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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

Von den drei erwähnten Schlachthaufen waren unterdessen die beiden Linienbataillone zu einer veränderten Bestimmung abberufen worden, nur die Königsberger Landwehr hielt noch ganz vereinzelt unter den mittlerweile den kämpfenden Truppen nachgerückten und jetzt den ganzen weiten Platz erfüllenden schwedischen und russischen Regimentern. Von den 450 Mann des Bataillons hatten kaum 100 sich um den heldenmüthigen Führer wieder zusammengefunden, und jeder Einzelne der tapferen Schaar trug in dem pulvergeschwärzten Antlitz und den Kugelspuren an Waffen und Kleidern die Zeichen des heißen Kampfes, aus welchem dieselbe so ruhmvoll hervorgegangen war. Der Contrast dieses Häufleins, in seinen längst aus allen Näthen gewichenen, kurzen Röcken und den der vorgerückten Jahreszeit spottenden Leinenhosen, mit den in Parade einmarschirten Schweden und Russen vermochte allerdings unmöglich größer gedacht zu werden; indeß die ruhmvollen Namen Großbeeren, Dennewitz, Leipzig verknüpften sich mit diesen unscheinbaren Volkskriegern, ein Vergleich mit ihren glänzenden, aber noch wenig erprobten Nachbarn konnte jedenfalls nur zu ihren Gunsten ausschlagen.

Officiere und Ordonnanzen jagten vorüber, die Führer der einzelnen verbündeten Corps, jeder von einem zahlreichen Gefolge begleitet, versammelten sich allmählich an dieser Stelle, um dem erwarteten Einzuge ihrer Monarchen beizuwohnen. Endlose Züge von Gefangenen bewegten sich über die Esplanade den Vorstädten zu. Von allen Thürmen erklang das erhebende Geläut der Glocken. Ein allgemeiner Freudentaumel schien alle diese Tausende ergriffen zu haben.

Da, noch inmitten dieser stolzen Siegeslust, traf der Befehl bei dem Königsberger Bataillon ein, vor die Stadt zu dem dort im Rückhalt verbliebenen Theil des Bülow’schen Corps zurückzukehren und mit demselben das Bivouac zu beziehen. Um vorauf in den Tod zu gehen, war die Landwehr gut gewesen, der triumphirende Einzug im Gefolge der verbündeten Herrscher blieb den für den Kampf sorgfältig geschonten Garden vorbehalten. Doch es war nicht diese kränkende Zurücksetzung allein, was an diesem Tage deutungsvoll die kommenden Dinge vorherverkündete. Der Umstand, daß von den sämmtlichen preußischen Landwehrbataillonen nur dies eine Bataillon und dies noch dazu unter so besonders schwierigen Umständen mit zu der Erstürmung von Leipzig herangezogen worden war, blieb schwerlich aus dem Streben der einzelnen Corps- und Brigadebefehlshaber allein zu erklären, den Linientruppen, aus welchen sie selbst hervorgegangen, den Ruhm dieser That und die von derselben zu hoffenden Trophäen zuzuwenden. Mit dem 18. October konnte das endliche Unterliegen Napoleon’s für so gut als besiegelt angesehen werden, und es bedurfte zu seiner vollen Niederwerfung nicht mehr so unbedingt der zu seiner Bewältigung in den Landwehren und Freiwilligen aufgebotenen eigensten und unmittelbarsten Volkskraft. Es blieb nur noch zu sorgen, daß diese dem Zeughause der Revolution entlehnte Waffe nicht denen, welchen sie durch die Gewalt der Umstände in die Hand gezwungen war, vielleicht einst selber gefährlich werde, und die alte, jetzt von der Furcht vor jenem ihrem gewaltigsten Widersacher befreite Cabinetspolitik dachte deshalb bereits auch daran, den unter dem Gebot der Noth entfesselten Volksriesen allmählich wieder in die alten Netze einzuspinnen. Unter dem Siegesjubel von Leipzig selbst wurden dazu die ersten Fäden gewoben.[1]


  1. Das Bild zu diesem Artikel ist einem Werke entnommen, von dem wir in Nr. 46, Jahrg. 1861 der Gartenlaube schon den großen Holzschnitt „Die Schlacht bei Dennewitz“ mitgetheilt haben, nämlich der unseren Lesern von uns bereits empfohlenen „Geschichte der deutschen Freiheitskämpfe. In Bildern von G. Bleibtreu und L. Pietsch,“ auf deren Veröffentlichung der Verleger (Franz Duncker) das Publicum fast zu lange warten läßt.
    D. Red.




Lesen und Vorlesen.

In diesen geschätzten Blättern erfreuen den Leser fortwährend die gediegensten Aufsätze hinsichtlich der physischen Pflege des Körpers und zwar mit besonderer Bezugnahme auf die Entwicklung des jugendlichen Organismus. Es sei uns vergönnt, diesen Ermahnungen und Rathschlägen, insofern sie sich speciell auf die weibliche Jugend beziehen, einige Worte hinzuzufügen, welche eine Seite des geistigen Lebens der weiblichen Kindheit in Betrachtung ziehen möchten, die nur zu häufig vernachlässigt wird. – Der Physiologe hat bei seinen Rathschlägen über vernunftgemäße Entwicklung des Körpers doch wohl vornehmlich das wichtigere Resultat im Auge, es möge sich in dem gesunden Körper auch ein gesunder, kräftiger Geist entwickeln, ja, er betrachtet gewiß das Letztere als die eigentliche Erfüllung und den Lohn für die Sorgfalt, die dem Ersteren zu Theil wird.

