Seite:Die Gartenlaube (1862) 779.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

directe Beziehungen nach allen Ecken und Enden der Welt reichen. Das sind so Resultate von politischen Zuständen, welche von deutschen Hofräthen und französischen Lakaien „anarchische“ genannt werden.

In den Gymnasialclassen der vaterstädtischen Bürgerschule legte Furrer den soliden Grund seiner wissenschaftlichen Bildung. Seine ungemeine und vielseitige Begabung offenbarte sich frühzeitig. In seinen Studentenjahren hat er studentische Bräuche fröhlich mitgemacht, als junger Advocat manche Nacht durchgetanzt, aber freilich den Morgen im Gerichtssaal so trefflich plaidirt, daß man ihm nicht anmerkte, er sei aus dem Ballsaal in die Schranken getreten. Er gab sich, wie er war, und, fürwahr, er durfte sich so geben; denn er gehörte, wenn der Ausdruck gestattet ist, zu den Menschen, deren Seele stets reine Wäsche trägt. Wer, wie der Schreiber dieser Zeilen, das Glück hatte, Furrer in seinen besten Jahren im Oberstübchen der „Häselei“ in Zürich oder in Ferientagen im „Staadhof“ zu Baden im engeren Freundeskreise zu sehen, der wird nie der zwanglosen Anmuth seiner Haltung und Rede, seines geistvollen Humors, seines beflügelten und schlagfertigen, aber stets gutmüthigen Witzes, seines herzlichen Lachens vergessen, um so weniger, da dies Alles mit einem natürlichen Takte vereint war, der das Gemeine fernhielt. Er war einer der liebenswürdigsten Menschen, denen ich auf meiner Lebensbahn begegnet bin, und Jeder, der ihm näher trat, wird dasselbe sagen. Der schweizerische Republikanismus, im besten Sinne des Wortes, dürfte kaum jemals durch eine anziehendere Persönlichkeit repräsentirt worden sein, als die Furrer’s gewesen ist.

Nachdem er sich entschieden, die Laufbahn eines Juristen zu betreten, begann er zu Ende des Jahres 1821 seine akademischen Studien am damaligen sogenannten „politischen Institut“ in Zürich. Hier erweiterte er auch seine sprachlichen und literarischen Kenntnisse unter der Leitung von Johann Kaspar Orelli, der herrlichsten Seele, welche jemals im Körper eines Philologen gewohnt hat. Sein Leben lang bewahrte Furrer eine innige Vorliebe für die classische Literatur. Horaz blieb sein Liebling, zu dem er immer wieder zurückkehrte. Und nicht umsonst: es war in Furrer’s ganzer Art, das Leben zu nehmen und zu führen, ein Hauch horazischer Philosophie. Daher war er himmelweit entfernt von jener ordinären Großmannssucht, welcher man heutzutage auf Schritt und Tritt begegnet, von jener kindischen Eitelkeit, welche stets ein paar gute Freunde und willige Fartcatchers parat hält, zu ihrem Preise die Zeitungspauke zu rühren. Wie allen wahrhaft tüchtigen Menschen, war auch Furrer das Bewußtsein eigen, daß man nie auslerne. Den lebhaften Bildungstrieb, der ihn als Jüngling beseelte, hat er auch als Mann bethätigt, indem er unter all der Last seiner Geschäfte fortfuhr, den Schatz seiner vielseitigen Kenntnisse zu mehren. So gewann z. B. der mächtige Aufschwung der Naturwissenschaften in unsern Tagen seine volle Theilnahme: noch als Mitglied der obersten Behörde der Eidgenossenschaft hat er in Bern naturwissenschaftliche Vorlesungen fleißig gehört.

Zu Ostern 1824 ging Furrer nach Deutschland, um an dortigen Hochschulen seine Studien zu vollenden. Drei Semester brachte er in Heidelberg zu, zwei weitere in Göttingen. Im Herbst 1826 reiste er über Berlin in seine Heimath zurück, wo er zunächst noch für einige Zeit nach der welschen Schweiz ging, sein Französisch zu vervollkommen. Dann ließ er sich in seiner Vaterstadt als Rechtsanwalt nieder und errang sich als solcher rasch Vertrauen und Ruf. Neben seinem Eifer und seiner Beredsamkeit gewann dem jungen Anwalt auch der Umstand die öffentliche Achtung, daß er durchaus objectiv verfuhr, sich an die Sachen hielt und ohne die alleräußerste Nothwendigkeit die Persönlichkeit der Gegner nicht angriff, – eine Eigenheit, die er aus der advocatischen Laufbahn in die staatsmännische hinübergenommen hat. Zu jener Zeit hat er auch seinen Hausstand gegründet, der ein sehr glücklicher geworden ist.

