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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

und frischte seine Lebensgeister an. Wenn er auch von dem Briefe seines Vaters einen Haupterfolg gehofft hatte, so war er dennoch nicht allein auf ihn gestützt hierher gegangen. Drei Empfehlungen seines New-Yorker Principals für St. Louis befanden sich noch in seinem Taschenbuche, und bei diesem regen Geschäftstreiben überall meinte er kaum an so schlechte Aussichten, wie sie der Dampfboot-Eigener für jeden Stellung suchenden jungen Mann angedeutet, glauben zu dürfen. Eine Minute lang stand die Erscheinung des genannten wieder vor seinem inneren Auge; und es war ihm, als sei ihm noch nie ein Gesicht begegnet, das ihn durch den Ausdruck hochmüthiger Sicherheit, zugleich aber auch durch einen eigenthümlichen Zug von Seelengemeinheit so abgestoßen hatte, wie dieses – und das war die Wahl desselben Mädchens, das seine Jugenderinnerung jetzt in ein so helles Licht vor ihn gehoben.

Der Eintritt in das Hotel, welchem er zugeführt worden, brach seine Gedanken ab, und bald befand er sich mit dem Schwarzen, der mit höflich gekrümmtem Rücken seines Lohnes harrte, in einem Zimmer der oberen Räume.

„Ihr seid in St. Louis zu Hause und kennt hier die Leute, Bob?“ fragte der junge Mann, sein Taschenbuch ziehend und dieses auf dem Tische seiner Papiere entledigend, „ich möchte gleich über einige Adressen die nöthige Auskunft haben!“

„Eigentlich bin ich nur vom Boot – der „Lilly Dale“, Sir, mit dem Sie selbst gekommen, und bin in New Orleans, wohin die gewöhnlichen Fahrten gehen, gerade so zu Hause, wie hier,“ erwiderte der Neger mit verbindlichem Grinsen und mehrfacher Verbeugung, „indessen kenne ich von den großen Geschäftsleuten wohl die meisten hier, Sir!“

Behrend sah, wie von einem neuen Gedanken berührt, langsam auf. „Es ist bei der beginnenden Hitze wohl schlecht zu leben in New Orleans?“ sagte er, „ich hörte, daß um jetzige Zeit schon die meisten Fremden die Stadt verlassen und daß in den Geschäften oft Noth um die nöthigsten Arbeitskräfte sei.“

„O, die Stadt ist noch ziemlich gesund, nichts als etwas Cholera und Knochenfieber, an denen nur Leute sterben, die das Klima nicht gewohnt sind, Sir; das gelbe Fieber wird erst in vier oder sechs Wochen kommen,“ erwiderte der Schwarze bereitwillig. „Nachher freilich ist es für Solche, die Furcht haben, nicht ganz sicher, und es werden sowohl für junge Gentlemen in den Geschäften als für die gewöhnlichen Arbeiter hohe Preise bezahlt. Wir nehmen nur neue Fracht ein und gehen übermorgen gerade hinunter, aber von unsern Arbeitern denkt wohl Keiner einmal an die Krankheiten.“

Der junge Mann rieb sich kräftig die Stirn und machte dann einen raschen Gang durch das Zimmer. „Well, Bob, es ist möglich, daß wir die Fahrt wieder zusammenmachen,“ sagte er endlich, bei seinen Papieren stehen bleibend, „vorläufig aber laßt einmal hören, wo ich die Leute, an die ich hier adressirt bin, finde!“

Bob vermochte prompt Auskunft zu geben, und der Deutsche bemerkte mit Genugthuung, daß er kaum langer Zeit bedürfen würde, um seine sämmtlichen Besuche, die ihn über seine Hoffnungen am Platze unterrichten sollten, abzumachen; der Schwarze hatte sich endlich mit einer Bezahlung, die sichtlich zu seiner Zufriedenheit ausgefallen war, entfernt, und Behrend begann seine Empfehlungsbriefe einzeln und langsam, als strebe er bei einem jeden schon im Voraus zu errathen, welches Schicksal er ihm bringen werde, wieder an ihrem frühern Orte zu bergen. Zuletzt blieb noch ein unverschlossenes, augenscheinlich schon mehrfach geöffnetes Schreiben in seiner Hand, und wie mechanisch entfaltete er es jetzt von Neuem, langsam den Blick über die Zeilen gleiten lassend. Es war ein Brief von einer kräftigen Männerhand geschrieben und lautete:

          „Mein lieber Sohn!

