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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

Die eiserne Jungfer.

Mit Abbildungen.


In keiner Sache hat sich leider der menschliche Verstand fruchtbarer an Erfindungen gezeigt, als bei der Zusammensetzung und Anwendung von Maschinen, den Nebenmenschen zu martern, ihn durch quälende Eindrücke zu Geständnissen, oft den ungereimtesten, zu zwingen. Man schaudert, wenn man die Menge verschiedener peinlicher Werkzeuge betrachtet. Von allen diesen Dingen hatte das Publicum Kunde, sie gehörten zum Gerichtswesen, – nur die sogenannte eiserne Jungfer blieb in der Nacht geheimer Kerker verborgen, und Niemand als der Verurtheilte und dessen Henker wohnten dem grausamen Verfahren bei. Es war natürlich, daß sich über ein so verborgenes Ding allerlei Vermuthungen bildeten. Nach den verbreitetsten Annahmen sollte die Jungfer aus einer der Frauengestalt nachgeformten Figur bestehen, welche das Schlachtopfer umarmen mußte. Kaum war diese Umarmung geschehen, so öffnete der weibliche Unhold seine mit furchtbaren Messern bewaffneten Arme, zerschnitt den Verurtheilten, und durch plötzliches Oeffnen einer vor der Figur befindlichen Klappe sanken die zerfetzten Körpertheile in das unter dem Kerker dahinströmende Wasser, welches jede Erinnerung, jeden Beweis vernichtete. Die Execution ward durch eine Maschinerie bewirkt, welche der Verurtheilte, indem er auf die Jungfer zutrat, selbst durch den Druck einer im Fußboden befindlichen Feder in Bewegung setzte. – Abgesehen von den verschiedenen Unwahrscheinlichsten in Betreff des Wassers, der genauen Ausübung der Execution durch eine Maschine etc., bleibt es immer fraglich, wozu die Richter mit einem zum Tode Verurtheilten so viele Umstände gemacht haben, da sie doch in weit kürzerer Weise ihren Zweck erreichen konnten; außerdem aber findet sich die ganze Tödtungs- oder Peinigungs-Art in keinem deutschen Criminal-Werke, während alle anderen Torturen in den Gerichts-Ordnungen enthalten sind.

Es sind nun aber viele jener entsetzlichen Werkzeuge unbekannt geblieben, und namentlich ist die „eiserne Jungfer“ unstreitig nur mit großer Vorsicht, umgeben von dem Schleier des tiefsten Geheimnisses, angewendet worden. – Es ist übrigens merkwürdig, daß kein Land unserm Vaterlande den Ruhm streitig zu machen sucht, die gräßliche Maschine einzig und allein benutzt zu haben. Alle Andeutungen über eine „Mater dolorosa“ in Spanien, eine „Maiden“ in Schottland und dergl. sind ohne sichern Anhaltspunkt, und das in England fungirende Strafinstrument, „des Gassenkehrers Tochter“, mit welchem der berüchtigte Guy Fawkes gemartert wurde, ist ganz anderer Beschaffenheit. Unter den Alterthumsforschern Deutschlands hatte Niemand der Sache Aufmerksamkeit geschenkt. Erst im Jahre 1832 kamen Aufklärungen über den jedenfalls für die Culturgeschichte des Mittelalters interessanten Gegenstand. Ein Engländer, Tearfall, bereiste Deutschland in der Absicht, die „eiserne Jungfer“ aufzufinden. Es sieht das ganz englisch aus, und die Beharrlichkeit des Mr. Tearfall brachte ihn endlich auch zum gewünschten Ziele.[1] Er durchforschte zuerst sämmtliche Orte am Rhein, in denen eine „Jungfer“ gestanden haben sollte. Man bezeichnete Mainz und das Schloß Königstein bei Frankfurt a. M. als ehemalige Standpunkte des Werkzeuges. Tearfall fand nichts mehr vor. Er ging nach Salzburg, woselbst eine Stelle in der Folterkammer des Schlosses gezeigt wird, an welcher sehr wohl eine Maschine gleich der gesuchten stehen konnte. Tearfall fand räthselhafte Klappen, unter denselben eine Kammer, alles Dinge, die man heute noch daselbst sieht, aber kein Exemplar der Maschine. Er holte Erkundigungen aus Schwerin, Ambras, Prag und Berlin ein, bereiste verschiedene Städte, entdeckte aber nirgends den gesuchten Gegenstand. Endlich fand er, wenn auch nicht das Bild selbst, doch einigen Anhalt in Nürnberg. Im Jahre 1792 gab ein Doctor C. Siebenkees, Professor der Rechte, „Materialien zur Nürnbergischen Geschichte“ heraus. Es heißt darinnen: „A. 1533 ist die eiserne Jungfer für die Maleficanten an der Fröschthurmmauer gegen die 7 Zeilen aufgerichtet worden, so man öffentlich zu justisiciren angestanden, und das heist man: „die armen Sünder nach Fischen schicken“, denn darinnen ein eisern Bildniß, 7 Schuh hoch, welches beede Arme gegen den Maleficanten ausbreitet. Sobald der Henker den Tritt davon berührt, haut es mit breiten Handsäbeln zu Stücken, welche Stücke die Fisch in verborgenen Wassern schlucken.“ Siebenkees bezweifelt indessen die Wahrheit der Sache. Es ist aber doch so, wie er oben angeführt. Es sei hier gleich bemerkt, daß die in den Materialien erwähnte Jungfer dieselbe ist, welche heute wieder in dem unterirdischen Kerker steht; da wir sie unten näher beschreiben wollen, so sei zunächst nur ihrer Schicksale gedacht.

