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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

Damen, unter welchen die Frau des Hauses in liebenswürdigster Weise die Honneurs macht.

Das Gespräch dreht sich in verschiedenen Gruppen in buntester Weise um Tagesfragen; für mich hatte unter den Anwesenden General Klapka das meiste Interesse. Wir tauschten die Erinnerungen an unsere Jugendzeit aus; noch immer stand der bildschöne junge Officier der ungarischen Garde, ein Stammgast des Josephstädter Theaters in Wien, an dem ich damals meine ersten künstlerischen Erfolge erntete, lebhaft vor mir; er hatte noch die Titel aller Stücke, die damals an der Tagesordnung gewesen, im frischen Andenken, ebenso die Namen aller Künstler und – Künstlerinnen, welch’ letzteren die glänzende Erscheinung des prächtigen „Gardisten“ theilweise sehr gefährlich geworden war. Es machte mir unbeschreibliche Freude, als mir General Klapka jetzt, nach 26 Jahren, noch Details aus meiner damaligen Carriere mittheilte, welche mir bewiesen, daß er mir doch noch ein Plätzchen in seinem Gedächtniß aufbewahrt hatte, aus welchem selbst sein reichbewegtes, glänzendes Schlachtenleben mich nicht hatte verdrängen können. Klapka, der sich von Politik gänzlich zurückgezogen und, wie gesagt, als einer der Directoren der Bank of Switzerland größtentheils in Genf lebt, ist noch jetzt einer der schönsten Männer seiner Zeit, namentlich übt der Glanz seiner prachtvollen, tiefdunklen Augen einen magnetischen Eindruck aus.

Horch! die Zaubergeige des Ungars Joachim ertönt! Alles rückt näher an den Meister, aus dem Bibliothekzimmer zieht der Wunderklang die dort Weilenden in den Salon, festgebannt in theilnehmenden Gruppen. Der Ungar spielt vor seinen verbannten Landsleuten heimische Volksmelodien. Man muß diese ungarischen Weisen von Joachim, der, wie Keiner, seine ganze Seele in sein Instrument zu legen versteht, gehört haben, man muß diese tiefe Wehmuth, diese heiße Sehnsucht, dies wilde Jauchzen der Töne von Joachim selbst vernommen haben, um den gewaltigen Eindruck zu begreifen, den diese vaterländische Musik auf die Ungarn hervorbrachte. Je nach dem Temperament der Anwesenden äußerte sich die Empfindung der Zuhörer in verschiedener Weise. Der sinnige Klapka saß, den Kopf in die hohle Hand gestützt, vor sich hinstarrend in einer Ecke des Sophas, das dunkle Auge schien durch einen Thränenschleier zu schwimmen, andere summten die wohlbekannten Nationalmelodien unwillkürlich mit oder drückten sich unbewußter die verschlungenen Hände, während der heißblütige Kenneth den Virtuosen stürmisch an die Brust drückte, mit Küssen bedeckte, in welche sich warme Tropfen mischten, die dem Auge entrollten. Immer wieder und wieder mußte der Künstler dem stürmischen Verlangen nach Wiederholung genügen, und immer ertönte dem Landsmann ein schallendes „Eljen“ entgegen. Es dauerte lange Zeit, ehe der Strom der Unterhaltung wieder in sein ruhiges Bett sich abdämmte und Einer der Anwesenden einige ergötzliche Anekdoten aus der Heimath zum Besten geben konnte.

Nach Beendigung der ungarischen Revolution und der Rückkehr zur alten Ordnung bereiste eine hochgestellte Person die verschiedenen ungarischen Provinzen, um sich von dem jetzigen Zustande der Dinge aus eigener Anschauung zu überzeugen. Er kam auch in eine ungarische Stadt, die sich früher, sowohl im Civil als Militär, durch ihre antiösterreichische widerspenstige Gesinnung ausgezeichnet hatte. Eine Abtheilung Husaren empfing den hohen Herrn mit lautem „Vivat“-Ruf. Dieser frug den Commandeur: „Sagen Sie mir, Herr Obrist, warum lassen Sie die Leute nicht in ihrer Landessprache rufen, warum „Vivat“ und nicht „Eljen“?“

„Entschuldigen Hoheit,“ antwortete der verlegene Officier, „wenn ich die Kerle „Eljen“ rufen lasse, dann habe ich sie nicht mehr in meiner Gewalt, denn dann rufen sie Alle „Eljen Kossuth!““

