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können. Doch so lange er von New-York aus nicht gedrängt wird, möchte Alles gut gehen. Erschüttert man dort aber seinen Credit, so muß die Boutique zusammenbrechen. Ich habe ihm erst neulich Milwaukie-Prairie du Chien-Bahnactien aufgeschwatzt, so daß er einen großen Theil seiner Baarfonds darin angelegt hat, und Sie wissen so gut wie ich, daß die Compagnie nächstens ein assignment. (Erklärung der Zahlungsunfähigkeit) machen wird. Dazu kostet sein Haushalt viel Geld, seine Frau ist sehr verschwenderisch.“

Sharp, der einige Bemerkungen notirt hatte, nickte beifällig und bemerkte höhnisch: „Ich weiß nicht, woher es kommt, daß ich diesen Hargrave nicht leiden kann. Als ich ihn vor einigen Jahren zum ersten Male sah, faßte ich gleich einen großen Widerwillen gegen ihn. Später hat er mich beleidigt, als er Thompson beredete, mir den fetten Proceß über das Irving’sche Eigenthum aus den Händen zu nehmen; seit der Zeit habe ich ihm Rache geschworen.“

Cox, der schon lange in den Fesseln der koketten und schönen Lucy lag und schon deshalb aus Eifersucht Hargrave zu stürzen suchte, an welchen Plan sich wohl allerhand Hintergedanken knüpften, verfehlte nun nicht, Sharp die allerkleinsten Details aus dem Geschäfte mitzutheilen, um den Hebel zum Ruin seines Principals anzusetzen. Erst in später Abendstunde trennte sich das würdige Paar, nachdem Sharp den Buchhalter gründlich über die Verpflichtungen und die Vortheile eines Agenten von Douglas und Co. instruirt hatte. –

Es dauerte nicht lange, bis allerhand nachtheilige Reden und Gerüchte über Francis Hargrave und sein Geschäft auftauchten; man wollte in Erfahrung gebracht haben, daß er in den kleinen Städten, welche sich damals am obern Mississippi entwickelten, zu viel Credit gegeben und dadurch bedeutende Summen verloren habe. Die Geschäftsnachbarn steckten die Köpfe zusammen und grüßten ihn nicht mehr so freundlich wie früher; ebenso verdrießlich war es für ihn, daß er gegen alle Erwartung durchfiel, als er sich zur Aufnahme in die Freimaurerloge gemeldet hatte. Hin und wieder gingen ihm anonyme Warnungen gegen seinen Buchhalter zu; indessen der Kaufmann, obgleich er im Geheimen eine gewisse instinctmäßige Abneigung gegen Mr. Cox hatte, dachte nicht daran, denselben zu verabschieden, weil er aus Grundsatz solche anonyme Briefe mißachtete. Außerdem, wie hätte er gerade jetzt, wo sich so viele unangenehme Verwickelungen einstellten, denselben entlassen können, da er ohne Cox’s Hülfe keinen klaren Ueberblick, der doch augenblicklich so nothwendig war, über seine Bücher haben konnte? Eines Tages kam ein alter Freund seiner Familie, der eben vom Osten zurückgekehrt war, zu ihm und sagte ihm im Vertrauen, daß man in New-York und Philadelphia ganz unerwarteter Weise über seine Solvenz ernstliche Zweifel hege. „Ich,“ sagte der alte Mann, „that mein Bestes diese zu bekämpfen. Sie wissen ja, Francis, ich habe es immer gut mit Ihnen gemeint, allein man zuckte die Achseln und meinte, Sie hätten in Wisconsin starke Verluste gehabt und schlechte Eisenbahnactien gekauft.“

Bei diesen Worten erblaßte Hargrave; wie konnte man dort wissen, daß er Milwaukie-Prairie du Chien-Actien gekauft und dabei bedeutend verloren habe? war doch das ganze Geschäft durch einen verschwiegenen Stockbroker (Börsenmäkler) geschlossen worden. Er hatte im Osten auf 3–6 Monate Zeit gekauft und hoffte, daß, da er vielleicht nicht im Stande sein würde, pünktlich auf den Termin die fälligen Noten einzulösen, bei seinem sonst so guten Credite seine Gläubiger keinen Anstand nehmen würden, ihm eine bedeutende Verlängerung der Frist zu gestatten, wie ja das bei sonst guten Häusern so häufig der Fall war. Jetzt sah er sich plötzlich von allen Seiten bedroht, indessen hoffte er durch Aufbietung aller Hülfsmittel und durch Einschränkung seines kostspieligen Haushalts noch den Sturm zu überstehen. Er dankte dem alten Freunde für die freilich sehr unwillkommene Nachricht, gab einige Aufträge im Laden und eilte nach Hause, um seiner Frau die Lage auseinanderzusetzen. Leider fand er dort schlechten Trost; die kokette egoistische Lucy, die wahrscheinlich schon früher von seiner gefährlichen Stellung unterrichtet war, erklärte ihm mit dürren Worten, wenn er nicht mehr im Stande sei, sie wie eine Lady zu erhalten, so werde sie lieber von ihm gehen, ein Scheidungsgrund müsse sich schon finden, und so wolle sie sich denn einstweilen unter den Schutz ihrer Freunde begeben. –

