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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

Bringen Sie ihnen aber vor Allem Grüße des edlen Todten; sagen Sie ihnen, daß sicherlich sein letzter Gedanke das Beste des deutschen Vaterlandes besorgte, und sagen Sie ihnen, daß ihm ein anderes Denkmal folgt in Breslau auf dem Markte, und ein anderes in der Brigittenau zu Wien und an den Richtstätten von Rastatt und Mannheim.“

Freudig fiel in diese Worte der Jubel der Versammlung ein, freudig erklärte Oberst Bernold in längerer Rede, „daß ihm der Verstand nicht mehr still stehe, wenn man sich so unterhalte,“ und feierte diesen Tag als den „Grütlibund Deutschlands in der Schweiz“, dessen Bestrebungen zur freisinnigen Fortentwicklung Deutschlands er sein Hoch brachte.

Ludwig Simon aus Paris schloß sich ihm an mit den Worten: „Ich möchte trinken auf das Wohl des Joseph Garibaldi, der in diesem Augenblicke darniederliegt an den Wunden, die er empfangen für das Wohl seines Vaterlandes, dessen Schicksal so eng verknüpft ist mit der Unabhängigkeit Deutschlands und aller andern Nationen! Ich möchte trinken auf das Wohl des Mannes, der das, was wir Deutsche in zu geringem Maße besitzen, für den Augenblick vielleicht in zu hohem Maße besessen hat. – Aber jede gute Sache muß ihre Märtyrer haben, die zu früh kommen, während Andere noch schlafen. Und gerade in ihrer getadelten Kurzsichtigkeit, d. h. in demselben edeln Rausche, womit sie die Schwierigkeiten der Gegenwart übersehen, darin liegt die Kraft, welche befruchtend auf die Zukunft wirkt. Ein Hoch denn dem Manne der That, ein Hoch Joseph Garibaldi, ein Hoch dem Helden von Aspromonte!“

Die Reihe von glänzenden Toasten und glänzenden Namen, die sich bisher hatten vernehmen lassen, wurde plötzlich unterbrochen durch eine schlichte Erscheinung, die aber gerade durch ihre natürliche Einfachheit des Gefühls eine Wirkung hervorbrachte, um den mancher Kammerredner den braven Redwisch, Präsidenten der anwesenden Arbeitervereine, beneidet hätte. Er ließ die schwarz-roth-goldenen Farben leben. Manches treffende Wort von Jacoby, Prof. Vögeli, Dr. Borchheim, Peter von Constanz und Anderen muß ich unterdrücken, um zum Schlusse zu eilen. Die Reihe der Toaste schloß mit dem dritten Hoch auf die Schweiz, das Meyer von Eßlingen anstimmte.

Während sich der Jubel, den die letzten Worte hervorriefen, noch lange verbrüdernd weiter pflanzte unter die Gäste der Kreuzwiese, folgte eine größere Anzahl derselben den Schritten Jacoby’s, Ludwig und Heinrich Simon’s, Bamberger’s u. A., die dem Orte zueilten, wo sich die braven Handwerker zum letzten Abschiedstrunke versammelt hatten. Ludwig Simon redete sie hier an mit seinem ganzen edlen Feuer und seiner hinreißenden Herzlichkeit. Dort sprach er zu ihnen etwa Folgendes: Er sei durch die Revolution um seine ganze materielle Existenz gekommen, habe Krankheit, Mangel und Elend reichlich durchgemacht und dann, nachdem alle seine Bestrebungen zur Fortsetzung seiner frühern Lebensbahn gescheitert, vor nun etwa acht Jahren als Commis in Paris einen neuen Lebensweg betreten. Er habe mit dem Copiren von Wechseln und anderen kleinen Arbeiten begonnen, sei mittellos gewesen, habe Nichts als seine Arbeitskraft gehabt und sich mit dieser durch Ausdauer allmählich eine Vertrauensstellung in einem angesehenen Pariser Bankgeschäfte errungen. Er fühle sich daher unter den Arbeitern als ein Gleicher unter Gleichen, auch er sei ein einfacher Arbeiter und stolz auf diese Eigenschaft. Viele Hindernisse seien wegzuräumen, welche der Arbeiterkraft entgegenstehen. Aber die Hauptsache sei doch die aus der Tiefe ausdauernd geübte Kraft des Einzelnen. Das wahre gesunde Wohl könne dem freien Manne nicht von oben geschenkt werden; das müsse schließlich immer auf der eigenen Kraft ruhen. Hindernisse seien wegzuräumen; wo die Kraft des Einzelnen nicht ausreiche, sei der Hebel der Association anzusetzen. Er schloß mit einem Hoch auf die deutschen Arbeiter, worauf Viele ihm die Hand schüttelten und Einer für Alle sagte: Wo sie solche Vorbilder hätten, wie so viele der hier erschienenen Männer, da könne es nicht fehlen.

Ihr Präsident sammelte dann seine Schaaren zum Aufbruch, die wieder unter ihren deutschen flatternden Fahnen dahin zogen zum Bahnhof unter den Klängen Mozart’s: „Brüder, reicht die Hand zum Bunde.“

Mit fröhlichem Hurrah nahm sie der Bahnzug auf, in dichten Massen drängten sich die Zurückbleibenden an die Wagen, ihnen zum letzten Male die Hände zu schütteln, und noch lange flatterten aus den Fenstern ihre schwarz-roth-goldenen Fahnen.


Blätter und Blüthen.

