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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

Ungefähr auf fünfzig oder sechzig Schritte weit war der Strand so, wie man sich ihn nur wünschen konnte. Ein köstlicher gelber Sand lag da unter ziemlich hochästigem Gebüsch und bot uns einen wahren Lustpfad dar. Das Meer selbst versuchte ihn zu beleuchten. Jede Woge, welche sich am Strande brach, schimmerte hundertfach im phosphorischen Licht; wie Feuerstreifen floß es vom Strande nach der Tiefe zurück; ein feuriges Band umrankte das Eiland, so weit wir blicken konnten. Es war ein Anblick zum Entzücken. Ungern fast setzte ich meinen Weg fort. Er war sehr kurz. Ein uns jetzt in der Dunkelheit unersteiglich erscheinendes Korallenriff thürmte sich plötzlich vor uns auf und ließ nur die Wahl zwischen Umkehren oder neuem Betreten des Waldes. Ich wählte das Letztere, und nach wenigen Minuten befanden wir uns genau in derselben Lage wie früher: mitten im Gebüsch, umschrieen, umtobt und umflogen von unzähligen Vögeln, von denen ich einen um den andern herabdonnerte und, wenn ich oder der Somali ihn glücklich gefunden, der Last zufügte, welche der Matrose schon schleppen mußte. Der arme Schelm gerieth zuletzt geradezu in Verzweiflung; ich dagegen konnte mich von dem Komischen unserer Lage nicht losmachen und mußte bei jedem seiner Klagelieder immer und immer wieder auflachen. Natürlich steigerte ich dadurch seine betrübte Stimmung nur noch mehr. Er war sehr unglücklich. Plötzlich machte der gute Bursch, welcher, wie ein Jagdhund, keinen Augenblick ruhig stehen konnte, Halt und begann von Neuem nach seinen Gefährten zu rufen. Zu meiner nicht geringen Verwunderung antwortete einer der andern Matrosen, und nach wenigen Minuten hatte er sich glücklich bis zu uns durchgearbeitet.

Ein lebhaftes Gespräch zwischen Beiden entspann sich, es wurde aber in der mir vollkommen unzugänglichen Somalisprache geführt, und so mußte ich ruhig abwarten, bis sich beide verständigt. Ich hatte natürlich erwartet, daß der Ankommende von den übrigen Matrosen abgeschickt worden wäre, um uns zu holen, erfuhr aber zu meiner nicht geringen Ueberraschung, daß er im Gegentheil sich blos nach meinen Schüssen gerichtet und uns aufgesucht hatte, weil ihm das gleiche Schicksal geworden war, wie früher uns.

Jetzt wurde mir der Wald selber unheimlich, so klein er auch war. Die Matrosen sprachen ihre Furcht unverhohlen aus: sie träumten natürlich von Gespenstern. Ich trieb sie zu neuem Suchen an und befahl ihnen, vor allen Dingen die Küste wieder ausfindig zu machen. Dies gelang, obgleich die Dunkelheit inzwischen sich sehr vermehrt hatte. Nach kurzer Zeit vernahm ich die mir geltenden Rufe und arbeitete mich jetzt, allerdings mit größter Vorsicht, durch das Gestrüpp. Wir befanden uns an einem vorher noch nicht betretenen Theile des Strandes, und zwar auf einem langgestreckten Korallenriff, welches ziemlich weit in die See hineinragte. Auf diesem gingen wir bis zur Spitze vor; aber vergeblich spähten wir nach dem Feuer auf dem Schiffe: die Insel mußte zwischen uns und dem Ankerplätze liegen. Wir gingen wieder zurück und versuchten nochmals längs des Strandes hinzugehen; allein dies war wirklich unmöglich: wer Korallenklippen jemals begangen hat, wird es mir glauben. Man konnte keinen sicheren Schritt thun, ohne vorher mit dem Fuße gefühlt zu haben. Das Meerleuchten täuschte nur, aber es half Nichts. Unzweifelhaft hätten wir die Nacht am Strande zubringen müssen, wären die andern Matrosen nicht klüger gewesen als meine Begleiter, welche jetzt ziemlich kleinlaut auf der Klippe hockten. Selbst mir war die Musik des Wogenschlages vollkommen gleichgültig oder unverständlich geworden; ich sehnte mich nunmehr so recht innig nach dem harten Lager auf der Barke.

Da zeigte sich von fern ein leuchtender Streifen auf den Wellen, beide Matrosen jauchzten auf. Ihre Gefährten hatten, wie sich später ergab, ihre Holzladung glücklich zum Boote gebracht, vergeblich uns erwartet und waren auf den schlauen Gedanken gekommen, die ganze Insel zu umfahren. Auf unser Rufen näherten sie sich uns, und ungeachtet der Brandung, welche das Einschiffen nicht gerade erleichterte, sprangen wir in das Boot, welches von den Leuten sogleich umgedreht und nach der ersten Landungsstelle zurückgebracht wurde. Wir fuhren ziemlich lange am Saume der Insel dahin, und ich erkannte jetzt erst, wie weit wir in den Wald hinein gekommen waren. Von dem Landungsplatze schimmerte das Feuer freundlich zu uns herüber. Nach wenigen Minuten lag ich, meine Pfeife schmauchend, auf meiner ungarischen Bunda, welche ich vorsorglich mit nach Afrika genommen hatte und später dort auch sehr gut brauchen konnte.