Die Betheiligung am Selfgovernment der Gemeinde ist in der Schweiz die treffliche Vorschule für die Betheiligung an Staatsgeschäften. Der angehende Politiker lernt, indem er sich zuvörderst mit Gemeindesachen befaßt, die Dinge ansehen, wie sie sind. Statt ein idealistischer Wolkenwandler zu werden, wird er ein praktischer Realist, der die „Thatsachen“ sehr respectirt, nicht selten vielleicht allzu sehr, und sich gewöhnt und bescheidet, das Nächstliegende, Mögliche, Erreichbare anzustreben. Diese Anschauungs- und Handlungsweise überträgt der schweizerische Politiker von den Geschäften der Gemeinde auch auf die des Staats, und daher das durchaus praktische Sichbescheiden schweizerischer Staatsmänner, die Interessen ihres Landes zu fördern und die „Weltverbesserung“, die „hohe Politik“ andern Leuten zu überlassen, etwa uns Deutschen, welche ja stets bereit sind, draußen aller Welt politischen Idealismus vorzudociren, während wir daheim Hassenpflug’sche und ähnliche Wirklichkeit treugehorsamst uns gefallen lassen. Man wirft den Staatsmännern der Schweiz vor, ihr Horizont sei ein enger. Nun ja, er mag nicht über die Grenzen der Eidgenossenschaft hinausreichen; aber innerhalb dieser Grenzen haben sie es verstanden, ihr Land zum blühendsten und glücklichsten Europas zu machen.

Der im Vorstehenden angedeutete politische Bildungsgang war auch der Furrer’s. Mit dem Jahr 1831 begann er in der Behandlung der Gemeindeangelegenheiten seiner Vaterstadt sich bemerkbar zu machen. Es handelte sich um eine durchgreifende Umgestaltung der Stadtverfassung, und da ist es Furrer gewesen, welcher die Grundsätze und Forderungen der neuen Zeit siegreich zur Geltung brachte. Die neue, im liberalen Geist entworfene Verfassung seiner Heimathgemeinde war vorzugsweise das Werk Furrer’s, dessen Name von da an in weiteren Kreisen guten Klang bekam. Er übersiedelte nach Zürich, wo seine Praxis als „Fürsprech“ rasch eine sehr glänzende, aber auch höchst beschwerliche wurde und wo er als ein Ebenbürtiger und sehr Willkommener in den Kreis der Männer eintrat, welche damals das ruhmvolle Werk der Regeneration des Cantons Zürich vollbrachten und in Verbindung mit ihren Gesinnungs- und Parteigenossen in den übrigen Cantonen das Werk der Regeneration der Eidgenossenschaft vorbereiteten. Es war eine hoffnungsreiche, schöpfungsfreudige, thatkräftige Zeit, welche, wenngleich nicht „alle Blüthenträume reiften“, für die Schweiz unendlich fruchtbar geworden ist. Furrer hatte an diesem Reformwerke seinen redlichen Antheil. Im Jahre 1834 in den Großen Rath (die gesetzgebende Behörde) und drei Jahre später in den Erziehungsrath gewählt, hat er in beiden Behörden viel und erfolgreich gearbeitet. Die Spuren seiner Thätigkeit kann der Kundige in den gesetzgeberischen Acten jener Zeit leicht verfolgen.

Die „Straußiade“ von 1839 stürzte bekanntlich das liberale Regiment in Zürich und brachte für etliche Jahre die Reactionäre an’s Ruder. Furrer hatte als Mitglied des Erziehungsrathes mit für die Berufung des berühmten Kritikers gestimmt. Die Katastrophe traf ihn auf dem Präsidentenstuhl des Großen Raths, von wo er bei Nacht und Nebel entweichen mußte, um im benachbarten Aargau ein zeitweiliges Asyl zu suchen … Die Achtung vor dem frischen Grab eines edlen Todten verbietet mir, Angesichts desselben den Schmutz dieser „hehren Bewegung“ von Neuem aufzuwühlen. Genug, im September von 1839 wurde in Zürich die „Religion gerettet“, gerade so, wie, nur in größerem Style, im December 1851 in Paris die „Gesellschaft gerettet“ ward. Man kennt das … Die gewaltsame Unterbrechung des naturgemäßen Entwicklungsganges der Dinge hielt indessen nicht lange vor. Selbst die zu Hülfe gerufene „Weltwissenschaft“ eines publicistischen Cagliostro oder vielmehr „Schröpfer“ konnte das Fiasco der „hehren Bewegung“ nicht verhindern. Schon die Maiwahlen von 1842 führten Furrer in den großen Rath von Zürich zurück, wo er jetzt als anerkannter Führer der liberalen Partei die Opposition gegen die Septemberregierung leitete. Zwei Jahre später nahm er wieder den Präsidentenstuhl ein; die Reaction war beseitigt.

Von da an gewann Furrer’s politische Thätigkeit und Stellung mit jedem Tage größere Dimensionen; der cantonale Parteiführer erhob sich zur Bedeutung eines eidgenössischen Staatsmanns. Die große schweizerische Krisis, deren Eintreten der Aargauer Klosterhandel bezeichnete, hob an. Der Kampf zwischen Altem und Neuem, zwischen Stabilität und Fortschritt, zwischen Verrottung und Wiedergeburt, welcher in den dreißiger Jahren innerhalb der einzelnen Cantone gefochten worden, war jetzt auf eidgenössischen Boden verlegt. Der Siegespreis, welchen die Liberalen im Auge hatten, war eine zeitgemäße Umgestaltung der Bundesverfassung. Zur Erstrebung oder Abwehr dieses Ziels hatten sich in der Schweiz zwei große Parteien organisirt: hier die liberale, wohl auch die radicale genannt, dort die ultramontane, mit anderen Worten: eine Rückschritts- und eine Fortschrittspartei. In die Wagschale der letztern legte der Canton Zürich das ganze Gewicht seines Ansehens und Einflusses und zwar von dem 26. Januar 1845 an, wo Furrer der denkwürdigen großen Volksversammlung in Unterstraß vorsaß. Seine bei dieser Gelegenheit gehaltene Rede und die

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 779. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_779.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)