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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

No. 50.   1862.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.


Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen.    Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.



Eine Speculation.

Erzählung aus dem amerikanischen Südwesten.
Von Otto Ruppius.
(Fortsetzung.)


Eine Zeitlang noch stand vor Behrend’s Gedanken das zufällig belauschte Gespräch, das irgend ein lichtscheues Unternehmen verrieth, ohne daß doch der junge Mann über die Natur desselben mit sich hätte einig werden können; als er aber in die nächste sich öffnende breite Straße einbog, um nach seinem Hotel zu gelangen, traten seine eigenen Angelegenheiten wieder vor seine Seele. Daß er jetzt an der Landung gestanden, in der Dunkelheit versuchend, die unten liegende „Lilly Dale“ aus dem Gewirre der übrigen Dampfboote herauszufinden, war das Ergebniß eines Tages voll erregter Hoffnungen und immer aufs Neu folgender bitterer Enttäuschungen. Er war nirgends, wohin ihn seine Empfehlungsbriefe geführt, mit Unfreundlichkeit oder auch nur mit Kühle empfangen worden; es waren jedenfalls warme Worte, durch welche sein New-Yorker Principal ihn eingeführt, denn man hatte sich sichtlich für sein Unterkommen interessirt; und waren auch die Geschäfte, an welche er adressirt worden, bereits überall besetzt, so wurden ihm doch eine Reihe neuer Adressen mit der nöthigen Empfehlung aufgegeben; ja Einer der Principale war sogar persönlich zu verschiedenen seiner Geschäftsfreunde mit ihm gegangen; aber immer war das Endresultat aller Nachfragen und Bemühungen gewesen, daß, wenn Behrend einige Wochen warten könne, sich jedenfalls etwas für ihn finden werde, daß aber bei der Menge junger Kaufleute, welche seit der Krisis im Osten St. Louis heimgesucht, sich für den Augenblick kaum ein Engagement werde erzwingen lassen. Warten aber konnte Behrend nicht mehr, er hatte es zu lange für seine Geldmittel in New-York und Cincinnati gethan. Als er nun bei dämmerndem Abend, ohne sich eines stillen Drucks ganz erwehren zu können, den Weg nach seinem Hotel eingeschlagen, hatte er neben einem der gebräuchlichen Lastkarren, die Peitsche in der Hand, eine Figur erblickt, deren er sich, wenn auch in besserem äußerlichen Zustande, aus seinen New-Yorker Kreisen zu erinnern gemeint, und sein zweifelnder, starrer Blick hatte auch sofort bei dem Beobachteten eine lachende Begrüßung hervorgerufen. Wenige Worte der folgenden Erklärung waren hinreichend gewesen, um in Behrend jede etwa noch wache Illusion über seine Aussichten zu zerstören. Der jetzige Karrenführer und vormalige Handlungsbeflissene, der ebenfalls mit den besten Empfehlungen St. Louis betreten, hatte sich so lange mit der Hoffnung auf eine passende Stelle getröstet, bis ihm Geld und Credit zu Ende gegangen und er, um nicht zu verlumpen, die nächste sich ihm bietende Beschäftigung angenommen hatte. Man kannte in der kaufmännischen Welt den Fall und rechnete es dem jungen Manne zur Ehre an, daß er zu anderer Arbeit gegriffen und nicht, wie ein großer Theil der übrigen Beschäftigungslosen, sich auf schlechtes Schuldenmachen gelegt. Er hatte jetzt selbst den Plan, nach New-Orleans zu gehen und dadurch auf jede Gefahr hin sich seiner Lage zu entreißen, aber noch waren seine neuerworbenen Mittel zur Reise nicht hinreichend. – Nach einem gemeinschaftlichen Schlucke im nächsten Trinklocale hatten sich endlich Beide getrennt, und Behrend war nach einer kurzen Wanderung durch die bereits dunkeln Straßen zu dem Entschlusse gelangt, keinen Tag länger hier sein Geld unnütz zu verzehren und sich auf kürzestem Wege, am Flusse selbst, nach dem nächsten abgehenden Dampfschiffe zu erkundigen. So war er nach der Landung gekommen, wo ihm die Frachtgüter auf dem von ihm eingeschlagenen Wege einen Halt zu besserer Orientirung geboten hatten. –

Als Behrend eine Stunde später sein Bett gesucht hatte und noch einmal die Erlebnisse des Tages an sich vorüberziehen ließ, wollte ihm die Begegnungsweise des alten Peters unter den obwaltenden Verhältnissen fast in einem milderen Lichte erscheinen; und wenn er auch nach den fehlgeschlagenen Versuchen zu seinem Unterkommen dessen Geschästslocal am wenigsten noch aufsuchen mochte, um nicht in den Verdacht zu gerathen, als hoffe er zuletzt noch auf eine Art Barmherzigkeitshülfe durch ihn, so wollte er doch der Schicklichkeit genügen und einen Besuch in dessen Privatwohnung machen. Ließ sich die Tochter sehen, so hoffte er wenigstens den Eindruck bei ihr zu verwischen, den er bei seinem ersten Auftreten als unglücklicher Beschäftigung Suchender auf sie gemacht haben mochte; nahm sie indessen seinen Besuch nicht an, was sich bei der Weise, in der sie ihn am Morgen verabschiedet, auch erwarten ließ, so konnte er damit sein Urtheil über diese Leute vervollständigen. Trotz der Ruhe indessen, mit welcher er sich den letzten Gedanken vor die Augen zu stellen suchte, überschlich ihn doch auf’s Neue das Gefühl von innerer Wundheit, welches er am Morgen nach dem ersten Empfange gehabt – das war dasselbe kleine Mädchen, das so oft nach „dem Joseph“ gerufen, wenn irgend eine Schwierigkeit bei einem unternommenen Spiele zu beseitigen war, oder eine vermeintliche Gefahr durch einen fremden Hund oder einen frechen Bettelbuben sich zeigte; es war sonderbar, wie treu mit einem Male alle diese längst untergegangenen Erinnerungen wieder in seiner Seele aufstiegen – und als er nach geraumer Weile aus einem Halbschlummer, der ihn überkommen, auffuhr, betraf er sich auf so wunderlichen, schon halb zum Traum gewordenen Phantasiebildern von seltsamen Genugthuungen, die sich sein Stolz ihr gegenüber schuf, von denen aber dennoch jede ihm das eigene

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 785. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_785.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)