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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

uns Allen!“ – Ich blieb stehen und starrte sie an wie betäubt – es war ein doppelter Schlag, der mich traf. „Livia!“ murmelte ich. – „Es ist so,“ versetzte sie ebenso leise wie vorhin. – „Hältst Du mich dessen im Ernst für fähig?“ fragte ich. – „Ja,“ sagte sie und schlug die Augen zu mir auf mit einem Blick, wie ich ihn nie vorher und nie nachher in ihnen gesehen, so melancholisch war er, so stolz und – so gewaltig, das ist das rechte Wort! – „Ja, denn man kann Alles, was man muß, Felix, Alles. Ich hab’ es trotz der Liebe vermocht, weshalb sollten wir’s nicht aus Liebe thun können?“

Das war, wie es in den alten Legenden zu lesen ist – man sieht plötzlich den ganzen Himmel geöffnet vor dem trunkenen Blick, – nur einen einzigen Moment und dennoch lange genug, um sein ganzes Leben davon durchleuchtet zu sehen.

Ich erwiderte nichts, denn ich wußte nichts. Ich weiß auch nicht, ob und was sie vielleicht noch geredet, ob und was ich etwa geantwortet, noch wie lange das Alles gewährt. Ich hörte zum ersten Mal wieder, als sie nach einer Weile sagte: „Da kommt mein Mann. Laß uns ihm entgegen gehen.“ Ich folgte ihr mechanisch.

Julius war nicht unfreundlich. „Gott bewahre, welch ein prosaischer Spaziergang für Euch poetische Menschenkinder!“ meinte er in einem gewissermaßen spöttischen Ton, als er mir die Hand schüttelte. „Meine Anlagen hätten wohl eher einen Blick verdient.“ – „Ich hatte mit den Frauen zu reden,“ versetzte Livia gleichgültig, „und Felix begleitete mich. Jetzt wollten wir zu den Anlagen.“ – „Nein, erst zum Frühstück, ich habe Hunger,“ sprach er lachend, und wir gingen hinein, wir frühstückten, plauderten, gingen wieder hinaus zu den unglücklichen Anlagen, kurz – ich weiß nicht, was noch Alles geschah. Halb war ich wie im Rausch, halb wie im Traum, so daß es ihm auffallen mußte und er mich nach dem Grunde meines Gebahrens fragte. „Ich habe unbändiges Kopfweh,“ versetzte ich mit der bekannten, stets wieder glaubwürdigen Ausflucht. „Die Sonne hat mir auf dem Herritt zugesetzt.“ Er gab zu, daß es ungewöhnlich heiß, und bedauerte mich auf’s Herzlichste. Nach und nach kam ich denn auch wieder zu größerer Ruhe und Fassung, wie es Livia’s stillem Walten, ihrer ganzen liebreizenden Weise gegenüber nicht anders möglich war.

Gegen Mittag ging er noch einmal hinaus, und wir Zwei waren allein, ich in der Sophaecke, sie am Nähtischchen in der Fensternische, die sie, was ich damals nur in ihrem Zimmer gefunden habe, mit Epheuranken zu einer grünschattigen Laube gemacht hatte. Nach einem langen Schweigen sah sie auf und begegnete meinem Auge, das bisher wie träumend auf ihr gehaftet, mit einem schwermüthigen, fast traurigen Blick. „Du siehst es ein, Felix, so kann es nicht fortgehen,“ sprach sie. „Ich ginge an diesem Heucheln und Lügen zu Grunde. Julius wird Dich sicher einladen zu bleiben oder wieder zu kommen. Was wirst Du antworten?“ – „Du weißt es wohl, Livia,“ versetzte ich traurig und stand auf und ging langsam im Zimmer umher. „Dein Wunsch, vor allem aber Dein Friede sind die bestimmenden Mächte meines Daseins.“ – Da war sie mit einem Mal neben mir und reichte mir beide Hände und sagte, die Augen voll Thränen zu den meinen erhoben: „So will ich Dir jetzt Adieu sagen, Felix. Gott behüte und stärke Dich und vergelte Dir, was Du an mir gethan und noch thust. Und wie weit und auf wie lange wir von einander gehen – im Herzen bleiben wir einander nah. Nicht wahr, Felix, das ist keine Sünde? – Adieu, Felix!“ – Ihre kleinen Hände preßten die meinen noch einmal fest und lange, sie legte einen Augenblick, aber auch nur einen Augenblick, den Kopf gegen meine Schulter und litt es, daß ich leise mit der Hand über ihr weiches Haar strich, unfähig einen Laut von mir zu geben, und als sie sich wieder aufrichtete, lächelte sie mich innig an und sprach: „Und nun Muth, mein Freund, und mit tapferem Sinn in’s neue Leben! Das alte ist abgethan!“ –

