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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

Aus dem Klosterleben.[1]

Nr. 1.
Die erste Messe eines jungen Priesters – Geistliche Hochzeit – Im großen Speisesaale – Klosterball.

Als ich noch so dastand und mich in allerhand Gedanken über den Abschied meines Freundes, der mich hierher begleitet hatte, vertiefte, schlug heftiges Peitschengeknall an mein Ohr. – Sollte der Freund umgekehrt sein? – Da fuhren aber auch schon zwei Bauerwagen durch das Thor in den großen Hof herein. Die hübschen, jungen, feurigen Pferde waren mit Blumen und buntfarbigen Bändern geschmückt. Auf den mit Kränzen behangenen Leiterwagen saß eine Menge gastlich geputzter Leute. Es waren die Eltern, Geschwister, Verwandten und Freunde Arderian’s, eines neugeweihten Priesters, der morgen in unserm Stifte seinen Ehrentag (geistliche Hochzeit) feiern, d. h. seine erste Messe lesen sollte.

Das war ein Leben und Gedränge, eine Fröhlichkeit und Plauderei dieser mährischen Landleute, die dem Anscheine nach alle der wohlhabenderen Classe des Bauernstandes angehören mochten. Die irdische Seligkeit, das Glück, die Freude – Alles stand deutlich in ihren Mienen und Gebehrden gezeichnet. Bald kamen auch Arderian und der Gastmeister in den Hof, sie zu begrüßen. Das war eine Herzlichkeit! Die Mutter Arderian’s, eine kräftige Frau mit hochrothen Wangen, sprang wie ein junges Mädchen auf ihren geistlichen Herrn Sohn zu und weinte, ihn umhalsend, laut auf vor Wonne und Glück.

Mir traten auch die hellen, warmen Thränen in die Augen, denn ich gedachte meiner eigenen Eltern und Geschwister. Allein und verlassen stand ich da, schmerzvoll und bedrückt; aber im Grunde der Seele regte sich das frohe Hoffnungsgefühl, daß auch für mich einmal ein so rührend schöner Tag kommen werde, an dem ich die Meinigen in einem ähnlichen Entzücken sehen könne. Darum weideten sich meine Augen an der herrlichen Scene, die sich vor mir aufthat.

Wie der alte Vater sich bemühte, seinem nun hochwürdigen Sohne die Hand zu küssen, und dieser mit aller Macht abwehrte! Wie dann die Geschwister, zwei herrliche Bursche und zwei niedliche Mädchen, ein größeres und ein kleineres, Alle zugleich den Bruder umringten, sich seines Halses, seiner Arme und Hände bemächtigten und ihn mit wahrer Herzenslust abküßten! Wie dann endlich die Freunde halb schüchtern herantraten und dem jungen Priester ehrerbietig die Hände boten! – O, es war ein reizender Anblick, ein lebendes Bild, wie ich noch keines je gesehen hatte. Des Grüßens und Dankens, des Stoßens und Fragens war fast kein Ende, und das Alles im großen Wirthschaftshofe zwischen Pferden und Wagen. Von ferne gafften die Klosterknechte und Mägde, die einander laut herbeigerufen hatten, das Schauspiel gerührt und schweigsam an.

Bald gab es für mich nichts mehr zu schauen. Ich wanderte hinaus in’s Freie, wo ich mir das eben gesehene Bild eines Familienglücks weiter ausmalte und für mich die entsprechende Nutzanwendung davon machte. Ja, es ist etwas Großes – sagte ich mir – seinen Eltern eine solche Seligkeit zu bereiten, und sollte sie auch theuer erkauft werden müssen! Hier kostet es einige Selbstverleugnung. Aber was will das für einen jungen Menschen sagen! – Glücklich in diesen Gedanken schlief ich Abends spät ein.

Vielstimmiges Glockengeläute, das mich weckte, trieb mich an mit meinem Anzüge zu eilen. Auf ein Frühstück wartete ich vergebens. Auf dem Corridor des Gastflügels war viel Leben, Gerede, Hin- und Herlaufen, Rufen von mancherlei Stimmen. Die Dienerschaft mochte heute viel zu thun haben. Da erklangen von ferne die Töne eines Festmarsches, und ich eilte hinab in den Hof, der Gegend zu, woher die Musik erschallte.

Es war der Prälatenhof, von festlich geputzten Stadt- und Landleuten gedrängt voll. Das Prälatenthor stand angelweit offen, um der immer noch zuströmenden Volksmenge Einlaß zu gewähren. Aus dem großen Speisesaale über die breite Galatreppe herab kam nun der Festzug. Voran zwei Fahnenträger, in roth und weiße, mit goldenen Tressen besetzte Kirchengewänder gekleidet. Ihnen folgten etwa 12 Musiker, auf ihren mit Blumen gezierten Blechinstrumenten die fröhlichsten Weisen blasend. Dann kam eine Schaar paarweise geordneter Chorknaben, ebenfalls mit betreßten weißen und rothen Kleidern angethan. Alle hatten Kränze von künstlichen, mit Silber- und Goldfäden durchwirkten Blumen je um den linken Arm gebunden. Zwei von ihnen trugen hohe silberne Kirchenleuchter mit brennenden Kerzen, andere hatten gottesdienstliche Geräthschaften in Händen. Dann folgte die Geistlichkeit in ihren reichen, weißen, mit Silber und rosenfarbiger Seide gestickten, schweren Ornaten. Zuletzt der Primiziant, begleitet von dem Prior. Die Meßkleider, welche die Beiden anhatten, strotzten von Gold- und Silberstickereien, zwischen denen farbige Edelsteine schillernd hervorleuchteten. Jeder Geistliche trug am linken Arme einen strahlenden Kranz von feinen, mit Gold und farbigen Steinen durchwirkten Blumen.

