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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

derjenigen Juden haften sollen, welche während der Judenverfolgung 1389, hier Schutz suchend, ermordet wurden.

Nur wenige Schritte von dieser ältesten Synagoge Prags entfernt, liegt der sich in großen Dimensionen ausbreitende, von einer hohen Mauer und angrenzenden Synagogen umgebene, weltberühmte „alte israelitische Friedhof“, welcher seit Kaiser Joseph II. Zeit geschlossen ist. – Ueber der Eingangsthüre lesen wir auf schwarzer Denktafel in deutscher und hebräischer Sprache:

„Ehrfurcht dem Alterthum,
Achtung dem Eigenthum,
Ruhe den Todten!“

Vielfache sagenreiche Traditionen, welche noch jetzt im Munde der jüdischen Bevölkerung leben, führen das Alter und die Gründung dieser Ruhestätte in die vorchristliche Zeit zurück. Die leichteste und sicherste Antwort ihres Entstehens würden uns die Grabsteine selbst geben, allein auch sie blieben von dem Barbarismus jener früheren Zeiten nicht verschont. Während der ausgedehnten Judenverfolgung im Jahre 1389 wurden fast sämmtliche Grabsteine dieses Friedhofes zerstört; die wenigen, welche man stehen ließ, sind im Verlaufe der Jahrhunderte tiefer und tiefer in die Erde gesunken, so daß jetzt nichts mehr von ihnen zu sehen ist; das Erdreich verschloß sie in seinem Schooße. – Die Mehrzahl der noch jetzt stehenden Grabmäler rührt aus dem 15. bis zu Anfang des 19. Jahrhunderts her; auf den älteren ist weder Schrift noch Jahreszahl erkenntlich. Eingemeißelte Zeichen geben in symbolischer Weise den Stamm des Verstorbenen an. So bedeuten zwei ausgebreitete Hände den Stamm Aron, dessen Nachkommen an hohen Festtagen den mosaischen Segensspruch vorzutragen oblag; eine Kanne ist das Symbol der Leviten u. s. w. Außerdem sehen wir noch die Zeichen einer weiblichen Figur, welche uns die Ruhestätte einer Jungfrau bezeichnen soll, dann Abbildungen gewisser Thiere und Pflanzen, wie z. B. Wolf, Bär, Schwalbe, Rose, die den hiervon abgeleiteten Namen des Verstorbenen angeben.

Unter den Gräbern erwähnen wir zunächst dasjenige des Rabbi Abigdor, dessen Namen bereits vorhin erwähnt wurde, aus dem Jahre 1439. Derselbe erwarb sich durch seine Gelehrsamkeit eine hohe Ehrfurcht und wurde wegen des streng-ascetischen Lebens von den Juden zu einem Heiligen erhoben. Eine lange Zeit hindurch pilgerten ganze Gemeinden bei unglücklichen Ereignissen wie zu einem Wallfahrtsorte nach seinem Grabe. Nicht minder groß ist die Achtung und Verehrung für Mordachai Meist, dessen Grabstein die, seine Mildthätigkeit kennzeichnende Inschrift trägt: „Weder Armuth noch Mangel kannte die Gemeinde zu seiner Zeit.“ Eine große Zahl wohlthätiger, noch heute bestehender Stiftungen in der Judenstadt sind sein Werk; darunter das jüdische Spital und Waisenhaus. Ferner ließ er die nach ihm benannte Meislsynagoge für 20,000 Thaler bauen und schenkte u. A. den Gemeinden in Posen, Krakau und Jerusalem 30,000 Thaler; bedeutende Mittel wandte er auf, die herrschende Armuth seiner Glaubensbrüder zu mildern. – Ein durch Eleganz auffallendes Grabmal ist das der Hendl Schmiles aus dem Jahre 1628, welches, aus weißem Marmor ausgeführt, ein von Arabesken umgebenes Wappen trägt. Als Gattin des vom Kaiser Ferdinand II. in den Adelsstand erhobenen Jakob Sebas (Schmiles), welcher den Rang eines Hofagenten bekleidete, und dem zugleich die Verwaltung des böhmischen Münzregals, dessen Prägestätte noch heute in den Gewölben seines Hauses in der Judenstadt sichtbar ist, übertragen wurde, machte sie sich ebenfalls durch ihre bedeutenden Unterstützungen um die ärmeren Juden verdient. Bemerkenswerth sind außerdem noch die Grabmäler Simon Spiro’s, des Oberlandesrabbiners Oppenheim, Rabbi Fischels und vor allen das des „hohen Rabbi Löwi“, aus dem Jahre 1609. Durch seine theologische Gelehrsamkeit berühmt, hatte er sich ebenso bedeutende Kenntnisse in den Naturwissenschaften und namentlich der Astronomie angeeignet, so daß Tycho de Brahe, welcher zu jener Zeit am Hofe Kaiser Rudolfs II. lebte, in nahe freundschaftliche Beziehung zu ihm trat. Die Sage erzählt über Löwi, welcher als weiser Magier von den Juden bezeichnet wird, daß, als eines Tages der Kaiser, durch den berühmten Astronomen auf den gelehrten jüdischen Rabbi aufmerksam gemacht, diesen mit seinem Besuche beehrte, ihm Löwi die kaiserliche Hofburg, welche der Judenstadt gegenüber auf dem jenseitigen Flußufer liegt, in das Judenviertel gezaubert habe. Wahrscheinlich geschah dies mittelst einer Camera obscura, als deren Erfinder der Vater „Bezalél Löwi“ genannt wird. – Zahllose kleine Steine, welche als Zeichen der Achtung von den diese Ruhestätte Besuchenden niedergelegt wurden, lassen das nahe der Friedhofsmauer befindliche Grabmal leicht von den anderen unterscheiden. Ihm zur Seite wurden die Gattin und 32 seiner liebsten Schüler beerdigt.

