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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

oder sonst irgendwie sich bei dessen Bestattung zu betheiligen. Diese Maßregel war für die damalige Zeit eine wahrhaft furchtbare zu nennen. Ein feierliches Begräbnis gehörte zu den höchsten Wünschen, für deren Erfüllung man das ganze Leben hindurch Opfer brachte. Allein Slüter verstand es, auch hier die erschütterten Gemüter aufzuklären und zu beruhigen; er ordnete an, daß fortan alle dazu befähigten oder schon gesetzeskundigen Männer, Jünglinge und Kinder der Gemeinde bei jeder zu Grabe zu bringenden lutherischen Leiche jene Dienste verrichten sollten.

So prallte denn auch dieser wie alle andern Steinwürfe auf diejenigen zurück, von denen sie ausgegangen. In ohnmächtigem Zorn stachelte man jetzt das gemeine Volk auf, Rache an dem „schwarzen Ketzer“, wie man Slüter seines Haupt- und Barthaares wegen schalt, zu üben. Man dichtete gemeine Spottlieder, mit denen man die Lutherischen und ihren Pfarrer zu reizen suchte. Allein als ein echter Jünger seines Meisters that Slüter auch bei solchen Gelegenheiten, als höre er nicht, und seine Beichtkinder folgten hierin seinem Beispiele.

Diese Vorgänge kamen endlich zu des Herzogs Ohr. Er beschied den geduldigen und unerschrockenen, aber allzu kühnen jungen Pfarrer zu sich nach Schwerin und gestattete ihm nicht, nach Rostock zurückzukehren, bis er selbst ihm wirksameren Schutz zu verleihen würde im Stande sein. Dieser Augenblick schien dem Fürsten gekommen, als am 27. August 1526 der Reichstag zu Speier erklärte, „es solle künftighin dem Gewissen eines jeden Reichsstandes überlassen bleiben, in Befolgung des Wormser Edictes sich mit seinen Unterthanen zu verhalten, wie er es vor Gott und dem Kaiser verantworten könne.“ Dies galt dem Herzoge, sowohl den Rostockern als auch Slüter gegenüber, für Bürgschaft genug, daß man seinen Schützling von nun an in Ruhe lassen werde, und noch in demselben Jahre kehrte Slüter hochbeglückt und jubelnd empfangen in sein Amt zurück.

Es schien auch in der That, als kümmere sich die papistische Partei jetzt wenig mehr um das tägliche Wachsthum der Lutherischen, und bald war Slüter nicht mehr im Stande, all seinen Berufsgeschäften allein vorzustehen. Er bat den Herzog um einen Gehülfen, und es ward an der Petrikirche noch ein Capellan Namens Peschen Gruvel angestellt. Auch trug zu dem Gedeihen der neuen Lehre nicht wenig der Zwiespalt bei, der in dem feindlichen Lager ausgebrochen war. Franziscaner und Dominicaner geriethen in Streit über die unbefleckte Geburt der Jungfrau Maria und haßten sich in Folge dessen bald eben so sehr untereinander, wie vorher die Lutheraner. Ein solcher Scandal, für den dennoch im katholischen Publicum sich zwei Parteien bildeten, führte der neuen Lehre, die nur Frieden und Versöhnung predigte, fast mehr und mächtigere Anhänger und Bekenner zu, als es selbst den begeistertsten Reden ihrer Apostel gelungen war. Mehrere Mitglieder des Rathes wurden lutherisch, und ein Bürgermeister (Gerdes), den die Dominicaner zu Hülfe gegen die Franziscaner riefen, entgegnete ihnen: „er wisse ihnen weder zu rathen, noch zu helfen, da sie selbst ihre Lehre heruntersetzten und in den übelsten Geruch brächten.“

Doch ganz wendeten die Mönche ihre Basiliskenaugen nicht ab von dem gemeinschaftlichen Feinde, obgleich sich namentlich die Franziscaner Mühe gaben, Slüter glauben zu machen, als achteten sie ihn, nachdem sie ihn näher erkannt, und sie sprachen endlich sogar den Wunsch gegen ihn aus, auch mit ihm in geselligen Verkehr zu treten. Sie besaßen neben ihrem Kloster ein Haus, in welchem sie die Laien beherbergten und bewirtheten, die für ihre leiblichen Bedürfnisse sorgten, und wo sie, von eigens dazu angestellten geschickten Haushälterinnen ihres Bettlerordens bedient, sich einen sehr guten Tisch unterhielten.

In dieses Haus luden sie Slüter eines Tages zu einem „collegialischen“ Mahle ein, und dieser nahm bereitwillig die Einladung an. Der Wunsch, sich noch vor der Tafel mit seinen freundlichen Wirthen zu unterhalten, führte ihn wahrscheinlich etwas früher, als sie ihn erwartet hatten, in jenes Haus, auf dessen Flur sich die Küche befand. Als er diese betrat, waren sämmtliche Mönche mit ihren Köchinnen in einem Hinterzimmer versammelt, um dort noch Anordnungen wegen der Bewirthung zu treffen. Nur ein kleines Mädchen stand am Heerde und wendete den Braten. Kaum ward dies Kind Slüter’s ansichtig, als es ihm, der es freundlich wie alle Kinder anblickte und grüßte, ängstlich zuwinkte und ihm dann hastig zuflüsterte: „Herr Joachim, esset um Jesu willen nicht von diesem Braten, er ist vergiftet!“

