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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

Ohne Aufenthalt verschwand der Schwarze landeinwärts im Nebel, und Behrend harrte, auf den Knieen liegend und den Kopf des ohnmächtigen Mädchens an seine Brust gebettet, unter einem Drange von Empfindungen, die einander ablösten und überflutheten, ehe sie einzeln ihm nur klar zum Bewußtsein gekommen, seiner Rückkehr. Die Luft war drückend warm, und kaum fühlte der Wartende eine Unannehmlichkeit von seiner nassen Bedeckung. Nach Kurzem vernahm er, wie die Geigenklänge abbrachen, und bald darauf machten sich in seiner Nähe Worte hörbar, in deren Accent er sofort den deutschen Sprecher erkannte.

„Schlechte Unterkunft für eine kranke Lady hier,“ klang es, „aber ein Schuft giebt mehr, als er hat, und wir wollen nur Gott danken, daß mir das Fiedeln noch zu rechter Zeit in die Gedanken gekommen ist; hättet sonst mit der Strömung glatt vorbei gehen können!“

„Und Ihnen selbst soll auch der Dank nicht ausbleiben, Landsmann!“ rief Behrend dem Nahenden deutsch entgegen.

„Bei Jingo! das ist wirklich ein Deutscher, so schlecht die auch hier im Baumwollenlande gedeihen!“ klang es gutgelaunt zurück, während, dem Schwarzen vorweg, eine kräftige, noch jugendliche Gestalt in grober Arbeitstracht, Geige und Bogen in der linken Hand tragend, aus dem Nebel heraustrat, bei Erblicken der Gruppe aber seinen Schritt anhielt und sich mit der Rechten unter den Hut fuhr. „Ja, da nehmen Sie nur das junge Frauenzimmer und kommen Sie,“ fuhr er nach kurzem Betrachten fort, „schlecht genug werden Sie es freilich für sie finden.“

„Nur Eins noch, Landsmann,“ fragte Behrend, den bei der einfachen Aufforderung plötzlich ein Gefühl überkam, als solle er eine Rücksichtslosigkeit gegen seine Schutzbefohlene begehen, „haben Sie nicht eine Frau hier, die Sie herbeirufen könnten?“

„Habe noch keine gefunden, die mit hierher gegangen wäre!“ erwiderte Dutch-Henry, ohne ein halbes Lachen zu unterdrücken, „wenn es aber im jetzigen Falle nöthig ist, werde ich eine vom Lande drüben beischaffen; bringen Sie nur die Lady so lange auf mein Bett, bei der Wärme schadet ihr das Bischen nasse Zeug nichts.“

Behrend hatte der Nothwendigkeit nachzugeben, aber er meinte, jeden Nerv einzeln in sich beben zu fühlen, als er sich jetzt niederbog und der Bewußtlosen Kopf auf seiner Schulter ruhen ließ, dann ihre weichen Glieder umschloß und nun, den schmiegsamen Körper bequem in seinen Armen, sich von den Knieen erhob. Vorsichtig folgte er dem voranschreitenden Landsmanne auf einem gebüschfreien Wege, bis ein kleines, niedriges Blockhaus vor ihnen stand und der Führer die Thür öffnete. Eine düster brennende Lampe erleuchtete den völlig rohen inneren Raum, der nur die allernöthigste, sichtlich von dem Eigenthümer selbst gezimmerte Ausstattung zeigte. Ueber den auf zwei verbundenen Holzkreuzen ruhenden Strohsack aber war ein preußischer Militär-Mantel als Decke gebreitet. Behrend dachte im Augenblicke nicht an eine Bemerkung der Verwunderung über die Anwesenheit des letzteren Gegenstandes; er schob diesen ruhig zurück, legte das Mädchen behutsam, rücksichtsvoll auf das Lager und hüllte sie zuletzt dicht in den über sie gebreiteten Mantel. Dann bog er das Ohr nach ihrem Munde; lange lauschte er angestrengt, aber endlich wußte er, daß er sich nicht getäuscht – er hatte ein leises, leises Athmen wahrgenommen und beruhigt richtete er sich jetzt auf, um sich nach seinem Wirthe umzusehen. Dieser schien aber, der offenen Thür nach, gar nicht mit eingetreten zu sein, und erst nach einer Weile hörte Behrend die derbe Stimme desselben in einiger Entfernung vom Hause dem Schwarzen zurufend, der sich jetzt plötzlich von Weitem in einzelnen leidenschaftlichen Ausrufungen vernehmen ließ. Verwundert horchte der junge Mann auf, hatte aber nur kurze Zeit auf eine Erklärung zu warten. Mit einem Lachen im Gesichte, das nur der Anblick des bleichen, ruhenden Mädchens nicht zum Ausbruch kommen zu lassen schien, trat Dutch-Henry ein und sagte, seine Stimme rücksichtsvoll dämpfend: „Das ist ein toller Nigger, und Sie müssen es verzeihen, Landsmann, daß ich Ihnen hier nicht behülflich war – schreit das schwarze Thier mit einem Male auf, und als ich mich umdrehe, sehe ich, wie er kopfüber wieder in den Fluß hinein setzt. So viel zu erkennen war, wollte er ein paar Gegenstände, die vom Dampfboote herunter kommen mochten, herausfischen, und wie es scheint, ist es ihm gelungen!“

Der Sprechende hatte noch kaum geendet, als sich das zerrissene Gesicht Bob’s schon zur Thür herein steckte. „Entschuldigen Sie,“ sagte der Letztere, behutsam, aber in sichtlicher Erregung eintretend, „Sie werden mir bezeugen, daß ich hier die beiden leeren Fässer aus dem Flusse geholt habe – der Nigger hat immer nur halben Glauben vor Gericht –“ er hielt mit einer halben Grimasse inne, als habe er mehr gesprochen, als er beabsichtigt.

