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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

Juli 1856 wurde die Erzherzogin Gisela geboren. Wohl liebte sie auch dies Kind mit derselben Innigkeit, wie das erste; aber unwillkürlich mischte sich in die Rührung, mit welcher die schwache, junge Mutier es im Wochenbett küßte, das beklemmende Bedauern, daß es kein Sohn sei. Nur einmal ist der Fürstin vergönnt, ganz Mutter und Weib zu sein: ihr erstes Kind läßt man ihr, wenn es eine Tochter ist, weil man hofft, daß das zweite dem Staate gehören wird. Aber wird diese Hoffnung getäuscht – wie fangen dann die Staatsmänner an mit den Köpfen zu schütteln, und der Fürst selbst ist wohl verdrießlich, daß seine Familie sich nur mit Töchtern mehrt und mit keinem Erben. Dann kommt es oft, daß sein Interesse an der Gemahlin erkaltet, daß sie nicht mehr den früheren Reiz auf ihn ausübt und das unschuldige Weib, welches mit ungeschwächter Liebe an ihm hängt, still eine Zähre vergießt, weil es keinem Sohne das Leben gegeben. Es nagt an der Mutter Herzen der Gram, sich gegen sonst vernachlässigt zu sehen, und die Qual peinigt sie, daß ihr Gatte wohl nicht mehr ihr allein gehöre. Gewiß, die zweite Tochter einer Fürstin als zweites Kind ist eine brennende Sorge!

Die Kaiserin von Oesterreich mag hier zum ersten Mal den Kummer des menschlichen Lebens kennen gelernt haben; aber der Himmel endete ihn bald. Zwei Jahre nach der Geburt der Prinzessin Gisela war wieder ihre Entbindung nahe. Welche Aufregung muß sie während der Zeit empfunden haben, in der sie das Kind unterm Herzen trug, bis zu dem Augenblick, da sie mitten in den marternden Schmerzen, umringt von gespannten Hofdamen und Diplomaten, erfuhr, ob es wieder eine Tochter oder ob es endlich ein Sohn sei, dem sie das Leben gab! Die Angst zehrte gewiß nur zu oft an ihrem Gemüth, daß die dritte, fast die letzte Hoffnung sie täuschen kennte und sie durch die abermalige Geburt einer Tochter bei ihrem Gemahl, bei der Dynastie und im Lande an politischer Bedeutung verlieren mochte. Endlich, am 21. August 1858 kam die Entscheidung: 101 Kanonenschüsse donnerten von den Wällen der Stadt Wien, denn die Kaiserin halte den Kronprinzen Rudolph geboren. Ein Hochgefühl der Freude beseelte das Volk – und die Kaiserin? O man wird es glauben, welche Seligkeit sich auf ihr schönes, blasses Antlitz malte, als sie die Nachricht von diesem Ereignis; aus des Arztes Munde vernahm! Nun war Alles überstanden, all Kummer und Angst dahin; die Schmerzenszüge verschwanden, die leidenden Mienen wandelten sich in die des stillen Entzückens – jetzt stand sie auf dem Gipfel ihres Glücks; jetzt fehlte nichts mehr daran, nicht einmal der Sohn.

Doch ein jeder Sterbliche erfährt es, daß das vollkommene Glück nur zu schnell entschwindet und daß es nirgends des Menschen Wille und Macht festzuhalten vermag, selbst nicht auf einem Kaiserthrone. Die Kaiserin Eisabeth war kaum ihrem Wochenbett entstiegen, schöner denn je mit dem leidenden Ausdruck ihres Gesichts, durch den hindurch die Seligkeit des Glücks schimmerte, als über die zarte Natur der Sturm des Unglücks kam. Ihr erstgeborenes Töchterchen erkrankte und starb am 28. December 1858.

Es war das Kind, welches sie mit reiner, inbrünstiger Mutterliebe zuerst an ihr glückliches Herz geschlossen, dessen Lächeln sie unschuldsvoll und in ungetrübter Freude erwidert, dessen Lallen in ihr noch keinen Mißton geweckt halte. Nun war es todt; im Sarge lag der theuere Gegenstand der ersten heiligen Empfindung. Es war ein schwerer Schlag für das Herz Elisabeths, und die Thränen, welche ihren Augen reichlich entströmten, sie wuschen das letzte Roth der Gesundheit und der jugendlichen Fröhlichkeit von ihren Wangen.

Noch war der heftigste Schmerz der armen Mutter durch die Bestattung ihres todten Kindes nicht zu Ende, als die Fürstin in ihr einen neuen herben Schlag erhielt. Inmitten der ersten Trauer am Hofe zu Wien flog die Nachricht von dem Neujahrsgruß Napoleon’s an den österreichischen Gesandten. Der Schrei der Entrüstung, der darauf aus Wien antwortete, er entstieg dem tiefverletzten Stolz des kaiserlichen Hofes über die Verwegenheit des Decemberhelden. Zu den Waffen! hieß es, und plötzlich tönte Kriegsruf durch das tief im Frieden ruhende Land, und die Welt wußte, daß zwischen den Riesen Oesterreich und Frankreich ein furchtbarer Kampf auf den blühenden Schlachtfeldern der Lombardei geschlagen werden würde.

