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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

kurzer Zeit, wie er meinte, von einem leichten Ruck des Boots wieder zum halben Wachen gelangte, stand ihm nur ein köstliches Traumbild vor der Seele, in das er sich schnell, ehe es völlig verschwand, wieder zu versenken suchte. Er sah sich auf einer grünen Wiese mit malerisch eingestreuten Gebüschpartien, zwischen denen soeben die kleine Helene Peters verschwand, noch einmal die großen prächtigen Augen lächelnd nach ihm zurückwendend. Sie war dasselbe kleine Mädchen, wie er es in Deutschland gekannt, und doch konnte das auch wieder nicht sein, denn er wußte ja, daß er sie über alle Begriffe liebe, daß er glaubte sterben zu müssen, wenn er sie in diesem Gewirre von Buschwerk nicht wieder zu finden vermöge. Er war ihr nachgeeilt; bald meinte er sie hier durch das Gesträuch rascheln zu hören, bald dort ihr Kleid verschwinden zu sehen, aber immer war es eine Täuschung, die ihn geäfft. Er fühlte endlich vor innerer Angst den Schweiß auf seine Stirn treten, die ganze Luft schien ihm heiß und erstickend zu werden, aber immer trieb es ihn vorwärts aus einem Irrweg in den andern – da hörte er plötzlich wie aus weiter Ferne: „Joseph, Joseph! Joseph, um Gotteswillen!“ Das war ihr Ruf, aber wie in Todesangst ausgestoßen und in einem Gefühle, als solle ihm das Herz springen, suchte er sich gerade Bahn durch das Gesträuch zu brechen – da erfolgte ein Schlag, als solle die Erde bersten; hoch auf fuhr der Schlafende und sah die verriegelte Thür seiner Cabin in Stücken hereinbrechen. „Joseph, Joseph!“ klang es noch immer, und: „Hier ist er, Ma’am, nur hierher!“ antwortete eine athemlose Stimme.

Die erste Empfindung, welche dem Aufgeschreckten zum Bewußtsein kam, war die einer glühenden, fast den Athem versetzenden Hitze; der nächste Augenblick ließ ihn eine durch die gesprengte Thür hereindringende flackernde Helle erkennen – dann stand er auf seinen Füßen und mit dem plötzlich sein Gehirn durchschießenden Gedanken: das Boot brennt! der im Nu in allen seinen ungewissen Befürchtungen Klarheit schuf, war er auch im Salon. Er hatte indessen kaum die auf der andern Seite des Fahrzeugs aus dem untern Raume empor lohenden Flammen, von denen dort soeben die äußere Gallerie ergriffen wurde, bemerkt und das Knistern und Prasseln ringsumher in sein Ohr aufgenommen, als eine weiße Gestalt ihm entgegen stürzte und athemlos, die Züge starr vor Entsetzen, seinen Arm faßte. Ein einziger Blick hatte ihn Ellen im spitzenbesetzten bis zum Halse geschlossenen Nachtgewande erkennen lassen. „Hier hinaus, es ist nirgends mehr ein anderer Ausgang,“ rief sie, nach der nächsten diesseitigen Thür zur Gallerie deutend, während ein Strahl von kräftiger Energie durch die Angst in ihrem Auge brach, „aber um Gotteswillin rasch Matratzen her, sonst sind wir doch verloren!“

„Hier sind sie schon!“ klang die keuchende Stimme Bob’s, welcher mit Bettstücken beladen aus einer der Cabins stürzte; im gleichen Augenblicke aber wurde ein Brechen und Prasseln laut, das jedes andere Geräusch verschlang, und mit einem hastigen: „Hierher, Joseph, mir nur nach!“ ergriff Ellen eine der Matratzen und flog, sie umschlingend, nach der noch unversehrten Gallerie, an welcher indessen ebenfalls die Flammen schon herauf zu lecken begannen. Als Behrend – in diesem Momente fast mehr von der Sorge für das Mädchen als für sich selbst erfaßt – ihr nacheilte, hörte er hinter sich die Schreckensrufe der erst jetzt aus ihren Cabins stürzenden übrigen Passagiere; aber er durfte nicht darauf achten – vor ihm hatte Ellen sich soeben auf die Barriere der Gallerie geschwungen und sprang ohne einen Augenblick der Zögerung in den von den Flammen erleuchteten Strom hinab. In der nächsten Secunde hatte er den Sprung ihr nach gethan; das laue Wasser schlug über ihm zusammen, und als er wieder auftauchte, sah er sie, die schwimmende Matratze umklammert haltend, ein Stück von sich auf der Oberfläche treiben. In diesem Augenblicke fuhr ein dritter Körper in den Strom hernieder, und zugleich meinte Behrend das schwimmende Fahrzeug auf sich zukommen zu sehen. Mit zwei kräftigen Stößen war er bei dem Mädchen; neben ihm aber tauchte jetzt, wie der Kopf eines schwarzen Pudels, Bob’s wolliges Haupt empor. „Rasch zur Seite, oder das Boot faßt uns!“ rief der Deutsche, „treten Sie nur mit den Füßen aus, Miß Ellen, und es wird von selbst gehen!“ Sie schien ihn indessen nicht gehört zu haben und blieb regungslos in ihrer Lage; dagegen fuhr der halbe Leib Bob’s mit einem Umblick nach den Flammen aus dem Wasser. „Der Nebel trügt, Sir, die Mordbrenner haben schon dafür gesorgt, daß es nicht nach dem Ufer treibt – die Maschine gehemmt und das Steuer festgemacht,“ sagte der Schwarze mit heiserer Stimme, „o, ich weiß Alles – aber jetzt nur nach dem Lande, helfen kann man doch nichts mehr!“

