Seite:Die Gartenlaube (1862) 688.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

herauszubilden, er ließ aber auch nicht ab von tüchtigen Schlägen, und ich habe so viel Prügel über der Malerei bekommen, das; es in der That ein Wunder ist, wie dadurch nicht der letzte Funke von Liebe zur Kunst ausgetrieben worden ist. Den ersten Unterricht ertheilte der Vater selbsteigenhändig, dann wurde derselbe bei einem Zeichenlehrer fortgesetzt, wobei die Hand des Vaters oft noch in fühlbarer Weise nachhalf.

Aber all mein Abscheu gegen die Kunst half mir nichts; mein Vater fuhr fort, mir durch schlagende Gründe begreiflich zu machen, daß der Künstlerberuf mein eigentlicher Lebensberuf sei. Er wendete seine letzten Mittel an, um mich dem Meister der Meister Cornelius zur weitern Ausbildung zu übergeben, der damals abwechselnd in Düsseldorf und in München künstlerisch thätig war. In München wollte man durchaus nicht recht an meinen Künstlerberuf glauben; ich brachte in meinen Compositionen meist ganz bizarre Ideen zu Tage, und statt daß ich damit Bewunderung erregte, wurde ich ausgelacht.

Jetzt siedelte Cornelius aus längere Zeit nach Düsseldorf über, und ich nebst mehreren andern Schülern mit ihm. Den Sommer über ward er und die andern hervorragenden Düsseldorfer Meister nach Köln, Trier, Koblenz etc. berufen, um größere Frescogemälde auszuführen. Wir junges Gestrüpp blieben in Düsseldorf zurück, um leichtere Aufgaben auszuführen. Da kam eines Tages der wackere Arzt der Irrenanstalt zu uns in das Atelier des Cornelius. „Ihr jungen Bursche,“ rief er uns zu, indem er uns an kleineren untergeordneten Arbeiten beschäftigt sah, „müßt Euch auch nun an etwas Größerem versuchen. Ihr müßt Frescobilder malen. Ich will Euch dazu Gelegenheit geben. In unserer Irrenkirche findet Ihr Raum genug dazu. Geht nur gleich an’s Werk. Geld kann ich Euch freilich nicht für Euere Kunstleistungen bieten, aber Brod, Butter, Käse und Bier sollt Ihr während der Arbeit bekommen, soviel Ihr nur wollt.“

Das ließen wir uns nicht zwei Mal sagen. Am nächsten Morgen waren wir schon fleißig am Werk und malten Fresken drauf und drein. Es dauerte nicht lange, so hatten wir jedes verfügbare Plätzchen in der Irrenkirche mit Frescobildern geistlichen und weltlichen, heiligen und profanen Inhaltes ausgefüllt. Für unsere leibliche Nahrung und Nothdurft war in der angedeuteten Weise auf’s Reichlichste gesorgt; wir ließen es uns trefflich schmecken, und nicht ohne Wehmuth erinnere ich mich jener Zeit, wo mir ein Stück Brod und Käse so trefflich mundete und – was die Hauptsache war – noch so gut bekam, was leider jetzt nicht mehr der Fall ist. Als wir nun fertig wären und unser Maecenas medicus Alles ansah, was wir gemacht hatten, und es sehr gut fand, sagte er: „Ihr habt Euere Sache brav gemacht, meine Irrenkirche steht nun der St. Andreaskirche und der heiligen Lambertuskirche an Kunstschätzen nicht mehr nach. Geld kann ich Euch, wie ich Euch im Voraus bemerkte, nicht geben. Solche Kunstwerke sind auch gar nicht mit Geld zu bezahlen, aber ich will Euch etwas aus Euere künstlerische Lebensreise mitgeben, was Euch mehr werth sein wird, als eine große Geldsumme. Kommt morgen Nachmittag zu mir!“