Tearfall fand sie nicht vor. Er untersuchte die Marterkammern des Rathhauses – umsonst. Von dem Archivare der Stadt, Dr. Mayer, erfuhr er aber, daß die Jungfer wirklich an der von Siebenkees angeführten Stelle gestanden habe. Er (Mayer) habe selbst noch einige Stücke der dazu gehörigen Maschinerie gesehen, die Figur sei aber verschwunden. Seiner Ansicht nach habe dieselbe auf einer Fallklappe gestanden, den Körper des Verurtheilten zerschnitten, und die Stücke seien dann in ein darunter hinfließendes Wasser gefallen. Indessen könne er keine genaue Beschreibung der Operation geben. Tearfall besuchte auch den Ort, wo die Jungfer gestanden haben sollte; er fand, wie immer, nichts.

Der trostlose Engländer eilte nun nach Wien; er hoffte Ruhe zu finden, die „eiserne Jungfer“ war auch für ihn ein Marterwerkzeug geworden. Ein Führer hatte ihm in Nürnberg erzählt, daß drei Tage nach dem Einrücken der Franzosen in Nürnberg die eiserne Jungfer nebst anderen Marterwerkzeugen fortgeschafft und nach Oesterreich gekommen sei. In Wien hörte er, daß allerdings auch hier ein solches Instrument gestanden habe, doch fände sich keine Spur davon. – Endlich sollte in Wien dem unermüdlichen Tearfall der Lohn werden. Er erfuhr, daß ein vollständiges Exemplar der eisernen Jungfer sich in der Sammlung des Barons von Dietrich auf dem Schlosse zu Feistritz befinde. Dahin eilte Tearfall und war so glücklich, die lang Gesuchte zu finden. Der Baron von Dietrich, allen Freunden des Alterthums bekannt, hat eine berühmte Waffensammlung. Unter vielen Raritäten besaß er auch ein Exemplar der eisernen Jungfer. Offenbar war es dasselbe, welches ehemals in Nürnberg gestanden hatte. Nach den Erzählungen des Besitzers hatte er es von einem Manne gekauft, der es aus Nürnberg, während der französischen Besetzung, mit verschiedenen andern Dingen erhalten haben wollte. Soviel über Tearfall und seine Forschungen.

In neuerer Zeit hat in Nürnberg der verdienstvolle Herr

Dr. Geuder, der eine sehr interessante Sammlung von mittelalterlichen und neueren Rechtsalterthümern in einem Gemache der Burg zusammengestellt hat, auch das Exemplar der eisernen Jungfrau wieder für Nürnberg gewonnen und dasselbe an dem schon Tearfall bezeichneten und von ihm durchsuchten Orte aufstellen lassen. Ob die Figur dieselbe, wie die früher im Besitze des Barons von Dietrich gewesene sei, konnte Schreiber dieses nicht ermitteln, doch wurde ihm gesagt, daß die Figur in Oesterreich gekauft worden sei. Kommen wir nun zur Besichtigung des Ortes und der Figur selbst, woran sich dann einige Ansichten reihen mögen. Die Straße in Nürnberg, die „sieben Zeilen“ genannt, wird von der alten Stadtmauer begrenzt. Dicht neben dem jetzt neuerbauten Thore, Max-Thor genannt, findet sich ein mit starkem Gitterwerk verschlossener Eingang, welcher in die Tiefe hinab und auf einer dreißig Stufen zählenden Steintreppe in das Innere der casemattirten Bastions-Mauer führt. Die Führerin hat dem Besucher schon vorher Lichter angezündet und geleitet ihn in einen rechts unter der Mauer entlang führenden schmalen Gang, welcher in verschiedene Kammern getheilt ist, die ihr Licht durch runde, in der Wölbung befindliche Löcher erhalten. Jede dieser Kammern beherbergt eines der größeren Folterwerkzeuge, z. B. die schlimme Lisel, einen Panzer, einen Stachelstuhl, eine Streckleiter, eine Wiege etc. Die oben befindlichen Löcher der Wölbungen rühren augenscheinlich von früher dort über dem Gange angebrachten Gemächern her, welche sich wohl im Innern des nun abgebrochenen Fröschthurmes befanden. Sie dienten zum Hinunterlassen des Gefangenen, auch wurden wohl durch jene Oeffnungen die Resultate des peinlichen Verfahrens den oben sitzenden Richtern zugerufen. Am Ende dieses ersten Ganges befindet sich nun, genau im rechten Winkel zusammenstoßend, ein zweiter schmälerer Gang, der theilweis in den Fels gehauen erscheint. Man empfindet

  1. Tearfall übergab die Resultate seiner Forschungen der Society of Antiquaries zu London. Sie finden sich in dem Bericht der von der Gesellschaft herausgegebenen Archaeologia or micellanous tracts related to Antiquity, Vol. 27 London 1838. 4°. unter dem Titel: The kiss of the virgin (der Jungfernkuß).
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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 678. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_678.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)