Der Primiziant hatte ein verklärtes Angesicht und sah ernst, blaß, aber ruhig vor sich hin. Seine Miene gefiel mir sehr gut, aber sie war himmelweit verschieden von jener, die mich gestern so angenehm befangen hatte. – Ihm auf dem Fuße nach trippelten seine zwei Schwestern, als Brautjungfern weißgekleidet und bekränzt. Jede trug auf reich gesticktem Sammtkissen einen dem geistlichen Bräutigam gehörigen Kirchenkranz. Derselbe hatte die Gestalt einer Königskrone und war der eine von natürlichen, der andere von künstlichen Blumen gebaut. Die zwei Mädchen sahen recht hübsch und höchlich vergnügt aus. Dann schritten Vater und Mutter des Primizianten, Geschwister, Freunde, Verwandte und mehrere geladene Gäste paarweise einher, immer Mann und Frau, Jüngling und Mädchen. Mönche, die beim Gottesdienst nicht beschäftigt waren, bewegten sich mitten in der Kirche und schlossen sich da und dort an. Die Zuschauermenge drängte unordentlich nach. Ich nun mit.

Als wir in der Kirchenthür anlangten, hatte sich schon zum Schalle der Thurmglocken und Musik noch ein rauschendes Orgelpräludium gesellt. Das gab eine Disharmonie, die aber Niemanden störte. – Die Kirche war nach Möglichkeit geschmückt; alle Altäre glänzten in reicher Pracht; überall brannten Kerzen, die mit Blumen geziert waren; der Fußboden des Ganges, den die Procession betreten hatte, war reich mit Gras und Wiesenblumen bestreut, so daß mir das Gehen im Gedränge etwas schwer wurde. Eine dreifache Intrade von Pauken und Trompeten, die den schon vorhandenen feierlichen Lärm übertönte, zeigte an, daß der Festzug am Hochaltar angelangt sei. Die Geistlichen und Hochzeitsgäste nahmen in den Chorstühlen Platz. Der Primiziant wurde unter Assistenz der Priester zum Prälatensitze als seinem heutigen Ehrenplatz geleitet. Die Kranzjungfern stellten sich neben ihm auf; die Eltern saßen ihm gegenüber auf dem Platze des Priors. Die Trompeten schwiegen; das Glockengeläute erstarb; der Organist modulirte in sanftere Accorde über, und das Predigtlied begann.

Ich wurde vom Volke immer mehr und mehr nach vorwärts gedrängt, bis ich an eine Stelle kam, wo mich der kleine, häßliche Revisor Br–., der Neffe des Prälaten, der einen für Beamte abgeschlossenen Betstuhl inne hatte, erblickte und zu sich hineinwinkte. Bei ihm nahm ich nun Platz. Gleich darauf betrat ein mir ganz unbekannter Priester von kleiner, aber sehr belebter Gestalt die Kanzel. An seinem weiß-schwarzen Ordensgewande, das mit einem Chorhemde von zarten Spitzen bedeckt war, konnte man den Gast aus irgend einem andern Orden errathen. Als das Predigtlied zu Ende war, begann er zu sprechen. Seine Stimme war klar, seine Redeweise eindringlich und überzeugend. Ich hörte ihm mit der größten Aufmerksamkeit zu, weil er ein Thema behandelte, das auch mir nahe lag. Ich kann sogar sagen, daß diese Rede mich tief bewegt habe. Sie ging von dem Schrifttexte aus: „Ein Größerer ist nicht vom Weibe geboren“ – und umfaßte ungefähr folgende Darlegungen:

  1. Der Verfasser dieser Skizze, der noch einige andere folgen werden, war 13 Jahre lang Benedictinermönch und als solcher Mitglied eines der ansehnlichsten Stifter Oesterreichs. Seit einem Jahre in Preußen ansässig, arbeitet er augenblicklich an seinen Erinnerungen, die viel Interessantes enthalten und nächstens erscheinen werden. Wir freuen uns die Leser der Gartenlaube mit einem Theile dieser Erinnerungen überraschen zu können, denn besonders für unsere protestantischen Leser dürften diese Mittheilungen viel Neues enthalten. – Der Verfasser schildert in obigem Capitel seine Erlebnisse als Novize des Stiftes in den ersten Tagen seines Eintritts, und namentlich die priesterliche Weihe eines jungen Geistlichen.     D. Red.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 696. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_696.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)