Wir waren ob solcher Belobung aus dem Munde des kunstsinnigen Aesculap kreuzfidel und ganz in der Stimmung, einen fröhlichen Lustreigen aufzuführen nach den munteren Tönen des in Düsseldorf eigens für die Künstlertänze erfundenen Schweinsblasiums.[1]

Diese lustige Stimmung sollte aber bei nur bald einer sehr ernsten und trüben Platz machen. Als wir am folgenden Nachmittag zu unserem Cantor kamen, führte er uns in das unter seiner ausgezeichneten Oberleitung trefflich eingerichtete Irrenhaus. Da drinnen aber war’s fürchterlich! Wir gingen von Zelle zu Zelle und sahen die schrecklichen grinsenden Gestalten. Gerechter Himmel, welch ein Elend! Den unheimlichsten Eindruck machte eine ältere Frau mit römischer Nase und spitzem Kinn[2] und ein wildblickender, dumpf vor sich hin brütender Mann, mit hölzernem Schwert umgürtet.

Dabei erzählte uns nun der wackere Arzt bis in’s Detail die Lebensgeschichte sämmtlicher Unglücklichen. Der schwärmende religiöse Aberglaube und der in die Luft bauende Uebermuth waren am stärksten vertreten, nächstdem die Opfer unglücklicher, melancholischer Liebe. Ein politischer Phantast, die Krone von Goldpapier mit Sonne, Mond und Sternen geziert auf dem Kopf und einen Reisigknittel statt des Scepters in der Hand. Ferner ein Opfer der Lotteriewuth mit der in der letzten Nacht geträumten Nummer auf dem Hut. Eine Kindesmörderin, ein von Lappen und Holz gebildetes Kind zärtlich im Arme. Meine Genossen hatten das alle mit glücklichem Leichtsinn hingenommen, auf mir aber lastete das Ganze mit seinen Einzelheiten wie ein schrecklich drückender Alp. Es war mein Taggedanke und mein Traum. Tag und Nacht wurde ich die Schreckensgestalten nicht los. Bis in die heiterste Gesellschaft verfolgten sie mich und grinsten mich mit ihren hohlen furchtbaren Augen an. Jede Ruhe der Nacht war dahin, mein Zustand wurde immer furchtbarer. Ich wußte nicht, wo ein, wo aus. Da erinnerte ich mich an das, was Goethe von der Entstehung seines Werther erzählt.

Eine schmerzvolle sehnsüchtige Unzufriedenheit und krankhafte Sentimentalität ging damals als eine geistige Krankheit durch alle Gemüther, und Goethe fühlte sich in der Tiefe seines empfänglichen Herzens schärfer als Alle davon ergriffen und war der Verzweiflung nahe. Da gedachte er eines früheren Hausmittels, welches Frau Rath mit den Worten bezeichnet: „Wenn der Wolfgang irgend ein Leid auf dem Herzen hat, so macht er ein Lied daraus.“ Und so schrieb er in vier Wochen den Werther und lagerte darin seinen ganzen Weltschmerz ab, also daß er dann sagen konnte: „Ich hatte mich durch diese Composition mehr als durch jede andere aus dem stürmischen Elemente gerettet, ich fühlte mich wieder froh und frei und zu einem neuen Leben berechtigt. Das alte Hausmittel war mir vortrefflich zu Statten gekommen, durch welches sich die Wirklichkeit in Poesie verwandelt hatte.“ Aehnliches versuchte ich nun mit den mich verfolgenden Irrenhausgestalten, ich lagerte sie erst in einzelnen Bildern und dann in einem Gesammtbilde ab, indem ich die Wirklichkeit in Poesie zu verwandeln suchte. Es gelang mir, ich wurde die Phantasiebilder aus der Seele los, je eifriger ich sie aufs Papier zeichnete, und so entstand mein Narrenhaus. Jede einzelne Figur auf dem Bilde ist nach dem Leben gezeichnet. Daher auch die erschreckende Wahrheit, die von manchen Kunstkritikern bis zum Himmel erhoben, von Andern bis zum Abgrund der Hölle verdammt worden ist. Jetzt fühlte ich mich, wie Goethe nach Vollendung des Werther, wieder froh und frei und lachte über den Streit der Kunstkritiker. Mochten sie über das Werk sagen, was sie wollten, für mich war es von unendlichem Werthe. Es war mir ein Rettungsmittel zur Genesung. „Es war mir zum Heil, es riß mich nach oben.“ Und zu meiner völligen Wiederherstellung, gleichsam als Nachcur, zeichnete ich dann Egmont und Clärchen. Unvergeßlich ist mir der Moment, in welchem ich, als wir das Irrenhaus verließen, den ersten freien Odemzug wieder unter Gottes freiem Himmel that, aber noch unvergeßlicher der Augenblick, da ich den letzten Strich an dem Narrenhause that.

