlage getroffen, in die Höhe, wurde bleich und faßte nach seinem Tische; im nächsten Augenblicke aber lag auch Ellen schon an seiner Brust. Behrend wollte sich bescheiden zurückziehen, aber noch ehe er es vermochte, hatte sie sich schon nach ihm umgewandt. „Da ist er wieder, Vater, und nun halte ihn fest – wäre es nicht der Bürgschaft halber geschehen, die Du für ihn gestellt hast, so wäre er selbst jetzt noch kaum mitgekommen!“

„Well, Sir,“ sagte Peters, wie sich nur langsam sammelnd, und streckte dem jungen Manne die Hand entgegen, „Sie treten in einer Weise wieder in mein Haus, die mich für meinen Irrthum in dem Verfahren gegen Sie recht gründlich bestraft –“

„Mr. Peters!“ unterbrach ihn Behrend im Tone abwehrender Bitte, zugleich aber kräftig die ihm gebotene Hand ergreifend.

„Lassen Sie mich zwei Worte reden, Sir,“ fuhr der Erstere fort, „ich bin völlig unterrichtet und zwar habe ich Ellen’s Brief, der mir das Räthselhafte der Fortsetzung ihrer Fahrt löste, erst gestern Abend erhalten – Sie aber werden einzelne Umstände des Geschehenen wohl noch kaum in ihrer Tragweite erfaßt haben.

Zuerst, Sir, habe ich nur dies eine Kind, ich möchte sagen nur die einzige Freude, das Wesen, für welches ich allein gespart und gearbeitet habe – und das haben Sie mir erhalten. Zum Zweiten sind durch Ihre Aussagen der Bank Summen gerettet worden, deren Bedeutung Sie bald selbst beurtheilen sollen –“

„Mr. Peters, warum sagen Sie mir Alles das?“ unterbrach Behrend den Sprechenden von Neuem; „draußen steht ein Neger, der fast mehr Antheil als ich an dem gesammten Verdienst hat, das Sie mir zuschreiben –“

„Auch gut, Sir, ich konnte mir schon etwas Aehnliches denken,“ rief Peters rasch den Kopf hebend, aber die Hand des jungen Mannes fest umschließend, „da man indessen ebenso in Andern den Stolz achten muß, als man Achtung gegen den eigenen verlangt, so werden Sie mir erlauben, daß ich vorläufig einmal Ihre Zukunft in meine Hand nehme und mir nicht umsonst von Ihnen Glück und Vermögen schenken lasse. Schreiben Sie Ihrem Vater, daß ich versuchen wollte, an Ihnen auszugleichen, was er einmal für mich gethan – und wenn ich davon erst jetzt rede, so nehmen Sie einen Theil der Schuld auf Ihre Empfindlichkeit, die früher meinem guten Willen gleich von vorn herein jeden Weg verlegte. So, und jetzt nach Hause; der Neger geht ebenfalls mit, damit man in Ruhe sehen kann, was am besten für ihn zu thun ist. Im Uebrigen werde ich allerdings erst noch Manches aus der innern Geschichte dieser letzten Tage zu verstehen haben –!“ setzte er mit einem forschenden halben Seitenblick auf seine Tochter hinzu; sie aber hob klar das glänzende Auge zu dem seinen. „Und nicht wahr, Vater,“ fragte sie, „ein eigentliches Mißverstehen hat es zwischen uns noch gar nicht gegeben?“



Der hier erzählte Fall von verbrecherischer Speculation machte seiner seltenen Rücksichtlosigkeit gegen die auf dem Boote befindlich gewesenen Menschenleben halber ungewöhnliche Sensation in den Vereinigten Staaten; von Webster, welcher den vorhandenen Spuren nach unter fremdem Namen seine Richtung nach Texas genommen hatte, ist indessen nie wieder etwas gehört worden – die Untersuchung seiner Vermögensverhältnisse ergab einen an der Grenze des Bankerotts hängenden Geschäftszustand.

Behrens machte im Juli 1861 unter Begleitung seiner jungen schönen Frau und zweier Kinder seine erste Besuchsreise nach Deutschland; er war damals bereits gegen fünf Jahr verheirathet und seit dieser Zeit auch der Mitleiter des Bankgeschäfts; von den Versicherungs-Unternehmungen aber hatte sich der alte Peters seit dem „Lilly-Dale“-Falle gänzlich losgesagt. – Von Bob hörte der Verfasser nur, daß er das Dampfbootfahren aufgegeben, eine farbige Wäscherin geheirathet und mit dieser in einem für ihn eigenthümlich erworbenen Häuschen eine größere Waschanstalt etablirt habe.

Die Mississippi-Insel ist nicht völlig abgeholzt worden. Dutch-Henry fand das ihm gewordene Geschenk hinreichend, um seine bisherige Beschäftigung aufgeben zu können. Mit seinem preußischen Militär-Mantel und seiner Fiedel ist er den Mississippi hinauf gegangen nur soll sich in dem jungen Minnesota angesiedelt haben.




Preußische Lustschlösser.
2. Schloß Rheinsberg.
(Mit Abbildung.)


Ein Tag in Rheinsberg.


In der so verschrieenen sandigen Mark fehlt es nicht an einzelnen reizenden Landschaftsbildern, an freundlichen Oasen in der berüchtigten Wüste. Einen solch überraschend schönen Punkt bildet Schloß Rheinsberg, wo Friedrich der Große als Kronprinz nach seiner Versöhnung mit dem strengen Vater gewiß die angenehmsten Tage seines vielbewegten Lebens zubrachte, die reizende, friedliche

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 823. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_823.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)