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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

zu sehen glaubte, doch durch ein Trugbild ernüchtert wurde. Ein das vor mir wogende Kornfeld überragender Baumstumpf mit phantastisch geformten Geäste, das dem hohen Schmuck des erwarteten Waldfreiherrn glich, hatte meine aufgeregte Phantasie befangen. Als es aber so hell wurde, daß man den ganzen Sehkreis mit Sicherheit prüfen konnte, ließ sich ebenfalls weit und breit kein Wild erblicken. Endlich gewahrte ich doch, wie auf dem nachbarlichen Gemeindereviere des nahen Dorfes ein Stück Rothwild mit dem Kälbchen aus dem Getreide herauszuziehen im Begriffe stand. Natürlich interessirte mich dieser Anblick des traulichen Paares ungemein, doch nicht etwa in der Hoffnung einen Schuß auf die schmucken Geschöpfe anbringen zu können, sondern nur um ihr Gebahren beobachten zu wollen.

Jetzt eilte das Kälbchen mit keckem Sprunge über die Stangenvermachung des Feldes, während das alte Thier vertraut nachzog. Eben wollte es seinem Lieblinge über das Hinderniß folgen, als es plötzlich zeichnete, und unmittelbar darauf schlug ein dröhnender Schuß an mein Ohr. In toller Flucht überfiel das alte Thier nun ebenfalls den Zaun, wobei es aber mit den Hinterläufen in den morschen Stangen, die davon theilweise zerbrachen, hängen blieb und in Folge dessen zusammenstürzte. Ein hinter dem Kornfelde gegen eine dunkele Holzwand aufsteigendes Wölkchen bezeichnete die Stelle des Schützen, der auch bald darauf sichtbar wurde, indem er dem Anschuß zueilte. Ein Bauer war es, der, gleich mir, den Frühanstand benutzt und das alte Thier, ohne Rücksicht darauf, daß es ein Kälbchen führte, angeschossen hatte. Wie in den Erdboden gewurzelt, stand das erschrockene Kälbchen neben seiner verwundeten und zusammengebrochenen Mutter und starrte sie an. Diese schnellte jedoch im Augenblicke wieder empor und ging flüchtig, das Kälbchen hinter sich her, dem nahen Walde zu. Die Kugel saß, wie ich deutlich bemerken konnte, da die Flüchtlinge ziemlich nahe, freilich noch auf Nachbarrevier, an mir vorüber kamen, dem Stück Wild in der rechten Keule und war jedenfalls, dem Gange des Thieres nach zu schließen, nur in das Wildpret eingedrungen.

Natürlich berichtete ich, im Forsthause angekommen, getreulich das Erlebte, worauf wir, der Förster und ich, Nachsuche hielten. Wir waren auch so glücklich mitunter Schweiß auf der Fährte zu finden, die in ein nahes Dickicht führte, wo das Stück Wild, wie zu vermuthen, steckte. Kaum hatte der Förster mich auf den Wechsel gestellt und war, nachdem er Pürschmann, den Schweißhund, auf die Fährte gesetzt halte, selbst vorgetreten, als der Hund[WS 1] laut wurde und das flüchtige Thier dem Förster auf zwanzig Schritte herüberbrachte. Dabei hatte dieser deutlich zu sehen vermocht, daß das Wild in der That nur einen leichten Wildpretschuß habe, weshalb er ihm, in der Ueberzeugung, daß seine Genesung nicht zu bezweifeln sei, das Leben geschenkt hatte. Diese ist auch eingetreten, denn nach Jahren, nachdem das Thier gelte geworden und deshalb abgeschossen werden mußte, ist es noch meines braven Grünrockes Beute geworden, über die er sich deshalb vorzugsweise gefreut hat, weil er sie als eine dem Bauer, der früher auf das Stück Wild geschossen hatte, entrissene betrachtete. Denn so vernünftig sonst mein freundlicher Jägersmann ist, so ist er doch jedem jagenden Bauer, besonders wenn er der hohen Jagd obliegt, der unversöhnlichste Feind. In dieser Beziehung hört er auf keine vermittelnde Stimme; im Gegentheil, er wird, nimmt man die Rechte der Landleute nur einigermaßen in Schutz, im höchsten Grade erzürnt. Und er, der sonst so gemüthliche, gute Mensch, der den Käfer, wenn er auf dem Rücken liegt und mit den kleinen strampelnden Beinchen den Boden zu gewinnen sucht, umwendet, weil es ihm wehe thut, das kurze Dasein des kleinen Geschöpfes einen Augenblick verkümmert zu sehen, behauptet unbegreiflicher Weise von sich, daß er, dürfte er nur wie er wollte, jeden jagdbeflissenen Bauer mit Vergnügen zum Krüppel schießen würde.




Vorlesungen über nützliche, verkannte und verleumdete Thiere.
Von Carl Vogt in Genf.[1]
Nr. 8. Die Schmetterlinge.
Die Gaukler der Luft – Ihre große Schädlichkeit – Gefräßigkeit der Raupen – Die Structur ihrer Füße – Die Feinde unserer Gärten – Die Abendschwärmer und die Spinner.