Ich habe mich gefreut, einmal wieder Nachrichten von Dir zu erhalten, wenn diese auch eben nicht die günstigsten sind. Du bist außer Stellung und siehst auch vor langer Zeit keine Möglichkeit, wieder unterzukommen. Trotz dieser allerdings unangenehmen Lage nimmt mich dennoch der gedrückte Ton Deines Briefes wunder, der mir zu Deinem ziemlich kräftigen Charakter und der vernünftigen Weise, in welcher Du schon hier die amerikanischen Verhältnisse auffaßtest, kaum recht passen will. Es ist die erste Calamität, in welche Du gerathen bist, und mag sie auch noch so bedeutend sein, so muß sie doch überwunden werden. Das Wie, lieber Sohn, mußt Du freilich besser kennen, als ich hier; indessen kann ich mir eben nicht denken, daß ein so großes Land mit so reichen Hülfsmitteln einen jungen Mann, der nur fest an dem amerikanischen „Hilf Dir selbst!“ hält und seine mannigfachen Anlagen zu verwerthen strebt, gänzlich ohne Chance zu diesen letzteren lassen könnte. Ich muß bei dieser Gelegenheit wieder an meinen alten Freund Peters denken, der jetzt ein reicher Bankier in St. Louis ist und nach seinem hiesigen Bankerott mit so wenigen Mitteln nach Amerika ging, daß ihm eigentlich die Reise erst durch ein kleines Capital, das ich ihm auf guten Glauben hin vorstreckte, ermöglicht wurde. Er hat wohl schwerere Calamitäten als Deine jetzige durchmachen müssen, besonders da er sein Töchterchen bei sich hatte und auch nicht mehr die Elasticität Deiner Jugend besaß, ehe es ihm nur gelang, mir das geliehene Geld zurück zu erstatten. Er hat aber endlich trotz des Mangels jeder Unterstützung seinen Weg gemacht, und da Du nun, lieber Joseph, Amerika einmal zum Felde Deiner Thätigkeit gewählt hast, so mußt Du eben versuchen, es ihm nachzuthun. Du hast meinen Brief an ihn noch nicht abgegeben und Du hast auch Recht, wenn Du wahrscheinlich meinst, daß man von derartigen Empfehlungen, die auf eine Art Dankbarkeit Anspruch machen, nur im äußersten Nothfälle Gebrauch macht; indessen hoffe ich, daß, wenn dieser Fall bei Dir einmal eintreten sollte, Du nicht gänzlich ohne Rath und eine unterstützende Hand von ihm gehen wirst. – Für eine augenblickliche Verlegenheit, in welcher Du Dich befinden könntest, lege ich hier noch eine kleine Summe in einem Wechsel bei, bitte Dich aber, in’s Auge zu fassen, daß es bei den Kosten, welche Deine heranwachsenden Geschwister verursachen, mir nicht möglich werden würde, dieselbe zu erneuern. Die Grüße der Uebrigen schließe ich diesmal nicht bei, da ich es vorgezogen haben, ihnen von dem jetzigen Stande Deiner Angelegenheiten nichts zu sagen. Und so erhalte Dir einen kräftigen, starken Geist, der schon Schlimmeres überwunden hat, damit Du uns bald bessere Nachrichten senden kannst.

          Dein treuer Vater Behrend.“

Der junge Mann hatte die Zeilen durchblickt, wie man längst bekannte Worte noch einmal überliest; hier und da aber war sein Auge auf einer Stelle haften geblieben, als trete sie ihm in einem neuen Lichte entgegen, und dann hatte sich ein Zug tiefer Bitterkeit um seinen Mund gelegt. „Was er diesem „alten Freunde Peters“ geschrieben hat, weiß ich nicht,“ sagte er endlich, den verdüsterten Blick in den sonnigen Himmel hinausrichtend, während er mechanisch das Papier wieder zusammenfaltete, „aber er hat sicher kein Wort der Erinnerung an den erwiesenen Dienst laut werden lassen und sich in dem Gedächtnisse des Alten gerade so betrogen, wie ich mich in dem der Tochter. Immerhin denn! eine Wohlthat der Barmherzigkeit hätte ich mir ohnedies nicht erzeigen lassen!“ Er trat langsam an das Fenster, ohne etwas von dem lebendigen Gewühl in der breiten Straße vor sich zu sehen; seine Gedanken waren an dem Mädchenbilde hängen geblieben, das plötzlich wieder in ihm aufgetaucht war, und unwillkürlich suchte er diese aristokratischen Züge, in welchen sich stolze Kälte und weiche Anmuth so wunderbar vereinigten, mit seiner Jugenderinnerung in Einklang zu bringen. Das waren noch dieselben dunkeln glänzenden Augen mit den tiefschwarzen, fein gezogenen Brauen darüber, welche das sechsjährige Mädchen vor allen Gespielinnen seiner Schwester ausgezeichnet und die er sich meist vergegenwärtigt, wenn er beim heimlichen Lesen eines Ritterromans auf den „zauberischen Blick“ einer „Huldin“ gestoßen; das war noch derselbe eigenthümliche Ausdruck von Selbständigkeit und Willenskraft, welche das Kind, eines kürzeren Wegs halber über den schmalen, nassen Steg des Mühlbachs hatte gehen und fast verunglücken lassen – aber wie gänzlich anders waren doch diese Einzelnheiten in der Gesammterscheinung dieses jungfräulichen, zur vollen Schöne erblühten Gesichtes wieder. Er mußte an das sonnige Lächeln, an das leise Erröthen denken, mit welchem sie gefragt: „Sie sind doch der Joseph?“ und er meinte jetzt erst sich des melodischen Tonfalls ihrer Stimme recht bewußt zu werden, meinte denselben fast in sich nachvibriren zu fühlen – da aber klangen auch wieder die Worte des Schwarzen in seine Ohren: „Wird es nicht ein schönes Paar, Sir?“ und an die Stelle der lächelnden Züge vor ihm trat der Ausdruck von stolzer, gemessener Kälte, mit welchem sie ihn entlassen; er sah sie dann von der Seite jenes ihm so widerlichen Menschen lachend in den Wagen springen, und mit einer kräftigen Bewegung seiner Schultern, wie sich gewaltsam seiner Träumerei entreißend, hob er den Kopf. „’s ist schon recht so,“ sagte er, sich wieder nach dem Innern des Zimmers wendend, „das Hoffen auf Connexionen

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