Jetzt erkannte der arglose Slüter zu spät die Wölfe unter den Schafskleidern, und es war die höchste Zeit, sich zu fassen, denn schon hatten die Mönche das Klingeln der aufgehenden Hausthüre vernommen und traten mit der allerunschuldigsten und freundlichsten Herzlichkeit ihrem Gaste entgegen. Stets Herr seiner selbst, trat er unbefangen mit ihnen in das Gemach ein, in welchem sie ihm die Henkersmahlzeit aufzutischen gedachten. Allein schon während des Empfanges dachte er darüber nach, wie er sich wieder frei machen könne aus der Schlinge, die er sich hatte über den Kopf werfen lassen. Endlich sollte schon angerichtet werden, und man reichte der klösterlichen Sitte gemäß Waschwasser zur Reinigung der Hände herum, die das gesegnete Brod brechen sollten. Auch dies hatte Slüter schon angenommen, als er plötzlich um Entschuldigung bat, wenn er sich nur auf fünf Minuten entferne, um nach seiner nahen Wohnung zu eilen, an der er, wie er soeben bemerke, in der Zerstreuung den Schlüssel habe stecken lassen, und vergebens bemühten sich seine heuchlerischen Wirthe, ihm auf alle mögliche Weise diesen Gang ersparen zu wollen, er entschlüpfte ihren glatten Händen und – kehrte natürlich nicht zurück.

Obgleich Slüter niemals den Herzog mit Klagen belästigte, erfuhr dieser doch endlich wieder einmal durch dritte Hand, wie man seinen Schützling verfolgte, und im höchsten Zorn kam er selbst nach Rostock und ließ Slüter zu sich rufen, um aus seinem eigenen Munde die Wahrheit zu erfahren. Natürlich durfte Letzterer dieselbe schon um ihrer selbst willen nicht verleugnen, aber Namen zu nennen, war er nicht zu bewegen. Gerührt ergriff er daher Slüter’s Hand, lobte seine echt christliche Gesinnung, ermahnte ihn, wie bisher stark und mannhaft, aber auch mild und versöhnlich seinem Berufe vorzustehen, und beschenkte ihn zum Zeichen seiner Huld mit einem neuen Priesterornat.

Neuen Grund zu Haß und ohnmächtiger Rachsucht gab Slüter im Jahre 1528 seinen Feinden, indem er, als der erste Priester in Mecklenburg, ein Weib nahm und zwar Katharina Gelen, die schöne und tugendhafte Tochter eines Schlossers. Der Herzog hatte bereitwillig, der Rath wohl oder übel die gesetzmäßige Einwilligung zu dieser Ehe gegeben. Doch wie ungern dies von Seiten des Magistrats geschehen, zeigte sich schon, als der Hochzeitvater der Sitte der Zeit gemäß die Rathsmusikanten zum Hochzeitmahle bestellte und es diesen Leuten vom Rathe auf das Strengste verboten ward, „auf einem so gotteslästerlichen Feste zu spielen“.

Die Lutherischen veranstalteten nun eine andere, Zeit und Umständen angemessenere Feier. Als am Hochzeitstage der Brautzug das Gelen’sche Haus verließ, zogen voran die Sänger der Gemeinde, Psalmen in deutscher Sprache singend. Ihnen folgte der Bräutigam, umringt von seinen liebsten Freunden und Anhängern, hierauf die Braut mit ihren Verwandten und Brautjungfern, denen sich dann die übrigen zur Hochzeit Geladenen anschlossen. Vom Hochzeithause an, das in der Altschmiedestraße lag, bis über den alten Markt und bis zur Petrikirche bildete die nun schon so ansehnliche Gemeinde derselben ein dichtes Spalier, das noch stand, als der Zug aus der Kirche zurückkehrte, wo der Kaplan die Trauung verrichtet hatte. Als der Zug zu Anfange die Schwelle des Brauthauses überschritt, ertönte das Geläute sämmtlicher Glocken des hohen Petrithurmes und verkündete der ganzen Stadt das Unerhörte, wodurch sich denn bei der Rückkehr aus der Kirche eine so große Menschenmasse eingefunden hatte, daß es, wenn man Zeit und Verhältnisse erwägt, fast ein Wunder schien, daß trotzdem das Fest ohne jegliche Störung endete; – freilich einen Vorfall ausgenommen, der jedoch nur ein kindisches Bubenstück zu nennen war. Slüter’s Schüler, die lutherischen Studenten, sendeten einige Leute nach dem Rathskeller ab, um Wein zu holen. Allein ihre Boten wurden unterwegs überfallen, ihnen die gefüllten Kannen aus den Händen gerissen, der Wein auf die Straße gegossen, die Gefäße mit den Füßen zertreten.

Auch von diesen Vorfällen erhielt der Herzog Kunde und ward darüber so erzürnt, daß er den Rostockern eröffnen ließ, „bei der nächsten Beleidigung, die sie dem von ihm bestellten Magister Slüter zufügen würden, wolle er (der Herzog) blutige Rache an ihnen nehmen.“ Den Lutherischen ließ er seinen „gnädigsten Gruß vermelden“, belobte sie wegen ihrer wackern Theilnahme an dem Feste und schloß damit, „daß, hätte er ahnen können, der Rath werde seine Musici nicht spielen lassen, er seine sämmtlichen Hofmusiker dazu von Schwerin hätte herübersenden wollen.“

Von dieser Zeit an schien es, als hätte der Sturm sich ausgetobt;

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