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finden. In seiner „gastlichen Gestalt“ kündigt sich ein gewinnendes patriarchalisches Wesen an, das uns sagt: dies ist ein Mann von der freilich nicht häufigen deutschen Adelstrinität, der Geburt, des Geistes und der Seele. Auch an ihm bewährt sich die alte und doch immer so wenig begriffene Wahrheit, daß alle bedeutenden Menschen schlicht und einfach sind.

Es ist dies derselbe Mann, der zu einer Zeit in Baiern offen und ehrlich die Wahrheit zu sagen wagte, wo der Renegat Karl Abel als Minister durch ultramontane Ueberschwenglichkeiten die freisinnigen Aeußerungen seiner frühern Wirksamkeit vergessen zu machen suchte, und wo es Niemand wagte die kirchlichen Neigungen des Königs Ludwig zu alteriren. Damals hatte Graf Giech durch seine würdige Sprache als Vertheidiger des in Baiern bedrohten Protestantismus und durch sein männliches Handeln meine Bewunderung, Begeisterung und Ehrfurcht erregt, und ich hatte in seinen „Ansichten über Staats- und öffentliches Leben“[1] einen wahren Schatz gediegnen Gedankengoldes entdeckt, und wenn ich später die Namen „Giech und Schön“ zusammengestellt fand, so hatte ich diese Verbindung, als eine gerechte, würdige und wahre, mit voller Seele begrüßt. Es ist für manche untergeordnete Geister ein unabweisbares Bedürfniß, Männern, die sich um die Entwicklung der Menschheit, um das Gedeihen des Vaterlandes durch Geistesklarheit, Gemüthswärme, Freimuth in Wort und That und richtige Beleuchtung der Verhältnisse mit der Fackel der Wahrheit bleibende Verdienste erworben haben, mit unbegrenzter Hingebung zu lieben und zu verehren und mit Befriedigung in Jenen aufzusuchen, was ihnen selbst abgeht. Zu diesen liebenden Geistern gehöre ich. Mein Wahlspruch ist jenes kleine deutsche Gedicht – so echt deutsche Geistesblüthe, daß man nicht weiß, ob sie in Goethe’s oder Schiller’s Garten wuchs; denn Beide haben sie als ihr Eigenthum beansprucht:

Immer strebe zum Ganzen, und kannst Du selber kein Ganzes
Bilden, als dienendes Glied schließ an ein Ganzes Dich an.

Deshalb war mir Graf Giech eine so ungemein interessante Persönlichkeit.

Der Graf führte uns selbst durch die weiten hellen Räume seines Schlosses, um uns die von ihm zusammengebrachten wissenschaftlichen und Kunstsammlungen zu zeigen und zu erklären; denn das Grafenschloß zu Thurnau ist bekanntlich ein kleines und in vieler, namentlich historischer Beziehung ein höchst merkwürdiges Museum.

Welche köstlichen Stunden hohen geistigen Genusses verlebten wir! Die Sammlungen, über deren Haupteingang mit großen Buchstaben folgende Stelle aus dem Giech-Hausgesetz (vom 5. März 1855) zu lesen ist: „Wir legen es Unsern Nachkommen an das Herz, nicht abzulassen von dem Bestreben, die schriftlichen und andern Zeichen und Denkmale des Lebens und des Wirkens ihrer Vorfahren zu erforschen, zu sammeln und zu erhalten,“ bestehen:

1) in einer an 20,000 Bände starken reichen Bibliothek, zumeist historischen, philosophischen, juristischen, staatsrechtlichen und staatsökonomischen Inhalts. Die Büchersammlung ist in einem hellen freundlichen Saale höchst zweckmäßig aufgestellt und auf das Sorgfältigste geordnet und katalogisirt. Ihr vorzüglichster Werth besteht darin, daß eben die neuesten Forschungen auf den verschiedenen wissenschaftlichen Gebieten reich vertreten sind. Als bibliologische Seltenheit verdient das durchschossene und um des Dichters eigenhändigen Emendationen versehene Handexemplar von Schiller’s Geisterseher genannt zu werden.

2) in einem nicht minder reichen Archiv und einer Urkundensammlung. Wie sämmtliche Sammlungen zunächst in einer bestimmten und klar ausgesprochenen Beziehung zur Geschichte des gräflichen Hauses stehen, so insbesondere die Urkunden. Aber indem der Ordnungssinn des Grafen in einem von ihm für seine Nachkommen aufgestellten „Hausgesetze“ seiner Pietät für seine Vorfahren ehrenvolle Rechnung trug, hatte er zugleich die Wichtigkeit der Urkunden und andrer Ueberreste des Alterthums für die allgemeine deutsche Geschichte im Auge. Außer den Schriftstücken und Antiquitäten, welche sich auf die ehemaligen Besitzer von Thurnau, das im 16. Jahrhundert ausgestorbene Geschlecht der Foertsch beziehen, von welchem das Haus Giech die Herrschaft Thurnau in Folge ehelicher Verbindung mit einer Foertschischen Tochter theilweise ererbte, sind vorzüglich die von allgemeinem Interesse, welche der Geschichte zweier österreichischer Adelshäuser, der Freiherrn Praunfalck und der Grafen Khevenhüller, angehören, die, des Protestantismus wegen aus Steyermark und Kärnthen unter Kaiser Ferdinand II. vertrieben, in Franken, vorzüglich in Nürnberg, eine neue Heimath begründeten und sich mit fränkischen Adelshäusern, namentlich dem der Giech, verschwägerten. Die Geschichte dieser österreichischen Exulanten, nicht nur für Kirchengerichte, sondern auch für die Culturgeschichte überhaupt von Wichtigkeit, die sich neuerdings durch das endliche Aufgeben des alten verderblichen Regierungssystems in Oesterreich und die Gleichstellung der protestantischen mit der katholischen Kirche erhöht hat, kann eigentlich nur mit gewissenhafter Benutzung der Urkunden im Schlosse zu Thurnau geschrieben werden, und so viel mir bekannt worden ist, werden schon die Anstalten dazu gemacht.

