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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

darauf basirten Resolutionen der Versammlung zeigten die Richtung, wie die Eidgenossenschaft auf friedlichem und gesetzlichem Wege aus der über sie hereingebrochenen Krisis herauskommen und aus einem Staatenbunde ein Bundesstaat werden könnte. Es sollte freilich anders kommen; denn so, wie die Menschen einmal sind, ist es nur ein gutmüthiger Traum, zu glauben, daß große und wohlthätige Umgestaltungen auf friedlich gesetzlichem Wege sich bewerkstelligen ließen. Wir Deutsche werden das eines Tages erfahren, wie die Schweizer es erfahren haben. Jonas Furrer war aber durch und durch eine gesetzmäßige Natur, ganz und gar ein Mann des Rechts. Er lebte der Ueberzeugung, daß die Rechtsidee mächtig genug sei, ohne Anwendung von Gewaltmitteln durchzuschlagen und zu siegen, und es hat ihn, wir wissen es, heftigste Seelenkämpfe, schmerzlichste Selbstüberwindung gekostet, um sich zu der Ansicht zu bekehren, daß das Dumme, Unnütze, Abgelebte keineswegs Vernunftgründen und Rechtsworten weiche, sondern nur handgreiflicheren Motiven.

Jonas Furrer.

Er hatte ausreichende Gelegenheit, dies zu erkennen, als er, im April 1845, zum Bürgermeister des Cantons Zürich gewählt, der damals bestehenden Bundesverfassung gemäß zugleich – Zürich war eidgenössischer „Vorort“ – das Präsidium der Tagessatzung übernehmen mußte. Dies war die herbe Lehrzeit des künftigen Bundespräsidenten der regenerirten Eidgenossenschaft, und fürwahr, er hat sie mit Ehren bestanden. Wenn das Staatsschiff der Schweiz, schwankend auf heftigster Parteikämpfe Sturmfluth, deren Wogen die Herren Metternich und Guizot „im conservativen Interesse“ noch mehr zu erregen brüderlichst wetteiferten, in jenen Tagen glücklich durch die zahllosen Riffe und Sandbänke auf seiner Bahn sich durchwand, so verdankte man das vorzugsweise dem Umstand, daß ein so bedächtiger, maßhaltender Mann wie Furrer am Steuer stand. Die Verhältnisse drängten einer Entscheidung zu … Sie herbeizuführen hat Furrer im Jahr 1847 in seiner Eigenschaft als Züricher Tagsatzungsgesandter in erster Reihe mitgewirkt. Nach Besiegung des Sonderbunds war sodann Furrer eines der thätigsten und einflußreichsten Mitglieder der Commission, welcher die Ausarbeitung der neuen Bundesverfassung übertragen wurde, und diese Verfassung, unbedingt die gelungenste des Jahrhunderts, klar, handlich, praktisch, gerecht und billig, dabei eine höchst glückliche Vermittlung von Föderation und Centralisation, muß zu einem guten Theile als eine Schöpfung Furrer’s anerkannt werden, der außerdem nachmals als der eigentliche wissenschaftliche Träger und Entwickler des neuen schweizerischen Staatsrechts eine sehr bedeutende Wirksamkeit entfaltete.

Als im September 1848 – im großen Glücksjahr der Schweiz – die neue Bundesverfassung feierlich verkündigt ward, verstand es sich so zu sagen von selbst, daß Furrer in das eidgenössische Ministerium (Bundesrath) gewählt wurde. Noch mehr, die Bundesversammlung (Nationalrath und Ständerath) gab nur dem Willen der ungeheuren Mehrzahl des Schweizervolks Ausdruck, als sie den Jonas Furrer zum ersten Bundespräsidenten der wiedergeborenen Eidgenossenschaft bestellte. Es liegt auf der Hand, daß von der Persönlichkeit des ersten Magistrats des neuen Schweizerbundes unberechenbar viel abhing. Es galt, der Neugestaltung der Eidgenossenschaft im Innern Bestand, nach außen Achtung zu schaffen. Ein so klar denkender und zugleich so gewissenhafter Mann, wie Furrer war, konnte sich die Größe und Schwierigkeit der Aufgabe nicht verhehlen, und es ist daher kein kokettes Komödienspiel mit sich selbst und Andern gewesen, sondern die ernste Selbstprüfung eines durch und durch redlichen Mannes und Patrioten, wenn Furrer, als er zum ersten Bundespräsidenten gewählt war, die Länge einer Nacht hindurch ruhelos in seinem Zimmer auf- und abschritt, bis er in der Reinheit seines Bewußtseins und in der Innigkeit seiner Vaterlandsliebe den Muth und den Entschluß fand, der großen Aufgabe sich zu unterziehen. Daß er dabei auch persönliche und pecuniäre Opfer zu bringen hatte – er ging höchst ungern von Zürich weg und er war der gesuchteste Advocat der Schweiz – konnte bei einem Manne von Furrer’s Schlag kaum in Betracht kommen. Wie sehr er dann die ihm gewordene Aufgabe im Sinne und zur Zufriedenheit seiner Landsleute gelöst, hierfür giebt einen unwidersprechlichen Beweis, daß er nach Ablauf seiner ersten Amtsdauer zu wiederholten Malen zur Bundespräsidentschaft berufen wurde. Sein Hauptverdienst in dieser Stellung war, wenn ich recht erwäge, ein doppeltes. Er hat nach innen unendlich viel für die Versöhnung der Parteien und damit für die Befestigung des neuen Bundes gethan, und ebenso hat er den auswärtigen Mächten gegenüber zur Geltendmachung und Anerkennung der Neugestaltung der Eidgenossenschaft ganz wesentlich mitgewirkt.

Man darf, falls man Furrer gerecht werden will, seine politische Anschauungs- und Handlungsweise schlechterdings nicht aus dem Gesichtspunkt kosmopolitischer Träumerei oder gar der Erbitterung und Verbitterung eines Flüchtlings ansehen. Man muß seine Politik vielmehr vom schweizerischen Standpunkt aus betrachten und beurtheilen. Für weltbürgerliche Revolutionsmacherei, Völkersolidarität und dergleichen Phantasmen mehr hatte er gar kein Organ. Er kannte die Menschen und war ein praktischer Schweizer. Unbedingt hielt er fest an dem Recht der Schweiz, ihren Haushalt nach Gutdünken zu bestellen; nicht weniger aber auch an der Verpflichtung

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 780. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_780.jpg&oldid=- (Version vom 3.12.2020)