Diese Herzlosigkeit seines Weibes, das offenbar unter einem ihm feindlichen Einflusse stand, brachte bei Hargrave eine Gemüthsstimmung hervor, die ihn vollständig unfähig machte, seine Situation kaltblütig und richtig zu beurtheilen. Er nahm, wie es leider so häufig bei Amerikanern der Fall ist, zum Becher seine Zuflucht und befand sich in fortwährender Aufregung. Daß Mr. Cox diesen Umstand dazu benutzte, um das Geschäft seines Principals erst recht zu ruiniren und dasselbe, wie die Ratten das sinkende Schiff, im Angesicht der bevorstehenden Krisis zu verlassen, kann bei dem intriganten Charakter des Buchhalters nicht auffallen. – Hargrave war in seinem Kummer und bei seiner fast an Verzweiflung grenzenden Mißstimmung so weit gegangen, die Hilfe seiner Freunde zu verschmähen. Als diese sahen, daß Francis sich wirklich in großer Geldverlegenheit befand, daß er nicht im Stande war, Aufschub für seine Verbindlichkeiten im Osten zu erlangen, hatten sie ihm bereitwillig ihre Unterstützung zur Disposition gestellt. Die Amerikaner sind nämlich in dieser Beziehung viel aufopferungsfähiger, als die Deutschen, und dabei weit klüger und politischer. Wenn in Deutschland ein Geschäftsmann Unglück hat, so wird er erst recht untergepflügt und zu Boden getreten, so daß es ihm fast unmöglich gemacht wird, sich wieder hinaufzuarbeiten; in den Vereinigten Staaten ist dem nicht so, im Gegentheil suchen nicht allein die Freunde, sondern auch die Gläubiger dem augenblicklich Zahlungsunfähigen wieder aufzuhelfen. Man mag es Humanität oder Klugheit nennen, jedenfalls ist dem Schuldner dadurch die Gelegenheit gegeben, wieder emporzukommen und die alten Verbindlichkeiten zu erfüllen. So wäre das auch in diesem Falle geschehen, wenn Hargrave, der fast zu gleicher Zeit Frau, Kind und seine Stellung in der Geschäftswelt einbüßte, nicht den Kopf verloren und in seinem maßlosen Kummer oft mehr getrunken hätte, als er vertragen konnte.

(Schluß folgt.)




Der Rosenlaui-Gletscher.

Von E. A. Roßmäßler.

Wenn man Anfangs September – die schönste Reisezeit in der Schweiz – den Auftrag erhält, den Rosenlaui-Gletscher für die „Gartenlaube“ zu beschreiben, und man nicht zu jenen Magiern gehört, welche das Kunststück verstehen, etwas Niegesehenes Andern mit den anschaulichsten Worten zu schildern, wenn man im Gegentheil dabei die Feder in das reale Tintenfaß der glückseligen Erinnerung an den Reinsten der Reinen taucht – glaubt es mir, dann möchte man den Gänsekiel in tragende Schwingen, die moderne Stahlfeder in das moderne Stahlroß verwandelt wünschen, um sich am Orte die rechte Weihe zu holen.

Wie einmal von Norddeutschland her der Reisezug sich gewöhnt hat, ist Meyringen, gewissermaßen als Filial von Interlaken, für die Norddeutschen ein wichtiger Stationspunkt geworden. Im Hintergrunde des Unterhaslethals gelegen, ist gerade Meyringen durch den ausgesprochensten Schweizercharakter seiner Häuser ganz geeignet, sich zu einem Besuch in dem Allerheiligsten der hehren Alpennatur zu sammeln und von hier aus entweder durch das Oberhaslethal nach der Grimsel, oder über Rosenlauibad und große Scheideck nach Grindelwald hinab oder auf die Zinne des Faulhorns emporzusteigen.

Wir sind am thauigen Morgen kaum aus der Thür der behaglichen Pension Hotel des Alpes getreten, so betäubt und bestäubt uns der unterste der sieben hinter und übereinander liegenden Reichenbachfälle. Er ist der Bote des Rosenlaui-Gletschers, der sich über Hals und Kopf auf tiefausgewaschenen Schluchtwegen herabgestürzt hat, um uns mit einem Morgengruße zu seiner krystallnen Gletscherheimath einzuladen. Wir kommen, wir kommen! Noch einen Blick auf die still herabflatternden Silberbänder des Alpenbaches jenseit Meyringen, und wir suchen den steilansteigenden Pfad unter Buchen, umsäumt von den tief himmelblauen Glockenähren der Asklepiaden-Enziane.

Welch toller, tobender Ausgang des kurzen Lebenslaufs des wasserreichen Baches, der kaum drei Stunden weiter aufwärts seinen Lebensfaden aus tausend feinen Gletscherströmchen zusammenspann!

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