Die Tage, die seit jenem Neujahrsfest kamen, waren erschütternd für die Kaiserin Elisabeth. Ihr Stolz als Fürstin, den sie in hohem Maße besaß, war rebellirt, und sie stand zudem in dem Strudel der heftigen Strömungen und Intriguen, welche damals in der Hofburg vorhanden waren. Die Aufregung steigerte sich natürlich, als nun im Frühjahr 1859 der Krieg wirklich ausbrach. Mit Siegeszuversicht zog Oesterreich über den Tessino, und am Hofe schwelgten Alle in der Erwartung stolzer und großer Triumphe à la Novara. Auch die Kaiserin lebte ganz in diesen Hoffnungen, und man kann sich denken, wie schwer sie litt, als die Nachricht von der verlorenen Schlacht bei Magenta eintraf. Die bittersten Gefühle brachen bei ihr durch; denn längst lebte eine Ahnung in ihr, daß der Mann, welcher durch seinen Einfluß auf den Kaiser die Seele der Kriegführung geworden war, des Landes und ihr persönliches Unglück bedeute. Dieser unheilvolle Mann mußte fort – es kostete manchen Kampf des gekränkten Weibes, ehe es gelang. Der Kaiser war zudem selbst in den Krieg gezogen, und seiner Gemahlin bangte um sein Leben und um das Geschick der letzten Schlacht; denn Franz Joseph war heißblütig, feurig; es war nur zu möglich, daß er sich mitten in’s Kampfgewühl stürze. Nach dieser Angst, vermehrt mit dem Drucke eines andern stillen Kummers, folgte das schmerzliche Empfinden der Demüthigung durch die Schlacht von Solferino und den Frieden von Villafranca. Für eine zarte Frau, in welcher still und unbemerkt schon das Gift der Schwindsucht arbeitete, war dieser jähe Wechsel heftigster und erschütterndster Gefühle ohne Nachtheile für ihre Gesundheit nicht zu ertragen. Seit dem Frieden von Villafranca war die Kaiserin von Oesterreich eine gebrochene Blume der Jugend, und schnell arbeitete die Krankheit an der Zerstörung ihrer Brust.

Bei der zarten Natur Elisabeth’s war sie offenbar zu jung vermählt worden; die schnelle Folge der Entbindungen, die seit dem Tode des ersten Kindes so gewaltig auf sie einstürmenden und marternden Empfindungen; dann auch die scharfe Zugluft in Wien, die so viel Procent der Todesfälle daselbst an Schwindsucht und Lungenkrankheiten bewirkt – dies Alles halte die Gesundheit der Kaiserin schnell zerstört – bald war das liebliche, schöne Weib ein leidendes Wesen, dem der Tod schon auf den Fersen folgte; die Wangen waren verblüht, die Augen leuchteten mild, aber tief traurig; das Glück rief kein Lächeln mehr um den schönen Mund – die Kaiserin war tiefen Mitgefühls werth!

Vergebens hatte man sie gebeten, nach einem milderen, wohlthätigeren Klima zu gehen, um die verheerende Krankheit aufzuhalten, und vielleicht noch zu ertödten. Sie wollte Wien nicht verlassen um des Kaisers willen. Endlich, als die Gefahr zu groß wurde, rang man ihr die Einwilligung ab, nach Madeira zu gehen. Im Frühling 1861 führte sie eine österreichische Fregatte nach der herrlichen südlichen Insel, und wehmüthige Gedanken des Volkes begleiteten sie dahin. Jedermann wußte, daß es die lebende Leiche der Kaiserin war, die über’s Meer getragen wurde, und Niemand glaubte, daß sie den Boden Madeiras betreten werde. Von Tag zu Tag fürchtete man die Nachricht von dem Erlöschen dieses jungen Lebens; von Tag zu Tag jedoch hob sich die niedergedrückte Hoffnung mehr empor, denn man vernahm, daß die verloren Gegebene lebe und in wunderbarer Weise ihre Kräfte zurückgewinne. Madeiras weiche, warme Luft gab diesem vom Tod schon ergriffenen Körper die Lebensbedingung, den Athem, zurück. In Venedig gewöhnte man die Kaiserin dann wieder an die europäische Atmosphäre; in Ischl und Kissingen wurden ihr durch die heilbringenden Wasser Blut und Kräfte zurückgezaubert. So war es möglich, daß sie im Hochsommer 1862 wieder in die verwaiste Hofburg zu Wien einzog, ein Wunder der Natur, eine neue Braut mir einem neuen Leben, die das Volk im herzlichen Jubel als eine dem Tode abgerungene Beute begrüßte.

Ja, mit einem neuen Leben stieg Elisabeth wieder auf den Kaiserthron, dessen verschwundener Pomp und Glanz damit zurückkehrte. Aber welch eine Masse von Erfahrungen, von Angst, Herzenssorge, Schmerz und Leidenschaft lag zwischen damals, als sie unschuldvoll wie ein Kind aus ihres Vaters Schloß in die Hofburg zog, und jetzt, als sie aus dem rettenden Exil zurückkehrte! Die Glückseligkeit des Herzens, die hingebende Fröhlichkeit der Jugend – diese Schätze erwirbt kein Sterblicher zurück, Hai er sie einmal verloren, und alle Macht der Fürsten erweist sich hierin als ohnmächtig. Das Schicksal ist demokratisch genug, alle Menschen gleich zu machen; gönnt es dem Armen still das Glück seines Herzens,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 807. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_807.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)