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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

Tod uns alle in seinen kalten Arm schloß, deshalb verschmerzt man in solchen Augenblicken leichter den Verlust von Hab und Gut; die Rettung des eigenen Lebens ist das erste Ziel, und erst wenn dieses in Sicherheit, dann kommt die Freude am Besitz wieder in das Spiel. Der Kampf, ungleich heftiger als am Dienstage, verbreitete sich, da der Andrang der Wilden zu entsetzlich war, bald über die ganze Stadt und nahte schon deren Mittelpunkte. Hier war das Centrum unserer Macht; drei Vierecke der Hauptstraße bildeten eine förmliche Festung, die, von uns besetzt, in ihrem Innern sämmtliche Bewohner der Stadt barg. Mehrere Male zog sich der Feind zur Berathung zurück und glaubte endlich das Mittel zu unserm sichern Untergange gefunden zu haben, indem er gegen 200 Häuser – darunter 3 Mühlen, 2 Brauereien und 1 Brennerei in Brand steckte.

Die Hand zittert, die Augen füllen sich mit Thränen und die Feder sträubt sich, die gräßliche Verzweiflung zu schildern, die beim Anblick des entsetzlichen Feuers – das rasch um sich griff – sich unser Aller bemächtigte. Umgeben von den drohendsten Gefahren sahen wir Alle dem nahenden Tode in’s Auge, und kraftlos ließ Mancher den Arm sinken, den er bis zu diesem Augenblicke muthig zur Vertheidigung der Seinen gebraucht hatte; denn wäre es dem Feinde gelungen, auch nur ein Haus von unserm Festungsquadrate anzuzünden, so wäre auch unsere Zufluchtsstätte niedergebrannt und mit ihr jede Hoffnung auf Rettung verloren gewesen. Glücklicherweise wehte der Wind den Qualm und die immer mehr steigende Gluth nicht uns – sondern dem Feinde entgegen, und zu spät mochte er erkennen, daß das zu unserm Untergange Ersonnene ihm selbst am meisten schadete. Allenthalben flüchteten die Ungeheuer vor den nach ihnen züngelnden Flammen, und leichter wurde es uns, durch diese auf der einen Seite gedeckt, sie da zu vertreiben, wo sie von Neuem einzufallen drohten. Der Kampf währte wieder bis zum späten Abend, und mit immer entsetzlicherer Wuth und unter dem gräßlichsten Geheul suchten sie den Durchgang zu erzwingen und, da der von uns vertheidigt ward, den Durchgang durch die Flammen. So sah ich denn auch von meinem Posten aus eins dieser Scheusale, wie es, in der einen Hand den Tomahawk, in der andern die Büchse, sich in eine Tigerhaut wickelte und den Weg, den verzweifelten Weg durch die Flammen nahm, um diesseits sein blutiges Handwerk von Neuem zu beginnen. Sich erholend stand das Ungeheuer einen Augenblick nach dem gefährlichen Laufe still, schüttelte die halb brennende Hülle ab und mit erhöhter Mordlust vorwärts stürzend, schwang es unter gellenden Tönen den Tomahawk hoch über seinem Kopfe. Nicht weit von mir lag ein schwer Verwundeter in den letzten Zügen, nur dann und wann kam ein Seufzer über die sterbenden Lippen, und ein öfteres Zucken verrieth, daß er von seiner Qual noch nicht erlöst sei. Auf diesen von den Flammen hell erleuchteten Unglücklichen stürzte das Scheusal mit cannibalischem Jauchzen los; schon streckte sich die eine Hand nach dem Haupte des lauter stöhnenden Sterbenden, schon sauste der Tomahawk durch die Luft – da traf meine sichere Kugel das Ungeheuer, und zusammen stürzend wälzte es sich in seinem Blute.

Gegen 9 Uhr Abends, nachdem sie überall zurückgedrängt, zogen sich die Wilden völlig außer Schußweite, sammelten ihre Todten, soweit sie konnten, und hielten sich während der Nacht ziemlich fern. Als sie am Sonntag Morgen wieder erschienen, hielten sie sich ebenfalls außer Schußweite und waren mehr darauf bedacht, ihre Beute an Vieh zu sammeln, als uns zu schaden. Wir hatten in dem heißen Kampfe wieder viele Tapfere verloren, hatten 23 Todte und 52 Verwundete, die Indianer gegen 90 bis 100 Todte. Sonntag Mittag endlich erschien eine zweite Verstärkung von 150 Mann mit Vereinigten-Staat-Gewehren, und unermeßlich war der Jubel, mit dem sie empfangen wurden. Die langangespannten Nerven forderten ihr Recht; Männer weinten wie Kinder, und – darf ich es gestehen? – auch ich war unter der Zahl, hatte mir doch der Himmel bis da meine Lieben erhalten und mich ihnen.