Die Rede kam auch auf Naturwissenschaften und namentlich auf den thierischen Magnetismus und dessen geheimnißvolle Wunder. Der deutsche General ***, einer der gebildetsten Militärs im ***Lande, früher ein intimer Freund Alexander’s von Humboldt, erzählte seine Begegnisse mit dem Magnetiseur Professor Laurent aus Paris, der mit einer Somnambüle, Dlle. Prudence, in Frankreich, Belgien und zuletzt in Ostende Experimente ausführte, die kein Verstand des Verständigen begreifen konnte. In Frankfurt am Main wurde ihm die Erlaubniß verweigert, mit dem zum Schatten abgemagerten Wesen für Geld öffentlich Schaustellungen zu geben; wie recht die Behörde gehandelt, bewies der bald darauf erfolgte Tod der Dlle. Prudence. General *** erzählte unter Anderem, daß die Hellseherin seine und seiner Freunde Gedanken errathen und von ihrem Magnetiseur gezwungen wurde, in somnambülem Zustand Handlungen auszuführen, die irgend einer der Anwesenden auf ein Blatt Papier geschrieben hatte. So z. B. wurde vor sie hin, die auf einer mäßig erhöhten Tribüne vor den Zuschauern saß, ein Tischchen mit einem leeren Glas gestellt. Laurent bat den General, auf ein Blatt Papier die Namen der Flüssigkeiten zu schreiben, welche Dlle. Prudence in ihrem Zustande zu trinken glauben solle; dieser schrieb die Worte „Champagner“, später „Blut“, und behielt den Zettel bei sich. Nun forderte Laurent den General auf, ihm die Hände zu reichen, das Geschriebene fest in Gedanken zu behalten, ehe er sich mit der Seherin in geistigen Rapport setze. Auf den Befehl zu trinken, nahm sie das leere Glas, setzte es anfangs mit allen Zeichen des Behagens an die Lippen, plötzlich stieß sie einen schrillen Laut des Entsetzens aus und schleuderte das Trinkgefäß mit den Zeichen des höchsten Abscheus von sich.

Eine der hochgestelltesten Personen in Deutschland flüstert auf die Aufforderung des Professors, eine Blume zu denken, dem General das Wort Veilchen in’s Ohr, widerruft aber und sagt: „ich will lieber die Rose wählen.“ Da lispelt die Somnambule behaglich: „welch’ ein schöner Geruch von Rosen und Veilchen!“

Wenn man auch allgemein überzeugt war, daß Laurent ein feiner Betrüger, die Prudence eine in seinem Solde stehende treffliche Schauspielerin war, so hat doch keine der zahllosen wissenschaftlichen Autoritäten, die jenen Vorstellungen beiwohnten, je die Art und Weise ergründen können, in welcher die Betrügereien bewerkstelligt wurden, und welche von der Prudence mit dem Leben bezahlt wurde.

Ich gebe Ihnen, schloß der würdige General seine anregende Erzählung, noch einen Vorfall zum Besten, den ich aus dem Munde meines Königs habe. Ich wiederhole das mir Mitgetheilte ohne Nebenbemerkung, ohne Commentar und erwähne blos, daß die Persönlichkeit der handelnden Personen die Annahme eines Scherzes im höchsten Grade unwahrscheinlich macht.

Der Erzbischof von Upsala besuchte auf einer Reise durch Deutschland auch unsern königlichen Hof und hatte die Ehre, von Sr. Majestät zur Tafel gezogen zu werden. Bald kam die Rede auf den maßlosen Abglauben, der jetzt noch in den Lappmarken herrsche, wo noch der Glaube an Zauberer und erbliche unheimliche Künste in manchen Familien bis zur Stunde fest wurzelt. Der Erzbischof selbst war vor mehreren Jahren von der höchsten Landesbehörde an der Spitze einer Commission dahin gesandt worden, um dieses wüste irreligiöse Treiben mit Ernst und Strenge zu untersuchen und auszurotten. Ein Arzt und ein höherer Beamter waren dem Priester zu dieser Mission beigegeben worden.

„Bei dem Mangel an Verkehrsmitteln,“ fuhr der Erzbischof in seiner Erzählung fort, „war unsere Reise ebenso lang als beschwerlich. Der Zweck derselben war nur uns bekannt, und wir nahmen, diesen in ein tiefes Geheimniß hüllend, für unsere Wohnung die Gastfreundschaft eines reichen Mannes in Anspruch, der in dem unheimlichen Rufe stand, über finstere Zaubermittel gebieten zu können. Zu unserer Verwunderung deutete nichts im Aeußeren oder im Haushalt desselben darauf hin, diesen Ruf zu begründen. Mit der gewohnten Gastlichkeit der Lappmarken wurden uns von dem Wirth des Hauses, einem offen aussehenden behäbigen Manne, die besten Zimmer eingeräumt und Alles, was Küche und Keller vermochte, aufgeboten, die Gäste zu ehren. Zu unserem Erstaunen machte aber weder unser Gastgeber, noch irgend ein anderer Mensch im Orte ein Hehl daraus, daß Peter Lärdal – so hieß der Mann – im Besitze übernatürlicher Kräfte, ja geradezu ein „Zauberer“ sei. Am dritten Tage, als wir gemüthlich am Frühstückstische beisammen saßen, brachte ich unter dem Vorwande der Neugierde das Gespräch auf das Thema und frug Lärdal, ob es ihm nicht unangenehm sei, in solchem Rufe zu stehen. Ein feines Lächeln glitt über die Züge des Mannes: „Was nützt es denn, hochwürdigster Herr Erzbischof, daß Sie mir den Zweck Ihrer Frage verbergen wollen? Sie und diese Herren sind ja doch nur deshalb da, um die Wahrheit dieses Rufes zu ergründen und mich zur Verantwortung zu ziehen.“ „Nun denn,“ entgegnete ich energisch, „wenn Ihr es schon wißt, ja, wir sind hier, um diesen Aberglauben zu zerstören und diesem Unsinn ein Ende zu machen.“

„Das mögen Sie halten, wie Sie wollen und können, aber Unsinn, lieber Herr, Unsinn ist die Sache nicht,“ antwortete Lärdal mit leichtem Kopfschütteln.

„Was wollen Sie damit sagen?“ antwortete ich in strengem Tone.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 681. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_681.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)