H. Merz hatte die Gefälligkeit, das Narrenhaus trefflich in Kupfer zu stechen, und Guido Gorres lieferte geistreiche Erläuterungen dazu, nebst Ideen über Kunst und Wahnsinn. Dadurch wurde man zuerst auf mich aufmerksam, und keine meiner spätern Kunstschöpfungen hat verhältnismäßig so viel Glück gemacht als mein Narrenhaus, diese sepultra inter vivos, diese Beisetzung unter den bürgerlich Todten.

Zum heitern Schluß muß ich dieser meiner Erzählung noch ein nicht uninteressantes Codicill anfügen. Kaum war der Merzische Kupferstich erschienen, so spürte ich die erfreulichsten Folgen. Von allen Seiten her wurde ich um Zeichnungen angegangen. Eines schönen Morgens ging mir unter andern auch eine Zuschrift des Chefs eines allbekannten Kunstverlags zu, ungefähr dahin lautend: „Mein lieber Herr Kaulbach! Ich wünsche Ihnen Glück zu dem guten Griff, den Sie mit der Kunstschöpfung Ihres Narrenhauses gethan haben. Es ist ein vollendetes Meisterwerk. Wenn Sie auf dieser Bahn fortschreiten, werden Sie ein sehr berühmter Mann, und ich bin entschlossen und bereit, Ihnen die Hand dazu zu bieten. Malen Sie mir so rasch als möglich 25 solcher Narrenhäuser. Ich werde keine Kosten scheuen, um dieselben in möglichst würdiger Weise durch Kupfer und Stahlstiche zu vervielfältigen und Ihnen dadurch einen ausgezeichneten Platz in dem Tempel des Nachruhms zu sichern. In der Hoffnung auf Ihre baldige geneigte Rückantwort hochachtungsvoll“ etc.

Ich letzte mich sogleich hin und schrieb in de- und wehmüthiger Stimmung: „Hochverehrtester Herr! Wenn Sie wüßten, wie blutsauer mir die Composition des von Ihnen wohl fast zu günstig beurtheilten Narrenhauses geworden ist, so würden Sie mir die für mich so schmeichelhafte Aufgabe nicht stellen.“ Dann schilderte ich ihm ausführlich den Hergang der Sache und schloß mit den Worten: „Sie ersehen daraus, wie ich nur durch reinen Zufall auf dieses meiner eigentlichen Neigung so ganz fernliegende Sujet gekommen bin. Sie sehen, daß ich dieses mein erstes Narrenhaus nur nothgedrungen zu meiner Genesung gemalt habe, und können sich kaum vorstellen, wie schwer es mir geworden ist. Durch dieses erste habe ich mich von einer geistigen Krankheit, die mich zu umdüstern drohte, geheilt. Wenn ich ein zweites malte, würde ich verrückt und selbst für das Tollhaus reif. Indessen bin ich Ihnen aufrichtig dankbar für den warmen Antheil, den Sie an meiner Künstler-Zukunft nehmen; ich bitte, daß Sie mir denselben gütigst bewahren und mir nach einer andern Richtung hin bethätigen. Die eigentliche Lebensaufgabe, die ich mir gestellt habe, ist die des Historienmalers. Haben Sie die Güte, mir irgend einen geschichtlichen Stoff zur Bearbeitung anzuweisen. Ich werde Alles aufbieten, um die Aufgabe zu Ihrer Zufriedenheit zu lösen. Ihren gütigen Aufträgen erwartungsvoll entgegensehend zeichne ich voll wahrer Verehrung“ etc.