Kurz nach deren Ankunft sammelten sich die Anführer zur Berathung, und es stellten sich bei dieser Gelegenheit folgende Thatsachen heraus: 1) Wir hatten nur noch für vier Tage Lebensmittel, 2) die wenigen Häuser, welche noch standen, waren dergestalt mit Frauen und Kindern überfüllt, daß durch die entsetzlichen Ausdünstungen schwere Krankheiten unvermeidlich waren; und so beschlossen die Anführer, die Stadt am Montag Morgen räumen. – Welch ein entsetzliches Bild aber gewährte, bei einigermaßen ruhiger Betrachtung, unsere noch vor kurzem so blühende schöne Stadt! Die stolzen Häuserreihen waren verschwunden; es stand nur noch das tapfer vertheidigte Centrum, und dieses sah fast gespensterhaft über die Brandstätte hinweg. Ueberall begegnete man bleichen Gesichtern, überall hörte man nur Jammer und Klagen; hier suchte ein Mann verzweiflungsvoll seine Gattin und Kinder, suchten weinende Kinder ihre Eltern, und dort kniete eine Frau an der Leiche ihres gefallenen Mannes, und als ob ihr Wehklagen das theuere Leben zurückrufen könne, flehte sie in lautem Jammer zu Gott um Hülfe und Erbarmen.

Während der Nacht wurden alle aufzutreibenden Wagen, 142 an der Zahl, mit der übrig gebliebenen werthvollsten Habe bepackt und die Zugthiere in Bereitschaft gehalten, damit beim Beginn des Tages sich der Zug in Bewegung setzen könne. Viele Hundert Menschen, die die Stadt verlassen wollten, hatten nichts weiter gerettet, als das nackte Leben; auch ich und meine Familie waren unter der Zahl. Das Zeug, mit dem wir gerade bei der ersten Annäherung der Wilden bekleidet waren, war – Alles – was uns geblieben. Es war eine kalte, sternenhelle Nacht – die letzte in der Heimath –; ich verließ nach Mitternacht das Haus, das die Meinigen und noch viele Hundert andere Menschen aufgenommen, und suchte mich durch die brennenden Trümmer hindurch zu arbeiten zu der theuren Stelle, wo mein Eigenthum gestanden. Die Sehnsucht trieb mich dahin – ich hätte nicht anders scheiden können.

Lange mußte ich suchen, ehe ich sie fand, die Stätte, wo ich zufrieden und glücklich so lange im Kreise meiner Theuren gelebt hatte. Ich umging die noch rauchenden Trümmer und versuchte den Garten zu erreichen; er war – wenn auch verwüstet – doch noch zu erkennen. Bei einem blühenden Rosenstrauche – der schönsten Zierde des Gartens – sank ich von Schmerz überwältigt in die Kniee; – das Herz wollte mir fast brechen; die hier verlebten Jahre gingen mit Allem, was sie mir gebracht, an meinem Geiste vorüber. Wohl waren schwere Tage darunter gewesen, Noth und Sorgen waren häufige Besucher, doch waren sie vorübergehend und hatten dem wachsenden Wohlstande Platz gemacht. Und nun mit einem Schlage Alles dahin!

Wohl mochte ich eine Stunde dort geruhet haben, da tönte von der Stadt herüber das Signal auf dem Sammelplatze zu erscheinen; rasch erhob ich mich, pflückte mir als letztes Angedenken zwei der schönsten Rosen und verließ bebenden Schrittes den geliebten Platz, um mir in weiter unbestimmter Ferne eine andere Heimath zu suchen. Mein Weg führte mich an den Gräbern der im Kampfe Gefallenen vorüber, und unwillkürlich hielt ich meine Schritte an; mein Herz war so voll Dank gegen sie, und es war mir, als könne ich nicht scheiden, ohne ihnen einen Tribut dieses Dankes zu zahlen. Rathlos sah ich mich um – da fielen mir meine beiden Rosen ein –; ich pflücke die Blätter der einen ab – es war ja Alles, was ich besaß – streute sie auf das Grab, das die liebenswürdige Sara barg, und nahm betend Abschied von denen, die nun einsam und verlassen hier zurückbleiben sollten.

Ein großer freier Platz vor dem östlichen Ende der Stadt war zum Versammlungsplatz der Scheidenden bestimmt; als ich ihn erreichte, war er bereits mit Menschen, Thieren und Sachen aller Art überfüllt. Das Fuhrwerk, für mich bestimmt, stand fertig da, und so trat ich den schweren Gang an, meine Familie zu holen. Ich fand meine arme Frau, wie sie, mit nur weniger Kleidung versehen, vor Kälte zitternd, unsere drei schlafenden Kinder weinend umfaßt hielt; die Stimme versagte mir, ihr den entschiedenen Moment anzukündigen, ich drückte sie nur stumm an meine Brust, nahm die beiden ältesten Knaben, vier und zwei Jahr alt, auf meinen Arm, unterstützte mit dem andern meine treue Leidensgefährtin, die unser kleines, erst 10 Monate altes Töchterchen trug, und so erreichten wir unser kleines Gefährt, das, nur mit etwas Stroh belegt, kaum Raum für Frau und Kinder hatte.

Noch höre ich das Winseln und Wimmern der vielen Kleinen, die, wie die Meinigen, nur mit dünnem Sommerzeuge bekleidet, viele sogar ohne Kopfbedeckung, schon vor der Abfahrt vor Kälte in laute Klagen ausbrachen. Ich war so glücklich gewesen, durch die Barmherzigkeit eines Freundes eine wollene Decke zu erhalten; in diese wickelte ich die beiden Knaben, während meine Frau das jüngste Kind an ihrem Herzen zu erwärmen suchte. So bereit zur Abfahrt

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 746. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_746.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)