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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

auf dem Wege, der damals hier vorbei durch den Bruch führte. Da packte mich der alte Platz, ich rastete und fand Frieden und das Bewußtsein, daß ich mit meinem Elend wenigstens die qualvollste Last von dem besten und liebsten Geschöpf genommen, das ich in der Welt kennen gelernt. Und das Bewußtsein ist mein Gottessegen geworden und geblieben in aller Noth.“

Er schwieg und schaute schier träumerisch auf die See hinaus, und als er wieder zu reden begann, war sein erstes Wort: „Es ist seltsam genug, Vetter – damals, in den schwersten Stunden, war der Vater mein einziger Vertrauter, und nun, da ich zum ersten Mal in vierzig Jahren wieder davon spreche, wird’s der Sohn.“

Und ohne weitere Vorrede fing er an und erzählte mir die Geschichte seines Lebens.



2. Ein Tropfen Blut.

„Obgleich wir damals nicht zu Preußen gehörten, vielmehr vor nicht vielen Jahren, während des nordischen Krieges, ihm sogar feindlich gegenüber gestellt waren, blieben natürlich doch hunderterlei Verbindungen mit dem stammverwandten Lande im Gange. Nach altem Herkommen, welches nach jenem Kriege sogleich wieder aufgenommen wurde, traten zum Beispiel die Söhne der meisten einheimischen Adelsfamilien nicht in die schwedische, sondern in die preußische Armee, und wenn Ihr die alten Stammlisten in meiner Bibliothek einmal abstauben und nachschlagen wollt, werdet Ihr schwerlich eine einzige unserer alten Familien finden, welche nicht, besonders unter den Reiter-Regimentern, einen oder einige Repräsentanten ihres Namens aufzuweisen hätte. Es war nicht anders; wer gesunde Glieder hatte, diente damals jedenfalls, und wäre es auch nur für ein paar Jahre gewesen.

Bei meinen Vorfahren war es gerade ebenso; mein Großvater war in der Zeit des nordischen Krieges jung gewesen und daher nicht hinüber gekommen, mein Vater aber und mein Onkel, Hans Peter, traten Anno 43 in’s Regiment Baireuth-Dragoner, der Eine fünfzehn, der Andere dreizehn Jahre alt, waren bei Hohenfriedberg und dienten mit Ehren fort, bis mein Vater Anno 49 durch den plötzlichen Tod meines Großvaters zurückgerufen wurde und, 21 Jahre alt, die Güter übernahm. Das ging denn, wie es wollte und mußte, und drei Jahre darauf heirathete er die Freiin Ulrike Magdalene von Ehrenswärdt, eine reiche, junge, schöne und stattliche Dame, die neben all diesen Vorzügen auch noch eine gehörige Portion Stolz und Eigenwillen erhalten hatte, von welchen Ihr im Lauf meiner Erzählung mehr als eine Probe kennen lernen werdet, Vetter.

Die Ehe war trotzdem eine ganz glückliche, wenn man bei dieser Bezeichnung nur nicht, wie die Heutigen, gleich an ein schnäbelndes Taubenpaar denken will. Dergleichen ist ihnen sicher niemals eingefallen, und sie würden es nach den Ansichten ihrer Zeit auch für unanständig gehalten haben. Sie liebten sich herzlich, achteten und vertrauten einander unbegrenzt und hielten in ihrer Stellung zu einander so gut wie zu ihren Mitmenschen und Standesgenossen streng auf Anstand und Ehre. Wie stolz und entschieden, wie herrschsüchtig und eigenwillig meine Mutter auch sein mochte, dem Gatten gegenüber nahm sie sich mit dem allen sehr in Acht und verstand es, bei Gelegenheit ausgezeichnet sich zu menagiren. Denn mein Vater war ein curioser Herr, für gewöhnlich so bequem, behaglich und gutmüthig, daß er Alles gehen ließ, wie seine Frau es arrangirte; heftig habe ich ihn nur ein einziges Mal gesehen. Er wußte aber sehr gut, was er wollte und sollte, und führte das dann auch auf die ruhigste Weise von der Welt aus. Gab er überhaupt einmal seinen Willen kund, so war die Sache unter allen Umständen abgethan, und es verlor kein Mensch mehr darüber ein Wort.

Kinder waren wir unser vier, zwei Mädchen, Marie und Hedwig, zuerst und bald, dann nach vierjähriger Pause mein Bruder Julius, und nach einer sechsjährigen, am Drei-Königstage 1766, ich. An dem Tage fiel plötzlich der einzige und zugleich Zwillingsbruder meiner Mutter, Baron Gerold Ehrenswärdt, wie eine Bombe mit der Nachricht in’s Haus, daß Se. Majestät, der alte Fritz, ihm zum Neujahrsgruß Knall und Fall seine Entlassung zugeschickt, und zwar ohne Angabe irgend eines Grundes, wie Se. Majestät es bekanntlich öfters zu machen pflegten. Darüber alterirte sich meine Mutter so, daß ich höchst unpassender und unerwarteter Weise ein paar Wochen zu früh anmarschirt kam und alle Menschen und alle Dinge in Confusion brachte. Meine Mutter besonders war außer sich, daß sie sich so habe decontenanciren lassen und nun ihrem Bruder nicht sogleich helfen, ihn stützen und trösten könne. Und diese „Decontenancirung“ hat sie mir nachgetragen ihr Leben lang, und mein ganzes Leben ist dadurch vermuthlich in andere Bahnen gelenkt worden. Das ist Ernst, Vetter, und kein Scherz, wie Ihr bald hören werdet.