An Vorwänden, die nicht einmal dringende Einladung des Bruders abzulehnen, fehlte es mir nicht, und so schied ich am Abend von Sollnitz. – Jetzt machte ich noch ein paar kleine Reisen, dann war Trinitatis da und ich hatte die Güter zu übernehmen, denn ich wollte wenigstens den Versuch machen, ob mir das Wirthschaften gefallen könne. Ich saß denn bald auch bis über die Ohren in all diesen Dingen und kam wenig aus meinem alten Hause, selten zu Büren’s, seltener noch nach Liebenhagen, da ich des Onkels Weise fürchtete, in der er mich stets an Livia zu erinnern liebte, und gar nicht hieher nach Hohensee. Von Briefschreiben war, wie ich schon früher gesagt, nie viel zwischen uns die Rede gewesen, jetzt hörte es ganz auf, und wenn ich nicht dennoch einmal in Liebenhagen war oder ein Bekannter bei mir einsprach, hörte ich Wochen- und monatelang von daheim kein Wort. Bei meinem Schwager Büren, muß ich noch hinzufügen, würde ich häufiger gewesen sein, hätte ich an ihm und meiner Schwester nicht eine Befangenheit wahrgenommen, die ich aus seinen, ihm jetzt sicher drückenden, Aeußerungen in der Nacht nach der Taufe nur halb zu erklären wußte, der ich aber jedenfalls keine Lust hatte, weiter nachzuforschen. Mit Gentzkow’s, um auch das zu erwähnen, kam ich kaum ein oder zwei Mal in Berührung. Daß es nicht weiter ging, brauche ich Euch nach allem Bisherigen nicht erst zu sagen.

Bald nach der Ernte, gegen Ende Augusts, kam mein Vater seinen Bruder zu besuchen und auch bei Büren’s und mir einzusehen. Er zeigte sich – als Landwirth war er nichts weniger als gleichgültig oder phlegmatisch und verstand sein Geschäft meisterlich – wohl zufrieden und durfte es sein, da ich gethan, was möglich war. Das war der Einzige der Meinen, den ich in all dieser Zeit sah, und ich erwähne seines Besuches nicht umsonst. Denn als ich mit ihm und Büren in Liebenhagen am Tisch saß und nach dem schweren Diner noch tüchtig fortpoculirt wurde, sagte er, nachdem er sich durch einen tiefen Trunk gestärkt: „’s ist hier doch besser als in Hohensee, da zeigt sich keine Menschenseele mehr als mein Herr Schwager, und wir leben wie die Mönche. Was plagt eigentlich Euch Menschengesindel, daß Ihr gar nicht einmal einseht? Du, Hans Peter, kommst auch nicht mehr nach Sollnitz, merk’ ich?“ – „Wie sollt’ ich?“ versetzte der – er hatte schon wieder die Art von Rausch, die ihn lebhafter machte – und er sah dazu grimmig aus. „Habe nicht Lust mit Fünften drein zu schlagen, und müßt’ es doch.“ – Der Vater zuckte die Achseln, Büren sah finster vor sich nieder, ich wußte nichts zu sagen, sondern sah nur Einen nach dem Anderen forschend an. Allein ich erhielt weder so noch so Antwort.

Und ich erhielt sie auch nicht, als ich am nächsten Tage, da der Alte wieder fort war, zu Büren’s hinüberritt, um mir einmal Schwester Hedwig vorzunehmen. Sie hatte hunderterlei Ausflüchte und Absprünge, sie wußte zu scherzen und mich gewissermaßen wieder zu beruhigen. Dann kamen die Kinder und mein Schwager dazwischen, so daß ich das Gespräch fallen lassen mußte, und wieder ein paar Tage daraus zwang mich mein erstes größeres Korngeschäft zu einer Reise nach Stralsund, wo ich obendrein durch allerlei Freunde und Bekannte aufgehalten wurde und in ein ziemlich krauses Leben gerieth. Denn, Vetter, solch eine Junggesellenwirthschaft, wie ich sie seit den Juni geführt, bietet zumal bei den Gedanken und Gefühlen, welche ich in mir hatte, nicht gerade Gelegenheit zum soliden Lebenswandel. Ein Kopfhänger war ich nie gewesen und ward es auch jetzt nicht. Ich schrak vor nichts zurück, ich verlangte nach Saus und Braus, auch um alles, was in mir hauste, zu übertäuben, und alles das, was späterhin das Land zum Lachen oder Staunen oder sich Aergern brachte, nahm schon damals seinen Anfang, und man wußte schon vom „Junker von Hohensee“, wie man mich der Unterscheidung von Vater, Onkel und Bruder wegen hieß, vielerlei zu erzählen.

Als ich Morgens vor der Abreise über den alten Markt ging, um ich weiß nicht was noch zu besorgen, begegnete mir ein Bekannter aus der hiesigen Gegend. „Ei sieh da, der Junker!“ sagte er, „habe Euch lange nicht gesehen, Felix. Wie geht’s, wie steht’s?“ Und nachdem ich die passende Antwort gegeben und wir noch hin und her geredet, meinte er: „Weßhalb kommt Ihr eigentlich gar nicht mehr zu uns herüber? Im Vertrauen, ist’s wahr, daß Ihr Euch mit Julius überworfen? Verdenken könnt’ ich’s Euch nicht, er ist ein widerwärtiger Gesell geworden, und wie er sich damals zu dem Brauthandel herbeigelassen, da er doch wußte – genug, es war nicht rühmenswerth! Aber nun haben sie denn auch ihre Strafe. Eine so gemachte Ehe konnte zu nichts Gutem führen.“

– „Was heißt das Alles?“ fragte ich, bebend vor Aufregung. „Wißt Ihr’s wirklich nicht?“ forschte er, mich fixirend. „Euer Name wird doch auch dabei genannt.“ – „Mensch, redet oder schweigt, aber foltert mich nicht!“ rief ich ungestüm, und da sagte er kopfschüttelnd: „Aber ich verstehe das nicht! Ihr müßtet es doch eher als wir Andern alle wissen, daß die Ehe Eures Bruders so unglücklich wie möglich und die Scheidung kaum noch zu vermeiden

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 755. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_755.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)