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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

Hohensee,“ sagte er, „oder um Euch einen bekannteren Namen zu nennen – der Junker von Hohensee. Den kennt Ihr doch?“

Das war freilich der Fall, obschon ich ihm bisher wunderlicher Weise noch niemals begegnet war. Der „Junker von Hohensee“ war seiner Zeit im Lande bekannt genug gewesen als ein seltsamer, eigensinniger und doch auch liebenswürdiger Kauz, als ein Original ersten Ranges, von dem hundert und aberhundert lustige, wilde, barocke, gutmüthige Streiche und Züge erzählt wurden, kurz, ein Mensch, von dem Viele behaupteten, man müsse ihm stets drei Schritt vom Leibe bleiben, auch seiner zum mindesten sehr zweifelhaften Vergangenheit wegen, in der es allerlei finstre Thaten geben sollte, und den Andere, darunter früher auch mein Vater, das treueste, ehrlichste und bravste Herz im Lande hießen. Jetzt war er alt und lebte auch wohl solider, überdies war ich seit zehn Jahren schon in einer fremden Provinz angestellt und hatte daher nichts Neues mehr über ihn erfahren. – Von seiner Lebensstellung will ich nur kurz anführen, daß er einer der reichsten Grundbesitzer des Ländchens war, noch von der schwedischen Zeit her den Titel „Kammerjunker“ hatte, aber nicht führte, natürlich wie fast alle seine Zeitgenossen „bei den Preußen“ gedient hatte, Anno 1813 sogar noch einmal zu Felde gezogen war und seitdem auch „Oberst“ hieß. Er hörte sich jedoch am liebsten „Junker“ nennen und mochte von allen übrigen Titulaturen nichts wissen.

Ueber sein vergangenes Leben erfuhr ich auch jetzt, trotz meiner Erkundigungen, so gut wie nichts. Man wußte, entweder nichts Genaueres, oder hielt damit aus diesem oder jenem Grunde zurück. Dafür wurde meine neu angeknüpfte Bekanntschaft mit ihm eine gar intime, denn bevor wir uns an jenem Nachmittag auf dem Peendamm trennten, lud er mich auf das Herzlichste zu einem Besuch bei ihm in Hohensee ein, und der Alte hatte mir gleich Anfangs so sehr gefallen und zog mich durch Alles, was ich nachher über ihn erfuhr, so lebhaft an, daß ich alsbald von dieser Einladung Gebrauch machte. Ich fand die beste, jovialste Aufnahme.

Seine Güter lagen oder liegen vielmehr in dem äußersten Winkel des Landes, fern von den Städten und damals ohne alle wirkliche Landstraßen, so daß Einheimische so gut wie Fremde selten oder nie in diese Gegend gelangten. Und das war schade, denn Hohensee selbst, das Hauptgut, bildet mit seiner Umgebung einen der hübschesten Punkte des Ländchens, Alles vereinend, was in demselben an landschaftlichen Reizen zu finden ist. Links zieht sich der Seestrand in einem weiten Bogen hin, theils flach und kaum über die Fluthen hervorragend, theils aber auch sich zu hohen und immer höheren Dünen erhebend, die endlich in einen wirklichen, gegen das Meer zu schroff vorspringenden und jäh abfallenden, reich bewaldeten Hügel auslaufen. An den Strand schließen sich üppige Wiesen, dann kommen reiche Felder, und rechts schließt der schönste Laubwald jede Aussicht.

Hohensee selber ist zwar nur ein Dorf, wie alle andern, allein es zeichnete sich schon damals durch ganz besondere Sauberkeit und Ordnung vor allen seines Gleichen aus. Der „Hof“ liegt eine starke Viertelstunde entfernt gegen den Wald zu, mit dem Dorf durch eine vierreihige Allee prachtvoller alter Buchen verbunden. Das Wohnhaus war damals noch ein langes, niedriges Gebäude, ein Parterre und nichts mehr, mit einem dunklen Strohdach. Von Wohlhabenheit oder gar Reichthum zeigte sich hier nichts, und zum einzigen Schmuck mußten die großen Bäume dienen, welche an der Vorderfront ein paar Bänke beschatteten, während andere noch höhere und dichtere Wipfel weit über das Dach emporragend auf den hinter dem Hause befindlichen Garten hinwiesen.

Die Hohensee gehörten, wie bemerkt, zu den reichsten Grundbesitzern des Landes, an und in ihrem Wohn- und Stammhause wurde davon jedoch, um auch das zu wiederholen, nichts sichtbar. Es war geräumig, aber innen so schlicht und einfach, wie außen, und eben so zeigte sich auch das Mobiliar, solid und ausreichend, aber weder schön und reich, noch im Ueberfluß vorhanden und vor allen Dingen nichts weniger als neu. Im Gegentheil, fast Alles, was man sah, stammte aus vergangenen Zeiten und ließ deutlich erkennen, wie bescheiden man selbst in den wohlhabendsten Familien dazumal gedacht und gelebt. Der Reichthum barg sich schier schamhaft in unscheinbaren Kästen und Schränken und kam, wie das wahrhaft fürstliche Silberzeug, selten oder nie an’s Tageslicht. Die Waffensammlung, eine der schönsten, die ich je gesehen, zeigte der Alte mir erst, nachdem wir schon Jahr und Tag mit einander bekannt. Er hatte sie gleichfalls in Schränken, weil er sogenannte Trophäen an den Wänden für eine knabenhafte Spielerei erklärte, bei der die feineren Stücke nach und nach nur zu Grunde gingen. – Seine Bibliothek endlich, die außerordentlich einfach aufgestellt und sehr unscheinbar war, bei genauerer Ansicht aber überraschend viel Werthvolles enthielt, fand sich seltsamer Weise in des Alten Schlafzimmer, nur für ihn selbst und besonders Begünstigte zugänglich. Ein Schrank mit Unterhaltungslectüre stand im Wohnzimmer für die Gäste bereit.