Wohlgeboren und Hochwohlgeboren. Es giebt, wie sich gewiß nicht leugnen läßt, außerordentlich viel Unsinn in unseren lieben deutschen Landen, aber blühenderen kaum als in den beiden Wörtchen „Wohlgeboren“ und „Hochwohlgeboren“. Wenn es überhaupt möglich wäre, einem Indianer oder sonstigen Naturkind den Sinn der beiden Worte begreiflich zu machen (denn bei uns begreift ihn nicht einmal ein Professor), er würde sich todt darüber lachen, und doch schreiben sonst noch ganz vernünftige Menschen oben groß und breit auf die Adressen der Briefe, die sie abgeben und vielleicht selber sogar auf die Post tragen, „Sr. Wohlgeboren“ oder „Sr. Hochwohlgeboren“, je nachdem der Adressat das Unglück hat ein Bürgerlicher oder das Glück ein Adeliger zu sein, ja, das Bürgerthum schützt zuweilen nicht einmal vor dem Hoch. Und weshalb? Es ist einmal so Sitte – der oder jener, oder die oder jene würde es übelnehmen – das dürfte man ja gar nicht etc. etc.

„Es ist einmal so Sitte!“ Ei, zum Henker, es war auch früher einmal in den Städten Sitte, die Juden in besondere Straßen abzusperren und Nachts einzuschließen, und bei den Rittern, auf Landstraßen den Fuhrleuten aufzupassen. Das kam ebenfalls ab, weil es nicht mehr zeitgemäß war, aber das Wohlgeboren und Hochwohlgeboren blieb und amüsirt jetzt nur die europäischen Nachbarstaaten, die sich darüber, wie überhaupt über unsere tolle Titelwuth, lustig machen.

Ob Jemand „Wohlgeboren“ sei, kann nur die eigene Mutter wissen, und selbst die weiß nicht einmal, was ein Commerzienrath oder Commissionsrath, und noch viel weniger, was eine Commerzienräthin oder Commisionsräthin ist. Aber Spaß bei Seite; es wäre wahrlich an der Zeit, daß wir diesen Unsinn aufgäben, denn wenn mir Jemand sagt, der oder die nimmt es mir übel, wenn ich nicht so schreibe, so ist das nur eine Faxe mit der anderen verdeckt. Ich z. B, schreibe schon so lange, wie ich vernünftig denken kann, an keinen Menschen mehr Wohlgeboren oder Hochwohlgeboren (außerdem ich bin auf Jemanden wüthend und will doch die Grenzen der Höflichkeit nicht überschreiten), und wenn das Jemand übelnehmen sollte, so braucht uns auch wahrlich nichts an seiner Meinung zu liegen. Warum sollen wir überhaupt anders schreiben, als wir sprechen? und wie würde man über Jemanden lachen, der einen Anderen mit Euer Wohlgeboren anredete!

Ein eben solcher Mißbrauch wird mit dem Schluß eines Briefes getrieben, wo der „gehorsamste Diener“ eine hervorragende Stellung einnimmt. Wenn das ein wirklicher Diener an seinen Herrn schreibt, so habe ich nichts dagegen, wenn sich aber gleichstehende Leute also tituliren, so ist es weiter nichts, als eine einfache Lüge, zu der sich sonst vielleicht ganz ehrenwerthe Menschen, die nichts so sehr Verabscheuen als eine Lüge, aus alter Gewohnheit hinreißen lassen. – So seid doch ehrlich! Es giebt nichts Schrecklicheres als einen Brief mit obendran „Ew. Wohlgeboren“ und unten dem „gehorsamsten Diener“.

Ich weiß, daß Tausende, die diese Zeilen lesen, sich im Stillen sagen werden: „Ja, das ist wohl wahr.“ – Wenn es aber wahr ist, warum handelt Ihr nicht danach? denn ein solcher Mißbrauch ist nicht durch Gesetz oder Obrigkeit fortzuschaffen, er muß durch die gesunde Vernunft der Einzelnen besiegt und hinausgeworfen werden. Bleibt dann auch noch eine Partie guter, ehrlicher deutscher Staatsbürger zurück, die sich den Zopf unter keiner Bedingung wollen abschneiden lassen, gut, dann mögen Ihro Wohlgeboren dabei verharren, bis sie sich zuletzt vollkommen vereinzelt sehen – und nichts hassen derartige Leute mehr als das, denn sie wollen immer mit dem Strom schwimmen. Sie werden es deshalb endlich von selber lassen, und wir haben eine unserer größten Lächerlichkeiten aus der deutschen Sprache getilgt.

Meine dringende Bitte ergeht deshalb an alle vernünftigen Menschen in Deutschland, sich endlich einmal ein Herz zu fassen und diesen alten Mißbrauch abzuschaffen, mögen auch ein paar alte Damen oder ein paar Geheime Räthe die Stirn darüber runzeln. Sollte es aber wirklich nicht möglich sein, sollte es für unumgänglich nöthig erachtet werden, den verschiedenen Adressaten unverdrossen durch Wohlgeboren und Hochwohlgeboren das richtige Gefühl ihrer Würde beizubringen, so bitte ich wenigstens alle Solche, die mich mit einem Brief erfreuen wollen, um gänzliche Vernachlässigung solcher Form, denn wenn ich auch wirklich hoffe, daß ich wohl geboren bin, brauche ich es doch nicht auf jedem Brief zu lesen, da selbst das Interessanteste durch zu häufige Wiederholung langweilig wird.

Fr. Gerstäcker.

Zur Nachricht!

Eine ausführliche Schilderung der „Hebung des Dampfers Ludwig durch Wilh. Bauer“, nach authentischen Mittheilungen Bauer’s aus der Feder des Dr. F. Hofmann, mit Abbildungen, erscheint in einer der nächsten Nummern der Gartenlaube.

Ernst Keil.

Verantwortl. Redacteure F. Stolle u. A. Diezmann. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 736. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_736.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)