Nun möchten wir aber in aller Bescheidenheit hier daran erinnern, daß es dazu mit dem Turnen, kalten Waschen und Spazierengehen lange nicht allein gethan ist. Diese praktischen Bedingungen bei ihren Töchtern zu erfüllen, dazu zeigen sich die meisten Mütter willfährig genug, und viele setzen eine Art von Stolz hinein, ihre kräftigen, wohlgenährten Töchter zu produciren. Man befolgt gewissenhaft die Vorschriften des Lehrers der Gymnastik, die jungen Mädchen gehen bei Wind und Wetter spazieren, sie tragen Hals und Arme im Winter und Sommer entblößt, und zarten Constitutionen wird mit Eiern, kräftigen Fleischspeisen und nahrhaften Brühen bestens nachgeholfen. Wir tadeln dies gewiß nicht, aber wenn man dann auch nur die Seele gleichfalls so sorgfältig hüten, den Geist so kräftig zu ernähren trachten wollte. – Wenn sich unsere blonden und braunen Thusnelden, die künftigen Mütter einer starken Generation, physisch gut entwickeln, so dürfen wir gewiß einmal fragen, ob sie auch so gesund, klar und wahr denken, empfinden und reden, als ihr Aeußeres zu versprechen scheint. Wohnt in dem gesunden Körper auch wirklich die gesunde, freie Seele?

Wenn dem immer so wäre, woher kämen denn stets noch die vielen krankhaft gereizten, hysterischen Frauennaturen, woher so viel Verschrobenheit und Phantasterei, wo man mit Recht gesunde Vernunft, eine frische Lebensauffassung und vor allen Dingen nicht bis in ein respectables Alter das ewige Schmachten und Sehnen, das unbefriedigte Zagen und Bangen einer schwächlichen Seele zu finden erwarten dürfte? Uns über alle Mängel in der geistigen Pflege der Psyche zu verbreiten, würde hier viel zu weit führen, nur einen Wurm möchten wir einmal öffentlich bekämpfen, der gefährlich genug über diese frischen Blüthen hinkriecht, und sie oft schon mit sich und dem Leben entzweit, ehe sie nur noch dessen Ernst kennen gelernt haben, der sie Anforderungen und Ansprüche an das gewöhnliche Menschenloos stellen läßt, welchen dieses nur in den seltensten Fällen entspricht, und der endlich den Schmelz reiner und keuscher Weiblichkeit viel öfter, als man es denkt, bereits in der Knospe erstickt. Dieser Wurm ist die verfrühte und wahllose Lectüre von Büchern, die, oft für Erwachsene noch zu schlecht und verderblich, in der Hand der Jugend und des Kindes geradezu Gift sind.

Es ist eine merkwürdige, aber thatsächliche Erscheinung, daß oft die nämlichen Eltern, welche auf die physische Pflege ihrer Tochter jede erdenkliche Sorgfalt verwenden, sich um deren geistige und gemüthliche Entfaltung kaum bekümmern. Wenn sie nur hübsch und gesund ist, wenn ihre äußere Erscheinung ihr nur bald zu einer guten Partie verhilft, dann mag es um das Innere bestellt sein, wie es wolle. – Man sehe sich in seinem eigenen Bekanntenkreise um, man erinnere sich an die frühere Geschichte so mancher Jugendfreundin, und man wird es ganz natürlich finden, daß nur zu häufig diese kräftigen Knospen trotz ihres frischen Aussehens schon innerlich angesteckt und verkrüppelt sind, ehe sie nur in das Leben hinaustreten. Unendlich wenig Mütter kümmern sich darum, wie ihre heranwachsenden Töchter ihre freie Zeit ausfüllen. Wenn die Kleine nur ihre Schularbeiten gemacht, tüchtig geturnt und Clavier gespielt, vielleicht auch im günstigen Fall eine Aufgabe an einer Handarbeit vollendet hat, dann mag sie thun, was sie will. Nur zu oft bedient das Mädchen sich dann seiner Freiheit, um sich von dem Toiletten- oder Schreibtisch der Mama den ersten besten Roman zu holen, sich damit in eine entfernte Ecke zurückzuziehen und dessen Inhalt mit großem Wohlbehagen zu verschlingen.

Die Kinder sind darum nicht zu tadeln, es ist ein großes Vergnügen für ein gewecktes, phantasievolles Mädchen, sich in diese poetische Welt voll ungekanntem Schmerz und leise geahntem Glück hinein zu leben und hinein zu dämmern, aber leider genießen es nur die Wenigsten ungestraft. Dennoch ist es eine schwere, oft verzweifelte Aufgabe der Eltern, das Schädliche dieser Lectüre klar zu machen; selbst ganz gescheidte Leute sind in dieser Beziehung unzugänglich. Es ist ihnen zu unbequem, sich fortlaufend darum zu bekümmern, was ihr Kind treibt, und so mögen sie es nicht begreifen,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 654. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_654.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)