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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

auch, daß ihm das Anschlagen eines andern Tones völlig unmöglich geworden wäre. Sie indessen schien erst durch seine Worte ihre volle Sicherheit wieder zu erhalten. Mit dem hellen Lächeln, das ihren Zügen einen so sonnigen Ausdruck verlieh, streckte sie ihm die Hand entgegen. „Ich denke, Mr. Behrend,“ sagte sie, „wir sollten durch die Ereignisse von gestern auf heute über die strenge Form gegenseitig hinaus sein. – Ich habe zwar nur eine Erinnerung an das Geschehene, wie an einen wilden, unheimlichen Traum,“ fuhr sie fort, während ihre Wangen sich höher färbten, „möchte auch jetzt um keinen Preis mein Gedächtniß aufgefrischt sehen; indessen haben mir doch einige Worte der Frau, welche durch Ihre Sorge für mich herbeigeschafft worden, genug gesagt, um mich meine ganze Verpflichtung gegen Sie erkennen zu lassen!“ Ihr Ton hatte bei den letzten Worten eine Weiche angenommen, welche dem jungen Manne das Herz beben machte; ihr Auge ruhte so klar und doch so warm in dem seinigen, daß er die kleine Hand zwischen seinen Fingern fast gegen seinen Willen fest umschloß.

„Ich habe doch nichts als das Selbstverständliche geleistet, Miß; wollte Gott, ich hätte Gelegenheit gefunden, mehr zu thun!“ erwiderte er mit einer Wärme, die ihn selbst erschreckte; sie aber lachte wie in plötzlicher heiterer Laune auf und entzog ihm leise ihre Hand.

„Sie hätten uns doch um’s Himmelswillen nicht noch Schlimmeres wünschen mögen?“ erwiderte sie; „indessen,“ setzte sie wieder ernst werdend hinzu, „ist jetzt nicht die Zeit zum Lachen. Ich höre, daß wir die einzigen Passagiere sind, die sich nach dieser Seite hin gerettet haben, und Gott gebe nur, daß es den übrigen nicht unglücklicher ergangen ist – für uns aber bleibt nur übrig, daß wir so schnell als möglich Maßregeln treffen, um aus unserer jetzigen Lage zu gelangen.“ Sie hatte währenddem langsam ihren Sitz wieder eingenommen, und Behrend ließ sich halb mechanisch auf dem zweiten Schemel ihr gegenüber nieder. „Es sind nach Angabe der Frau nur etwa zehn Meilen vom Ufer nach Troy an der Ohio-Eisenbahn,“ fuhr sie fort, „dort ist eine Telegraphenstation, und wir könnten also schon bis Nachmittag die nöthigen Geldmittel von St. Louis angewiesen erhalten. Dann aber bringt uns die Eisenbahn noch vor Abend nach der Ohio-Mündung, wo niemals Mangel an einer Dampfboot-Gelegenheit nach St. Louis ist –“ sie blickte ihn, wie seine Aeußerung erwartend, in einer sichtlichen Spannung an. Behrend aber war bei ihren letzten Worten bleich geworden; er fühlte, daß er jetzt die letzte Hand an die Bestätigung seiner ferneren, farblosen Zukunft zu legen habe. Wie es auch in ihm selbst lockte, sich blind seinem Gefühle zu ergeben, die wohlbegründete Gelegenheit zu benutzen und an ihrer Seite umzukehren auf seinem ungewissen Wege, so stand es doch auch eben so klar vor ihm, daß er damit nur einer noch bitterern Selbstqual entgegengehen mußte, als je. „Ich werde gern sofort nach dem Nöthigen sehen, Miß,“ erwiderte er, ohne sich indessen von einem innern Druck, der plötzlich auf seiner Stimme lastete, befreien zu können; „ist die Eisenbahnstation nicht weiter entfernt, so werden Sie allerdings bald genug sich auf dem Heimwege befinden können; mein Weg aber wird dann auf eine oder die andere Weise wieder flußabwärts gehen, wie Sie wissen.“

Ihr Gesicht hatte wieder seine Farbe verloren, aber ihr Auge war größer und dunkler geworden. „Sie wollen jetzt noch immer an Ihrem frühern Plane festhalten?“ fragte sie langsam, „Sie glauben die Genugthuung, welche Ihnen uns gegenüber geworden, noch immer nicht groß genug?“

„Ellen! Miß Peters! wovon reden Sie denn?“ rief er, seiner Erregung nachgebend und sich halb von seinem Sitze erhebend, „wer hat denn Ihnen gegenüber jemals an eine Genugthuung gedacht –?“