„Hierher, Bob!“ rief Behrend, welchen bei der Sicherheit, welche der Neger im Wasser zeigte, eine Art Beruhigung überkommen hatte, „wir nehmen die Lady zwischen uns und bringen sie so leicht an’s Ufer.“

„O, Miß Peters – sicherlich, Sir!“ war die eifrige Erwiderung, und in der nächsten Minute hatten Beide ihre Plätze zur Seite des regungslosen Mädchens genommen und begannen im kräftigen Ausstreichen mit ihr die Nähe des Boots zu verlassen.

Wenige Minuten Entfernung nur mochten sie im ruhigen Vorwärtsarbeiten zurückgelegt haben, als schon von dem Brande des Schiffs nur noch ein heller unbestimmter Schein zu erblicken war. Der Nebel lag dick wie zum Greifen auf dem Flusse, daß auch das Mondlicht sich nur wie ein Dämmerschein darin geltend machte, und durch Behrend’s Kopf, in welchem sich jetzt nur die Gedanken für das Allernächste klar zu bilden vermochten, schoß plötzlich eine Sorge über die eingeschlagene Richtung. Das Wasser floß hier so träge, daß man, ohne besonders fühlbaren Unterschied, die Strömung ebenso hätte durchschneiden als mit ihr gehen können; jedes andere Merkmal aber hielt der Nebel dicht verschleiert, und nach einigen neu verstrichenen Minuten, in welchen der junge Mann sich vergebens zu orientiren versucht, fragte er: „Bob, seid Ihr sicher, daß wir auch dem Ufer entgegen arbeiten?“

„Ich denke doch, Sir,“ war die Antwort, während der Oberkörper des Schwarzen zu einem neuen Rundblick aus dem Wasser fuhr, „wir sind von der Seite des Boots, gerade dem Lande zu, losgegangen, und das Boot müßte eine Schwenkung gemacht haben, wenn wir falsch sein sollten. Aber es braucht gut eine Viertelstunde oder auch länger, Sir, um das Stück Wasser zu durchschwimmen – wir müssen noch über die Hälfte vor uns haben, und ich hatte nur Sorge, ob die Matratze der Lady lange genug das Wasser zurückhalten werde.“

„Vorwärts denn, und so rasch wir vermögen!“ erwiderte Behrend mit einem Blicke nach dem Mädchen, deren schweres dunkeles Haar aufgelöst in das Wasser niederhing und die Aussicht in ihr Gesicht verdeckte, und wieder ging es in regelmäßigem Arbeiten in der frühern Richtung vorwärts.

(Schluß folgt.)     


Auf einem Kaiserthron.

Das Haus Lothringen-Habsburg hat stets nach zwei Seiten hin die Pläne seiner Familienverbindungen und damit der möglichen Vergrößerung seines Länderbesitzes im Auge gehabt: nach Italien und nach Baiern. In früheren Zeiten richtete es seine Verheirathungspolitik gerade nach der entgegengesetzten Seite und stellte dieselbe hier erst ein, als Alles erworben war, was irgend nur auf solchem Wege zu erwerben ging. Die Kronen von Böhmen und Ungarn waren die Gewinnste solcher Heirathen, und sie erhoben das Erzherzogthum Oesterreich plötzlich zu einem so großen und mächtigen Staate, zu jenem Austria felix, dessen erheirathete Stücke sich zu ihrer Fortexistenz förmlich auf einander angewiesen sahen. Aber mit Böhmen und Ungarn und dessen fetten Zugehörigkeiten von Croatien und Siebenbürgen war im Osten der österreichischen Mark ziemlich Alles weg, was durch Heirathen zu erwerben ging.

So kam es, daß die italienischen Prinzessinnen und die süddeutschen, namentlich die bairischen, am Wiener Hofe die Blicke des Begehrens auf sich zogen, weil seit Maria Theresia’s Zeit die Heimath beider als zukünftige, höchst angenehme Adnexe der österreichischen Monarchie auserkoren waren. Italien zu besitzen und Deutschland zu beherrschen wurde Hauspolitik von Oesterreich. Maria Theresia selbst hatte durch ihren Gemahl Franz von Lothringen das Großherzogthum Toscana erworben; Joseph II. heirathete zuerst eine Prinzessin von Parma und nach deren frühem

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