Ein viertes mit dem Hause Giech nah verwandtes, im Nordgau, in der Nähe von Nürnberg, reich begütert gewesenes Geschlecht, das der Grafen von Wolfstein zu Obernsulzburg und Pyrbaum, ist ebenfalls im Archiv stark vertreten. Ein künftiger Geschichtsschreiber der deutschen Specialgeschichte, beziehentlich der deutschen Adelshäuser wird in der Giech’schen Urkundensammlung reiches und kaum anderswo zu findendes Material zur Benutzung antreffen.[2]

3) in einer an 200 Bilder reichen Sammlung von Familienportraits, in einem Ahnensaal aufgestellt, von denen nicht wenige als Kunstwerke, andere wegen der Trachten wichtig, alle von relativem Werthe in Bezug auf die Localität.

4) in einer Sammlung von zum Theil kostbaren Jagdgewehren von den ältesten Schießwaffen bis auf unsre Zeit, 250 Stück. An den Wänden schöne Geweihe von Hirschen und Rehen, über 300 Stück.

5) in einer Sammlung von Ritterharnischen, Pickelhauben und Waffen aus der Ritterzeit. Das Interesse an diesen Stücken wird durch den Umstand sehr erhöht, daß sie Erbgüter der Familie sind, nicht gekaufte Waare. Man sieht Schilde und Tartschen, Lanzen, Panzerhemden, Hellebarden, auch einige türkische Waffen, welche nach sichern Quellen von gräflich Khevenhüller’schen Familiengliedern bei Einfällen der Türken in Kärnthen erbeutet wurden. Das Hauptstück ist ein ciselirter, mit Goldarabesken eingelegter Stahlharnisch, wie mit Grund angenommen werden kann, ein Geschenk des Kaiser Matthias an einen Grafen Khevenhüller.

6) in einer höchst werthvollen und bedeutenden Sammlung von Majolikageschirr, Schüsseln, Tellern, Vasen, Schalen, Aufsätzen, an 120 Stück, nebst einer kleinern Sammlung alterthümtichen Porcellans, und einer andern von Glas, Pokalen, Trinkgläsern und anderen Geschirren. Die Bemerkung drängt sich auf, aus wie vielerlei Geschirr die ritterlichen Vorfahren zu zechen liebten; man erstaunt über die Mannigfaltigkeit.

8) in einer großen Siegelsammlung vom 14. bis zum 17. Jahrhundert, kaiserliche und erzherzoglich österreichische, Siegel von zahlreichen Adelshäusern, Klöstern, Städten, Behörden etc. An allen sind die Pergamenturkunden noch befestigt. Daran reiht sich

9) eine Sammlung Giech’scher Amts- und Familien-Siegel (Petschafte). Zuletzt ist

10) die viel umfassende, in verschiedenen Zimmern placirte und in mehrfache Abtheilungen zerfallende höchst bedeutende Curiositätensammlung zu nennen. Da sehen wir denn bald eine beträchtliche Anzahl alterthümlichen Hausraths, besonders werthvoller und künstlich gearbeiteter Schränke und Truhen, in welchen zum Theil die einzelnen Sammlungen passend untergebracht sind, bald eine Sammlung interessanter, zum Theil seltsamer Tabakspfeifen, als Nachlaß früherer Generationen der Familie, bald eine respectable Zahl geschnitzter Heiligenbilder aus dem 15. und 16. Jahrhundert, bald eine Reihe von aus Hünengräbern und Giech’schen Schlössern ausgegebenen Gegenständen, Urnen, Waffen etc. nebst anderm alterthümlichen Zierrath der verschiedensten Art. Dahin gehört eine besonders für Damen interessante Sammlung alter Nippes, Putzgegenstände und Ordenszeichen, deren Werth durch die Angabe erhöht ist, von wem sie herrühren, wer sie getragen etc.; ferner eine nicht unbedeutende Sammlung von Autographen, zum Theil in Glaskästen liegend. Neben Friedrich des Großen (der sich

  1. Zweite Auflage, Nürnberg, Lotzbeck 1857, mit Hinweglassung der Vorrede.
  2. Insbesondere sind höchst interessante Correspondenzen, Tagebücher, Reisebücher etc. des bekannten Verfassers der „Annales Ferdinandei“, Grafen Franz Christoph Khevenhüller, und andrer Glieder seiner Familie, welche hohe Staatsämter einnahmen, vorhanden, selbst für allgemeine Geschichte reiches Material.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 742. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_742.jpg&oldid=- (Version vom 6.1.2021)