„Halt,“ sagte sie, noch bleicher als zuvor, gleichfalls ihren Platz verlassend, „ich verstehe dann Sie und Ihr Verfahren nicht. Aber wir sind hier nicht in der Lage, um Convenienz-Rücksichten gelten zu lassen, und so will ich Ihnen ein offenes Wort sagen, nach welchem Sie dann Ihre Entschlüsse fassen mögen. Als Sie nach Ihrer ersten Vorstellung uns verließen,“ fuhr sie bestimmt und ohne Zögern fort, „und seit langen Jahren die erste freundliche Erinnerung an Deutschland wieder in mir geweckt hatten, da fühlte ich schon, daß Sie durch den gewordenen Empfang beleidigt waren, wenn auch mein Vater meinte, daß es nur möglich werde, für einen jungen, kaum von Deutschland angelangten Kaufmann zu sorgen, wenn mit dem ersten Worte sogleich seine Eigenliebe niedergedrückt und seine Hoffnungen gedämpft würden; jeder habe von unten auf erst das amerikanische Geschäft zu erlernen und meine doch stets der ersten Stelle gewachsen zu sein. Ich hoffte, Sie würden meiner Einladung zum Mittagessen folgen, damit Sie dann einen freundlicheren Eindruck von uns mit hinwegnehmen möchten, aber Sie kamen nicht; Vater hatte während der Zeit erfahren, daß Sie von New-York aus auf das Wärmste empfohlen, daß Sie dem amerikanischen Geschäfte längst gewachsen waren, und als nun die Erinnerungen an Sie und Ihr früheres Wesen immer klarer und deutlicher in mir wurden, da wußte ich auch, daß nur eine ganz bestimmte Genugthuung Sie in unserer Nähe würde halten können. Ich hatte meinen eigenen Plan dafür,“ fuhr sie langsamer fort, und ihr Gesicht erhielt zum ersten Male wieder einen Anflug von Röthe, „und baute dabei etwas auf das treue Andenken, welches Sie dem kleinen Mädchen bewahrt hatten; ich wartete nur darauf, daß Sie das erste nothwendige Gespräch mit dem Vater gehabt haben würden – er aber erklärte mir, daß mit Ihnen durchaus nichts anzufangen sei und daß Sie nach New-Orleans gingen.“ Sie stockte zwei Secunden lang, als wisse sie nicht sogleich, wie fortzufahren, während in ihren Wangen die Farbe kam und ging; Behrend aber stand ihr gegenüber, als wolle er noch einmal alles Glück und alle Qual, die für ihn in dem Anhören ihrer Worte lagen, über sich ergehen lassen; er wußte ja doch, daß Alles, was sie ihm sagen würde, nichts in seinem Schicksale ändern konnte. „Ich gestehe Ihnen, daß Ihr Verfahren mich ärgerte und verletzte,“ sprach sie weiter; „demohngeachtet hätte ich es nicht vermocht, Sie so unaufgehalten in Ihr voraussichtliches Unglück stürzen zu lassen; Sie waren eben wieder der Joseph aus meiner Kinderzeit für mich geworden, für welchen ich schon etwas thun durfte. Ich benutzte zur Verwunderung meines Vaters die Heimkehr einer Freundin, um mit ihr ein Stück den Mississippi zu befahren; ich dachte dabei Gelegenheit zu finden, Ihnen noch einmal in’s Gewissen zu sprechen. Als Sie aber so steif und formell an uns herantraten, hätte ich es auch nicht über mich vermocht, ein herzliches Wort zu Ihnen zu reden; und erst als wir die Ohiomündung erreichten, wo ich das Boot hätte verlassen sollen, erkannte ich meine Versäumnisse; beschloß aber dort auch, noch mit bis Memphis, wo ich Schulfreundinnen habe, zu gehen. Hätten Sie dort eine Stellung gefunden, so war Alles gut, und ich wäre nur mit einem freundlichen „Good bye“ von Ihnen geschieden; hätten Sie aber mit dem Boote weiter nach New-Orleans gehen wollen, so – war es mir, als hätte ich schon Kraft genug in mir finden müssen, um Sie zurück zu halten und zum Umkehren zu bewegen; Sie aber gaben mir noch gestern Abend ein Versprechen, das mir mein Vorhaben leicht gemacht haben würde. – Es ist anders gekommen, Joseph,“ sagte sie, wie in einer plötzlichen Bewegung ihm die Hand von Neuem entgegenstreckend, „aber jetzt – jetzt wo ich Ihnen Alles gesagt, jetzt wo wir nach dieser letzten Nacht unter Ihrer Entfernung zu leiden haben würden, jetzt werden Sie mit mir zurück gehen – oder,“ setzte sie mit eigenthümlich bestimmtem Tone, in welchem dennoch ihre Erregung deutlich hörbar war, hinzu, „oder mir wenigstens sagen, was Sie von St. Louis wegtreibt.“

Behrend fühlte ihre weiche Hand von Neuem in der seinen, fühlte sich durch ihre letzten Worte aus allen Barrieren seiner Zurückhaltung gedrängt; aber es schien ihm fast eine Wollust, sich jetzt auszusprechen, sich gründlich das Herz frei zu machen und dann von ihr zu scheiden, ohne Mißverständniß und gewürdigt, wie er es zu verdienen glaubte.

„Können Sie sich wohl eine Vorstellung davon machen, Miß,“ begann er nach einer kurzen Pause, in welcher sein Auge sich tief in das ihrige gesenkt, „daß ein armer Mensch einen Schatz, der seine Lebensseligkeit ausmachen würde, in den Händen eines Reichen sieht, während ihm selbst jeder Weg, danach zu ringen, abgeschnitten ist? daß er dann lieber gehen und versuchen will zu vergessen, sei es auch in den schlimmsten Verhältnissen, als täglich in vergebener, vielleicht lächerlicher Sehnsucht sich zu verzehren? Ich weiß, Helene, daß Sie sich das wenigstens denken können,“ fuhr er fort, mühsam das Zittern in seiner Stimme unterdrückend und fast unbewußt ihre Hand in der seinen pressend, „und so fragen Sie mich auch nicht weiter, sondern lassen Sie mich gehen, sobald die Zeit da ist, in der sich unsere Wege wieder von einander trennen –!“

„Warten Sie, Joseph, warten Sie,“ unterbrach sie ihn, während sich ihr Gesicht wie in einem aufleuchtendem Verständniß

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 820. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_820.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)