Seite:Die Gartenlaube (1862) 769.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

No. 49.   1862.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.


Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen.    Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.



Eine Speculation.

Erzählung aus dem amerikanischen Südwesten.
Von Otto Ruppius.

Den Mississippi herauf arbeitete sich ein mächtiges Dampfboot und begrüßte die vor ihm liegende Häusermasse von St. Louis mit einem kaum enden wollenden Brüllen der Dampfpfeife. Die Gallerien der oberen Cajüte wie der Bord des untern Packraums zeigten sich dick mit Passagieren besetzt; es war die Jahreszeit, in welcher Jeder, der es ermöglichen kann, dem tiefen Süden mit seinen Krankheiten entflieht – und als das Boot die unabsehbare Reihe der an der Landung neben einanderliegenden Fahrzeuge passirt und an einer leeren, sichtlich reservirten Plattform angelegt hatte, schien die herabdrängende Menge der Reisenden kaum das Niederfallen der Landungsbrücke erwarten zu können, um den festen Boden zu gewinnen. Als sich endlich der Hauptstrom der Angelangten sammt den sich schreiend Bahn brechenden Packträgern an das Land ergossen, betrat ein junger, modern gekleideter Mann, die Reisetasche in der Hand und einen kleinen Koffer hinter sich herschleifend, die Plattform, in augenscheinlicher Unschlüssigkeit auf das Gewühl vor sich und die auf der Höhe der Laudung ausmündenden Straßen der Stadt blickend. – „Hotel, Sir?“ –„Hotel?“ klang es ihm von verschiedenen Seiten entgegen, und im nächsten Augenblicke sah er sich auch von einem engen Kreise eifriger „Runners“ umgeben, von denen ihm Jeder mit wunderbarer Geschwätzigkeit ein anderes Gasthaus zu empfehlen und zugleich sich seines Gepäcks zu bemächtigen suchte.

„Halt einen Augenblick!“ rief der Ankömmling abwehrend, „weiß Einer von Euch, wo das Bankgeschäft von C. F. Peters ist? Ich muß jedenfalls dort in der Nähe unterzukommen suchen!“

„Mr. Peters steht dort an der Office, Sir,“ ließ sich eine Stimme hinter ihm hören, „der Gentleman mit dem grauen Haare neben der Lady, Sir, und wenn Sie ihn sogleich sprechen wollen, so trage ich Ihnen dann Ihr Gepäck nach, Sir!“

Der zurückgewandte Blick des jungen Mannes fiel zuerst in das Gesicht eines riesigen Schwarzen, welcher sich mit freundlichem Grinsen verbeugte und mit einem: „Sie sind ganz sicher, Sir, Porter Nr. 2 vom Boot!“ auf das metallene Schild seiner Mütze zeigte – dann aber auf den angedeuteten, als „Office“ bezeichneten Punkt, ein kleines hölzernes Haus, welches neben aufgeschichteten Fässern und andern Frachtgütern sich auf der halben Höhe der Landung erhob. Dort standen zwei Männer in modischer, leichter Sommertracht, die Entleerung des angelangten Bootes beobachtend, und einen halben Schritt zurück, im Schatten des Gebäudes eine schlanke, elegante Frauengestalt.

„Es ist gut, Bob, ich werde am besten thun, die Gelegenheit zu benutzen,“ erwiderte der Ankömmling, nach einer kurzen Ueberleguug sich seines Gepäcks entledigend, „verwahrt mir die Sachen hier, bis ich zurückkomme. Wer ist der andere Gentleman?“

„Cornel[1] Webster, der Haupteigenthümer des Bootes hier, Sir!“ war die Antwort, in welcher sich die ganze Ehrfurcht vor der Bedeutung des Genannten ausdrückte, und mit einem leichten Kopfnicken wandte sich der Frager ab, durch das Gewühl von Menschen und hallenden Lohnkutschen die bezeichnete Richtung einschlagend. Auf halbem Wege indessen zog er sein Taschenbuch, entnahm ihm einen sorgfältig darin verwahrten Brief und begann dann sich das leicht umgeschlungene Halstuch, sowie den darüber gelegten Hemdenkragen sorgfältig zurecht zu rücken.

Nach kurzem Gange hatte er die Gruppe erreicht und sich dem ihm bezeichneten ältlichen Manne zugewandt, in dessen glattrasirtem Gesichte mit der voll ausgeprägten amerikanischen Geschäftsmiene er indessen umsonst nach einem bekannten Zuge zu suchen schien. „Mr. Peters?“ fragte er, noch wie im halben Zweifel.

„Das ist mein Name, Sir!“ erwiderte der Angeredete, mit einem kurzen scharfen Blick die stattliche Gestalt des Herangetretenen überfliegend.

„So bitte ich um Entschuldigung,“ fuhr dieser deutsch auf die erhaltene englische Antwort fort, „wenn ich die glückliche Chance zur Ueberreichung eines Briefs benutze, der mir in Deutschland zur persönlichen Abgabe eingehändigt worden war.“

„Ah!“ zog Jener, mit einer leichten Befremdung in seinen Zügen das dargereichte Convert in Empfang nehmend und es nach einem kurzen Betrachten der Adresse öffnend; der junge Mann trat einen Schritt zurück und warf einen Blick nach den beiden Uebrigen der Gesellschaft. Der von dem Schwarzen als Colonel Webster Bezeichnete hatte sich bei dem ersten Klänge der deutschen Laute weggedreht und schien auch sogleich Gelegenheit gefunden zu haben, durch einige Rügen gegen die unweit arbeitenden Lastträger den hohen Ton des Befehlenden hören zu lassen; er konnte nur einige Jahre älter sein als der Angekommene, und sein ganzes Aeußere zeigte trotz der Geschäftszeit eine sorgfältige Eleganz. Die junge Dame, halb von dem reichbefranzten Sonnenschirm verdeckt, schien den Herangetretenen kaum beachtet zu haben und mit abgewandtem Kopfe gleichgültig das Gewühl an der Laudung zu betrachten.

„Well, Sir, ich freue mich, Sie hier zu sehen, obgleich ich mich Ihrer selbst kaum mehr erinnere,“ begann Peters nach einem kurzen Durchstiegen des entfalteten Schreibens; „der Brief ist schon manchen Monat alt, Sie kommen also nicht direct von Deutschland?“

„Ich war fast ein Jahr in New-York, und wäre wohl auch

  1. Corrumpirt von: Colonel, Oberst.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 769. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_769.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)