Wir Kinder wurden im Ganzen ziemlich streng erzogen, konnten aber in manchen Punkten auch wieder thun und lassen, was wir wollten, und somit hatten wir’s gut. Von Zärtlichkeit war allerseits keine Rede; mein Vater wäre dadurch aus seiner Ruhe, meine Mutter aus ihrem Anstand gekommen; meine Schwestern, brave und saubere kleine Fräulein, die keinem Menschen jemals eine schwere Stunde gemacht und die ich stets herzlich lieb gehabt, neigten nicht zu solchen Extravaganzen, und uns Brüder, die wir die bei Vater und Onkel nicht zum Durchbruch gelangten Stammeigenschaften entwickelten – Keckheit, Hartnäckigkeit, Trotz, ein bischen Wildheit und überhaupt heißes Blut – verwies man hübsch zur Ruhe. Mein Bruder Julius nahm das leichter, ich schwerer. Ich vermißte die Zärtlichkeit und tobte dies Gefühl nicht im Spiele aus. Ich wurde noch trotziger und hartnäckiger und zumal gegen meine Mutter, die ja schon ohnedies erkältet gegen mich war – noch von der Geburt her, obgleich ich doch weiß Gott weniger schuld an meinem zu frühen Erscheinen war, als ihr Bruder. Auf den ließ sie aber nichts kommen.

Baron Gerold war außer meinem Vater wahrscheinlich der einzige Mensch in der Welt, den meine Mutter wirklich geliebt hat. Grund dazu hatte sie, denn er war ihr Zwillingsbruder und mit ihr stets ein Herz und eine Seele, daneben ein Mann von stolzer Schönheit, von großen Gaben und Fähigkeiten und ein Cavalier von tadellosem Benehmen, so daß er Jeden, der ihn nicht genau kennen lernte, bestechen und einnehmen mußte. Das hatte er nicht nur, wie ich später erfuhr, häufig genug Frauen gegenüber bewiesen, sondern auch in seiner Carriere erprobt. Denn er war, da er die jähe Entlassung erhielt, schon bis zum Oberst des Regiments Gensd’armes avancirt und doch kaum einunddreißig Jahre alt.

Nun blieb er, nicht gerade in rosiger Laune, für’s Erste bei uns, reiste auch im Lande umher, kam wieder zurück und trieb das so mehrere Jahre lang fort. Er wußte nicht recht, was angreifen, dazu war sein Vermögen auch meistens verputzt. Endlich kaufte er mit Hülfe meines Vaters Büzenow, wo jetzt sein Sohn noch wohnt, wurde somit unser nächster Nachbar und blieb mit unserer Mutter im engsten und intimsten Verkehr. Meinem Vater ist das Alles, wie ich später einmal erlauscht, niemals angenehm gewesen. Meine Mutter wurde noch herrschsüchtiger und eigenmächtiger, der Bruder mischte sich überall ein und hielt mit ihr zusammen, so daß dies Verhältniß in jeder anderen Familie hätte zu hunderterlei Unannehmlichkeiten führen müssen. Meinem gutmüthigen Vater gegenüber ging es meistens immer gut, zumal die Geschwister noch stets seinen Willen gelten ließen und seine Eigenheiten zu schonen verstanden. Anno 72 gab der Alte dem Schwager sogar sein ältestes Kind, meine Schwester Marie, zur Frau.

Nur in einer Richtung wies mein Vater dem Baron zuweilen die Zähne, und das war für seinen Bruder, meinen Onkel Hans Peter, welcher seit dem Frieden gleichfalls seinen Abschied genommen hatte und auf Liebenhagen wohnte. Der Onkel war ein braver Soldat gewesen, im täglichen Leben aber nicht allein ein gutmüthiger und bescheidener, sondern sogar ein fast schüchterner, mit einem Worte ein schwacher und schier willenloser Mensch, der sich häufig gegen seine bessere An- und Einsicht überreden und lenken ließ. Begabt war er nicht, seine Bildung war, da er mit dreizehn Jahren Soldat wurde, eine sehr mangelhafte, und so war er denn stets die Zielscheibe der Neckereien seiner Cameraden gewesen und zumal von Baron Gerold, mit dem er bei den Gensd’armes gestanden, so unbarmherzig gequält worden, daß es zwischen ihnen zum Duell kam und Hans Peter bald darauf seinen Abschied nahm. Er wollte Ruhe haben.“


(Fortsetzung folgt.)

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 692. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_692.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)