Die Todtenfeier eines deutschen Flüchtlings.

Von Hans Blum.[1]

Die zur Gerechtigkeit weisen, werden leuchten wie die
Sterne, immer und ewiglich. –

Jetzt, wo der ungeheuere Jubel des allgemeinen deutschen Schützenfestes zu Frankfurt verklungen und sich auf dem allgemein glänzenden Niveau jener Festestage einzelne Schattenstreifen deutlicher sondern, und wiederum einige Lichtstrahlen sich leuchtender wiederspiegeln, da wird es dem ruhigen Beobachter nicht schwer, den leuchtendsten unter den leuchtenden Strahlen zu finden. Es ist dies – man kann es unbeschadet der Liebe zu unsern Tyroler Brüdern offen bekennen – jener Strahl, der aus dem sonnigen Mittagshimmel schweizerischer Freiheit hineinfiel in unsere deutsche Morgendämmerung, es ist die herzinnige Freude, die der Schweizer und der Deutsche zu Frankfurt aneinander empfunden, die Freude zweier Brüder, die sich nach langer Schicksalstrennung wieder gefunden. Dieser Eine Moment ruht in seiner vollen Bedeutung und Inhaltsschwere noch im Schooße der Götter. Aber er ruht auch nur. Unsere Jugend, unsere Schützen, unsere Zeitungen und unsere ernsten nationalen Feste vor Allem werden ihn immer von Neuem erwecken und in den Vordergrund drängen, wie in jenen Tagen zu Frankfurt.

Giebt man dies zu – und wer sollte sich Herz und Sinn dagegen verschließen? – so werden selbst Diejenigen, die jene fröhlichen, großartigen Tage gesehen, nicht unwillig bei einer Feier verweilen, die diesen Gedanken der Verbrüderung Deutschlands mit der Schweiz so rein und edel gepredigt, wie kaum jene. Doch hüte man sich, den Maßstab des Frankfurter Festes auch nach andern Dimensionen hin an diese stille Feier zu legen. Eine einzige Ehrenpforte, ein schlichtes Ehrendenkmal und wenige frische Kränze an der Todesstätte eines theuren deutschen Mannes sind der ganze Ersatz eines großstädtischen Festschmucks. Wenige Hunderte: eine naturkräftige Dorfbevölkerung, eine Handvoll Sänger und Studenten, und an der Spitze Aller die geächteten Deutschen, wie sie das Schicksal über ganz Europa zerstreut, spielen hier die Rolle der prunkenden Gestalten und prunkenden Namen, wie sie sich vor wenig Monaten in Frankfurt zusammengehäuft. Fast scheint es eine Entweihung, jene friedliche Feier der großen geräuschvollen Welt zu verkünden. Am liebsten möchte man sie dem Herzensfreunde erzählen in einer stillen Stunde – oder dann einem Blatte, das ein lieber Freund ist an jedem Heerde. Warum also nicht der „Gartenlaube“?

Da, wo der Wallensee sich grundlos eingesenkt hat zum Fuße senkrechter Felsen, und nur hin und wieder einem Streifen fruchtbaren Bodens gestattet, heranzutreten an seine Wasser, hat sich auf einem dieser Seegelände das Dorf Murg erhoben. Hier gedeiht die zahme Kastanie im Freien, und der Wallnußbaum strotzt in üppiger Fülle; hier pflegte auch der deutsche Flüchtling Heinrich Simon am liebsten zu rasten von Arbeit und Mühe, und das traurige Loos der Verbannung zu vergessen – und hier ist er vor zwei Jahren beim Baden ertrunken im See, der seinen Körper nie zurückgegeben! Bald wurde die Klage der kleinen Gemeinde zu Murg, die er als Leiter ihres Kupferbergwerks glücklich gemacht und gesegnet hatte mit menschenfreundlichem Wohlthun, bald wurde sie übertönt durch die Klagen, die die eherne Zunge der Öffentlichkeit predigte im Lied und in gewaltiger Prosa, die selbst von jenseit des Oceans herüberschollen über sein allzufrühes Dahinscheiden. Aber unsere Zeit schreitet zu unbarmherzig schnell und verwischend einher, als daß ihr Geschlecht sich lange aufhalten ließe an der Trauerurne eines Mannes, und wäre es der beste und größte.

Nur eine kleine Anzahl von Männern war es, Freunde des Verblichenen in der Heimath und im Exil, die zusammentraten,

  1. Des unvergeßlichen Robert Blums talentvoller Sohn, der hier zum ersten Male mit einer größern literarischen Arbeit vor das lesende Publicum tritt.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 731. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_731.jpg&oldid=- (Version vom 9.5.2023)