Daraus erhielt ich umgehend etwa folgende Antwort: „Schuster, bleib bei Deinem Leisten! So rufe ich Ihnen, lieber Kaulbach, mit dem Volkssprüchwort zu. Durch Ihr Talent sind Sie nun einmal auf die Narren angewiesen. Mit vernünftigen Menschen werden Sie in Ihren Kunstleistungen nie Glück machen. Ich bleibe bei meiner Forderung. Malen Sie mir 25 Narrenhäuser, und Ihr Künstlerruf soll gesichert sein für ewige Zeiten. In der Hoffnung, daß Sie selbst einsehn werden, was zu Ihrem wahren Besten dient, zeichne ich hochachtungsvoll“ etc.

„Ich bin des trocknen Tons nun satt!“ so sagte ich zu mir selbst, als ich diese fast anzüglichen Zeilen gelesen hatte, und schrieb flugs folgende Antwort: „Mein Hochverehrtester! Sie haben mich vollkommen überzeugt und eines Bessern belehrt. Ich glaube nun selbst an mein Narrenhaustalent und bin bereit, Ihr Verlangen zu erfüllen. Unser deutsches Vaterland ist ja doch groß und hat, wie an so manchem Andern, gewiß auch Ueberfluß an Narren. Wie sich einst Diogenes mit der Laterne aufmachte, um Menschen zu suchen, so werde ich mich aufmachen, um Narren zu suchen. Und beim Zeus! ich hoffe glücklicher zu sein als der Weise von Sinope. Hoffentlich werde ich in Kürze so viel Tollhäusler aufgebracht haben, um zwei Dutzend Narrenhäuser damit vollkommen zu bevölkern, die Ihnen, sobald sie fertig sind, sogleich zugehn sollen.

Nur eine Bedingung stelle ich, mein hochverehrtester Chef. Zu dem 25sten Narrenhaus müssen Sie mir erlauben Ihre Kunst-Anstalt zu nehmen und abzuconterfeien! Genehmigen Sie die Versicherung meiner ausgezeichneten Hochachtung“ etc.

Darauf habe ich keine Rückantwort erhalten, unsere Correspondenz ward für immer abgebrochen. Zum Glück hat sich das Prognostikon, welches mir jener außerdem höchst verdiente Chef gestellt hatte, nicht erfüllt. Ich habe mit vernünftigen Menschen ja doch noch so passabel Glück gemacht.“

Dieses humoristische Codicill hatte allgemeine Heiterkeit verbreitet, die noch lange in der Gesellschaft nachklang. Ehe man auseinanderging, spielte der Maler den Carneval von Venedig in reizender Weise auf der Schlagcither, und die Becher, des edeln Schaumweins voll, klangen gar lustiglich dazwischen. Dann schied man in heiterster Stimmung aus fröhliches Wiedersehn!

M.



  1. Dieses originelle musikalische Instrument besteht aus einem krummen Ast, über den eine Saite gespannt ist, dazwischen eine Schweinsblase als Resonanzboden, und wird mit einem Bogen gestrichen.
  2. Man sieht sie auf dem Bilde abgesondert von den übrigen, einen großen Theil des Kopfes verhüllt, wie auf nichts Gutes sinnend, im Hintergründe schleichend.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 688. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_688.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)