Eben so einfach war auch die Umgebung des Hauses, der Wirthschaftshof, die Wirthschaft selbst. Was da war, zeigte sich solid und brauchbar, der Viehstand musterhaft, die Pferde prachtvoll; Maschinen jedoch und überhaupt Neuerungen ließen sich nirgends bemerken. Der „Junker“ liebte dergleichen nicht und erklärte sich für zu alt, um noch viele Proben zu machen. „Die nach mir müssen auch etwas zu thun haben,“ sagte er wohl. – Der Garten hatte zwar noch einige Partieen im alten Hecken- und Berceaustil, war jedoch bei weitem mehr Nutz- als Ziergarten. Rückwärts stieß er an den Wald, durch den einige breitere und schmälere Wege gehauen waren, und wenn man dem einen der erstern folgte, gelangte man in zehn Minuten zu dem sogenannten „schwarzen See“, der, vom Waldesschatten stets dunkel gefärbt, innerhalb eines nur auf einer schmalen Stelle geöffneten, fast zirkelrunden, hohen grünen Walles ausgebreitet war. Dahin richteten sich häufig die Spaziergänge der im Hause anwesenden Gesellschaft.

Die Bewohner desselben bestanden außer den Dienstleuten – Dienerschaft zu sagen, wäre viel zu vornehm, es gab nur einen alten Burschen, der bei Gelegenheiten Livree trug – allein aus dem Junker selbst, den beiden Wirthschaftern und der alten „Mamsell“, das ist: Wirthschafterin. Dazu kamen nun aber oft genug die Familie der nahewohnenden Nichte, und ein Paar Mal im Jahr sämmtliche Kinder und Kindeskinder der beiden verstorbenen Schwestern des Alten, des letzten Mannes mit seinem Namen. Dann war das Haus voll Lärm und Heiterkeit, und Alles fühlte sich so wohl, wie nirgends anderwärts. Der „Junker“ wußte es aller Welt behaglich zu machen, aber Alt und Jung hing auch mit sichtbarer Liebe an ihm, und die Kinder und zumal die heranwachsenden Mädchen waren ihm mit wahrer Schwärmerei zugethan. Wie er mit diesen zu verkehren verstand, wie er sich mit der jungen fröhlichen Schaar neckte und „verzog“, mit ihr scherzte und plauderte, Gesellschaftsspiele spielte oder gar einmal tanzte, wie er sie reiten und mit der Pistole schießen lehrte – das hatte selbst für uns Zuschauer einen unbeschreiblichen Reiz, und man begriff leicht, daß und in welchem Umfange ihm Jedermann zu eigen werden mußte.

Denn das geschah, obgleich schwerlich Jemand anzugeben vermocht haben würde, worin diese eigenthümliche Anziehungskraft eigentlich bestand. Ich fand ihn stets lebhaft, ja heftig und wild, fast immer rührig und beweglich und doch auch wieder eigenthümlich bequem und nachlässig, sorglos und zuweilen rücksichtslos, überhaupt das, was man nach unserer charmanten Gesellschaft-Terminologie „façonlos“ heißt. Dadurch stieß er bei Un- oder Halbbekannten vielfach an, kümmerte sich aber wenig darum und fragte ebensowenig darnach, wenn er selber einmal wieder gestoßen wurde.

„Wie ich dir, so du mir,“ sagte er wohl einmal lachend bei solcher Gelegenheit; „das ist billig.“

Kam man ihm freilich näher, und das gelang schon hin und wieder Jemand, so fand man Anziehendes und Fesselndes genug. Er war ein Mann von reicher Erfahrung, von hoher Bildung und einem ausgebreiteten Wissen. Es gab in seinem Kopfe mancherlei, was man nicht im Traume darin gesucht hätte, und da er ein Mensch von gesundem Verstande, von durchdringendem Geiste und einer Energie war, die ihn Alles beenden ließ, was er schaffend oder lernend einmal begonnen, so hatte er sich in mehr als einem Fach nicht nur Kenntnisse erworben, sondern sich auch zu einer Höhe und Klarheit der Anschauung durchgearbeitet, wie man sie bei den Leuten vom Fach bekanntlich häufig genug vergeblich sucht. Leider blieb das Alles aber gewissermaßen unfruchtbar, wenigstens für Andere. Denn er kam höchstens nur gelegentlich einmal mit diesen Schätzen zu Platze. Prahlerei und Prunksucht fand man an ihm selbst so wenig, wie in seinem Hause.

Ueberhaupt sprach er von sich, von seiner Familie selten und niemals mehr, als was gerade absolut nothwendig war. Und um das hier anzuführen, der „Junker von Hohensee“ hatte zwar ein ernstes Gefühl vor seinem Range und Stande und, wo dazu Veranlassung,

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