Dieser Friedhof, von den Juden Beth-Chaim (Haus des Lebens) genannt, ist von Fouqué treffend als eine echt ossianische Erscheinung bezeichnet worden. Mitten im Gebiete des werkthätigen Lebens befindlich, fühlen wir in ihm schroff genug die hier herrschende plastisch-abgeschlossene Ruhe, aus der wir nur zuweilen das wirre Durcheinander der Andächtigen hören, welche nach der Schwüle der Tagesarbeit in den angrenzenden Synagogen zu ihrem Jehovah beten. Tausende von Grabsteinen decken den dürren, hügeligen Boden; Trümmer von Grabmälern, alte, dichtbemooste Leichensteine starren uns in wild zerrissenen Zügen entgegen, und alte, längst abgestorbene Hollunderstämme recken dazwischen ihre kahlen, knorrigen Aeste in die Höhe. „Ein wundersames, schauerliches Gefühl“ – sagt Carl Herloßsohn – „erfaßt den Eintretenden in dieser laut- und farblosen Oede. Keinem christlichen Gottesacker ist dieser Friedhof zu vergleichen. Ueber jenem zucken noch, wenn auch Kreuze und Gräber bemoost, versunken, einzelne Lichtblicke; der Mensch fühlt sich daselbst nicht so entsetzlich verlassen, allein, elend! Hier aber wohnt ein seltsames Grauen; die Hoffnung, das Gefühl der Auferstehung wagt es nicht einzuziehen in die Brust des Christen, der hier weilt. Beim ersten Schritt in diese Mauern, in dieses Irrgewinde von umgesunkenen Steinen und verworrenen Baumgruppen fühlt der Christ, daß er hier die Grabstätten eines anderen Volkes, eines andersgläubigen Geschlechtes betritt. Keine, nicht die entfernteste Aehnlichkeit mit der Monotonie eines herrnhutischen Gottesackers, düster der Contrast mit der Freundlichkeit einer muhamedanischen Begräbnißstätte! Und wie verschieden, wie uralt gegen alle modernen Judenfriedhöfe! Es waltete hier der dumpfe, gepreßte Schmerz, das fatalistische Entsagen, das Hineinbrüten in Tod und Verwesung. Lange wird hier der Christ, welcher zum ersten Male diese Stätte betritt, nicht weilen; denn nirgend aus der Erde, selbst im tiefsten Kerker, kann es so unheimlich sein. Und doch weht die Luft hier frei, blickt der Himmel hernieder auf diese Zweige und Blätter, auf die Gräser und Moose.“ – Der alte Friedhof ist eine Reliquie seither geblieben und hat sich nicht, wie es bei christlichen Kirchhöfen der Fall, in einen freien Platz verwandelt; er gewährt dem Leben keinen Raum und empfängt, wenn gleich selbst todt, nichts Todtes mehr!

R. A


Die Augenkrankheit „grüner Staar“.
Von Dr. A. G.

Wenn ich in dem Folgenden ein den Naturwissenschaften entnommenes Thema kurz zu besprechen beabsichtige, so leiten mich weder jene großen Tendenzen des Jahrhunderts, welche die Forschungen des Gelehrten in passender Weise zum Eigenthum des Volks zu machen streben, noch fürchte ich damit die Reihe gefährlicher Halbwisser zu vermehren, welche der Geist der Forschung nie geadelt hat. Es gilt nur eine praktische Belehrung, welche mir im Sinne der Humanität geboten scheint, und welche ich, in schmerzvoller Erinnerung an so manches, durch eine gefährliche Unkenntniß zerstörte Lebensglück blos in der Absicht gebe, künftigem Unglück nach Kräften zu steuern.

Unter den eine unheilbare Erblindung herbeiführenden Augenkrankheiten stand noch vor etwa acht Jahren mit in erster Reihe das sogenannte „Glaucom“, dem Volke mehr noch unter dem Namen des „grünen Staars“ bekannt. Diese mit einer dämonischen Sicherheit zu einem völligen Ruin des Auges führende Krankheit hatte von jeher vielfach den ärztlichen Scharfsinn und Fleiß beschäftigt. Vergeblich suchte man dem eigentlichen Wesen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 711. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_711.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)