Meine Herren!

Es giebt wohl kein poetischeres Bild in der Natur, als diese schöngefärbten Gaukler der Luft, welche leichten Fluges von Blume zu Blume, von Kelch zu Kelch flattern, hier und da Honig naschen oder mit einander tändelnd über der Erde dahin schweben, als seien sie jeder Sorge bar und ledig. In unserer Jugend hegten wir eine wahre Begeisterung für die niedlichen Sommervögel, denen wir mit Hamen und Netzen nachstellten, indem wir zur Beförderung unserer Gesundheit manche langweilige Schulstunde versäumten und, statt über dem barbarischen Typto, Typteis etc. zu sitzen, durch Busch und Wald, über Hecken und Wiesen den Schillervögeln oder Trauermänteln nachrannten. Welche Mühen wandten wir nebenbei auf, um Puppen und Raupen zu erziehen, in beständigem Kriege um die geliebten Zöglinge mit Müttern und Mägden, in deren Begriffe von häuslicher Ordnung Raupenzwinger und Blumentöpfe nicht im mindesten passen wollten! So tief hatte sich diese Liebhaberei festgepflanzt, daß ich sogar Männer der gewöhnlichen Bedächtigkeit sich entschlagen sah, als sie zum ersten Male den herrlichen Bergschmetterling, den Apollo, an steilen Halden umherflatternd erblickten, so sehr, daß sie die Trauer um das Vaterland und die Noth des Exiles für einen Augenblick vergaßen, um dem schönen Gebilde mit dem Hute in der Hand nachzujagen!

In der That sind die Schmetterlinge ohne Zweifel die schönsten, aber auch in ihrer Schönheit am leichtesten vergänglichen Insecten. Die meist sehr großen Flügel sind mit mikroskopischen Schüppchen besetzt, welche mannigfache seltsame Formen besitzen und wie ein gefärbter Mehlstaub sich abwischen lassen. Durch die eigenthümliche Bildung feiner Rippen auf diesen Schüppchen brechen diese das Licht oft so eigenthümlich, daß, wie bei dem Schillervogel, die Farbe eine durchaus verschiedene erscheint, je nachdem man den Flügel von der einen oder andern Seile betrachtet.

Außer diesen bestaubten Flügeln, die nur selten bei einigen Schmetterlingsweibchen verkümmert sind oder gänzlich fehlen, zeichnen sich die Schmetterlinge noch durch den Besitz eines elastischen, meist spiralig aufgerollten Rüssels aus, der aus zwei Halbrinnen besteht, welche sich mit den hohlen Flächen gegeneinander legen und so eine Röhre bilden, durch welche die Thiere den Honigsaft der Blumen aufsaugen können. Es ist dieser Rüssel aus der Umwandlung der Kinnbacken hervorgegangen, welche bei allen Raupen in der gewöhnlichen Form vorhanden sind. Die Fühler sind äußerst mannigfallig gestaltet, bei den Tagschmetterlingen meistens keulenförmig, indem an ihrer Spitze ein kleiner Knopf sich befindet, bei den Nachtschmetterlingen häufig in Form eines Federbusches oder einer Feder. Die Beine der Schmetterlinge sind gemeiniglich lang, häufig mit langen Spornen und Dornen besetzt; der Leib des Weibchens bei weitem dicker als derjenige der Männchen, die gewöhnlich kleiner sind und oft bedeutende Verschiedenheiten an Größe, Gestalt und Farbe der Flügel zeigen.

Jedermann weiß, daß die Schmetterlinge Insecten mit vollständiger Verwandlung sind, daß sie aus Eiern, Raupen und Puppen

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Hand
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 791. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_791.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)
  1. Ich erhalte so eben folgenden C. S. gezeichneten Brief aus Frankfurt vom 1. November, mit der Bitte um Antwort in der Gartenlaube.
    „Bezüglich Ihres Aufsatzes in Nr. 43 der Gartenlaube erlaube ich mir, eine Frage an Sie zu richten. Sie sagen nämlich, den rothgelben Ameisen sei die Liebe versagt. Woher entstehen aber diese Ameisen, wenn, wie Sie sagen, die Liebe ihnen versagt ist? Ohne Liebe?“
    Die Antwort ist sehr einfach. Altes, was von den Ameisen, den Amazonen etc. gesagt ist, bezieht sich nur auf die geschlechtslosen Arbeiter-Ameisen, die ungeflügelten Neutra, welchen die Natur allerdings die Liebe und die Fortpflanzung versagt hat. Die geflügelten, nichtarbeitenden Männchen und Weibchen, die man nur beim Schwärmen sieht, kommen, wenn man von den Arbeiten und Kämpfen der Ameisen schlechthin redet, in keinen Betracht.                         Genf, den 6. November 1862.
    Carl Vogt.