„Zwei leere Fässer?“ fragte Behrend verwundert.

Yes, Sir!“ nickte Bob ernsthaft, „und Sie werden es noch erfahren, was sie zu bedeuten haben. – Sie wollten nach einer Frau für die junge Lady hier sehen, Master Henry,“ wandte er sich an den Genannten, „und wenn Sie mir ein Plätzchen in Ihrem Boote geben wollen, so gehe ich mit Ihnen!“

All right, da es einmal sein muß,“ erwiderte der Angeredete, seine Geige jetzt erst sorgfältig bei Seite legend, „der Landsmann wird sich ja wohl eine Stunde oder so etwas allein behelfen können!“

„Ich bin zu rechter Zeit wieder zurück, Sir, und werde daneben für Sie besorgt haben, was jetzt zum Nothwendigsten gehört,“ fiel der Schwarze ein, und Behrend, dem plötzlich erst der Gedanke an den Verlust seiner gesammten Habseligkeiten kam, griff mechanisch nach der Tasche seiner Beinkleider, wo immer sein Portemonnaie ruhte – das war indessen noch vorhanden.

„Nichts nothwendig, Sir, bis ich wieder zurück bin!“ rief der Schwarze, der seine Bewegung mißverstanden, und wandte sich mit einem mahnenden Blicke gegen Dutch-Henry nach der Thür.

„So lassen Sie sich die Zeit nicht lang werden!“ nickte dieser und folgte nach einem letzten Blicke auf die bleiche Mädchengestalt dem bereits vorausgetretenen Schwarzen.

Behrend ging langsam nach dem Tische, wo die Lampe stand, schnuppte die Flamme und schob den Docht weiter heraus; dann zog er einen Schemel an Ellen’s Lager, strich ihr leise und behutsam das feuchte aufgelöste Haar aus dem Gesicht und begann sich nun in ein Anschauen der hellbeleuchteten Züge, deren Reinheit und Schöne in ihrer jetzigen Unbeweglichkeit und Marmorblässe nur um so bestimmter hervortraten, zu versenken. Die gesammten Ereignisse der letzten zwei Stunden, von dem Momente, wo er ihr erstes „Joseph, Joseph!“ gehört, zogen noch einmal an ihm vorüber, aber sie erschienen ihm kaum anders als lebendige Traumbilder, und er wußte, daß mit dem Augenblicke, wo sie Beide ihren natürlichen Boden wieder betraten und die nüchterne Wirklichkeit sie umgab, auch die heutige Nacht wie ein Traum zwischen ihnen versinken mußte. Der alte Peters würde jedenfalls das Mögliche thun, um ihm seine Erkenntlichkeit zu beweisen, dennoch aber, schon des künftigen Schwiegersohns halber, die ganze Sache für sehr unangenehm halten – nur einen Augenblick schoß dem Sinnenden dabei der Gedanke an eine absichtliche Zerstörung des Dampfboots und Webster’s Antheil daran durch den Kopf; aber die Annahme war so kraß, so gewagt, und selbst die Auffindung eines möglichen Grundes dafür hätte er so wenig zu unternehmen vermocht, daß er die Idee ebenso schnell unterdrückte, als sie ihm gekommen war. Und als er jetzt in dieses stille Gesicht vor sich blickte, begann es ihn so schmerzlich zu drängen, einen ungestörten Abschied von dem schönsten Traume seines Lebens zu nehmen, so lange ihm dieses noch möglich sei, ehe sie die Augen aufschlüge und die kalten Verhältnisse der Welt wieder zwischen sie träten, daß er fast unwillkürlich sich erhob, sich über sie beugte, als wolle er den kleinsten ihrer Züge tief in sich aufnehmen, und dann, seinem vollen Herzen nicht mehr gebietend, mit seinen Lippen leise die ihrigen berührte. Aber fast mit der Bewegung eines halben Erschreckens richtete er sich wieder auf; er hatte einen warmen, weichen Mund, hatte merkbare Athemzüge gefühlt und soeben meinte er ihre Brust sich leicht heben zu sehen. In einer Art von Furcht, daß sie jetzt die Augen aufschlagen möge, faßte er seinen Schemel und zog sich damit behutsam ein Stück in das Zimmer zurück; als aber nach längerer Beobachtung sich nur ein beginnendes ruhiges Athmen als Veränderung an ihr zeigte, wandte er das Licht, daß der Schatten der Lampe auf sie fiel, ließ sich dann auf einem Schemel neben dem Tische nieder und drückte das Gesicht in seine beiden Hände, sich zuerst völlig seinen erregten Empfindungen und dann der über ihn kommenden Ermattung hingebend.

Erst als durch die offene Thür Stimmen hereindrangen, fuhr er wieder auf, ohne indessen sogleich zu wissen, ob er längere Zeit geschlafen oder nur im halbwachen Träumen dagesessen. Die Lampe war am Erlöschen, durch die Thür und das kleine Fenster ihr gegenüber aber drang der matte Schein des anbrechenden

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 818. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_818.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)