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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

Pastor Baurschmidt.
Nach einer Photographie von Focke und Ahlfeld in Hannover.

Der Katechismus stellt sich ferner auch vor, daß der Teufel uns durch „äußerliches Blendwerk“ zur Sünde locke und dränge; er fordert somit den Glauben an sichtbare Teufels-Erscheinungen (S. 132, Fr. 56.). Ja, er setzt sogar die wirkliche Thatsache übernatürlicher Zauberei und Hexerei voraus; denn er sagt mit ausdrücklichen Worten, daß Wahrsager, Zeichendeuter, Geistesbanner, Zauberer etc. „wissentlich oder unwissentlich mit dem Teufel in Verbindung treten“ (S. 49, Fr. 47.)!

Der Katechismus nimmt also nicht nur die Möglichkeit, sondern die Strafbarkeit realer Bündnisse mit dem Teufel an. Von einer solchen Annahme aus fehlt zu der Wiederkehr von Zauberer- und Hexenprocessen nur noch ein kleiner Schritt. Ein Mensch, der sich wissentlich mit dem Teufel, diesem ebenso mächtigen als tückischen Potentaten der Finsterniß, zu bösen Streichen verbindet, ist – die Realität des Teufels vorausgesetzt – in der That auch einer der schändlichsten Verbrecher; und warum sollte einen solchen das Schwert der öffentlichen Gerechtigkeit nicht auf’s Empfindlichste treffen?

In gleich ungeheuerlich altorthodoxer Weise spricht sich die vom Consistorium dem ursprünglichen Texte desselben beigegebene „Erklärung des kleinen lutherischen Katechismus“ aus über die „Erbsünde“, die „Taufe“, die „Privatbeichte“ und den „Beichtzwang“, die „Macht der Sündenvergebung durch den Beichtvater“, die „Auferstehung des Fleisches“, die „Erlösungslehre“ etc. etc.

Es klingt etwas unglaublich, aber es ist wahr: die Urheber des neuen hannoverischen Katechismus sind der Meinung: seit 200 Jahren habe die gesammte theologische und kirchliche Entwickelung innerhalb des Protestantismus nichts Neues als Abfall und Sünde producirt; man müsse daher eiligst den Schwamm ergreifen und diese sündhaften Hervorbringungen von der Gedächtnißtafel der Geschichte gründlich hinwegwischen. Davon, daß der Rationalismus, die Theologie der Aufklärung, die durch das Läuterungsfeuer der philosophischen Freiheit und Speculation hindurchgegangene moderne theologische Wissenschaft nothwendige Entwicklungsmomente in der Geschichte des Protestantismus sind, haben die „conservativ“ fortbildenden Kirchenhäupter in Hannover keine Ahnung. Ihrem umflorten Blicke verbirgt sich namentlich auch ein hochwichtiges Phänomen. Die Orthodoxie des sechzehnten und siebzehnten Jahrhunderts war besonders in einem Punkte eine große Verirrung. Sie verwechselte die Theologie mit der Religion, die correcte Lehre mit dem evangelisch-christlichen Leben. Sie erhob die Dogmatik, und zwar eine unvolksthümliche, noch immer in dem Vorstellungskreise der mittelalterlichen Scholastik festgebannte Dogmatik, zum Mittelpunkte ihres Wollens und Schaffens. Die orthodoxe Lehrformel wurde der protestantische Papst. Wir kennen die Folgen dieses papierenen Papstthums. Die deutsch-protestantische Kirche wurde auf diesem Wege an den Rand des Verderbens geführt. Aergerliche Lehrstreitigkeiten füllen von jetzt an die Blätter ihrer Geschichte. Der lächerlichste und schmählichste Teufels- und Hexenglaube wird von den protestantischen Theologen und Juristen, diesen Trägern der Orthodoxie, am meisten gehegt und gepflegt! – Jesuiten und Pietisten erheben sich endlich gegen die scheußlichen Hexenverbrennungen, während die protestantischen Orthodoxen sich daran erlaben. – Der alte Generalsuperintendent Walther hätte in den Blutströmen des dreißigjährigen Krieges die Früchte des Systems, dem er sich selbst mit Leib und Seele ergeben, erkennen können. Die confessionelle Intoleranz führt, wenn ihr nicht bei Zeiten Einhalt gethan wird, zuletzt immer in den Jammer

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 717. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_717.jpg&oldid=- (Version vom 26.12.2022)