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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

schwur den Mördern ihres „Rizzio“ ein Schwur, den sie treulichst erfüllte und der sie dem eigenen Verderben unaufhaltsam entgegenführte!

Daher unsere Hast und Eile, jene Gemächer zu betreten, von denen man uns schon in der Kindheit erzählte, daher unser Herzklopfen je näher wir ihnen kommen, bis der Führer stehen bleibt und mit lauterer Stimme ruft „Queen Mary’s Apartments!

Als Jacob V. nach der schimpflichen und bedeutungsvollen Niederlage bei Solway-moß von der Armee gänzlich verlassen und von seinen Erbfeinden, den Engländern, auf’s Aeußerste gedemüthigt worden war, ergriff ihn Verzweiflung. Es befiel ihn ein Fieber, und er starb am 14. December 1542 im Schlosse zu Falkland in einem Alter von 31 Jahren. Kurz vor seinem Tode vernahm er, daß ihm seine Gemahlin zu Linlithgow eine Tochter geboren habe; er brach dabei, gedenkend, daß die Krone von Schottland durch eine Enkelin von Robert Bruce an das Haus Stuart gekommen sei, mit Trauer in die Worte aus: „durch ein Mädchen ist sie gekommen, durch ein Mädchen wird sie wieder fortgehen!“ – Dieses Mädchen war Maria Stuart, die am 8. December 1542 geboren ward und somit in einem Alter von 6 Tagen zum Throne gelangte.

Von diesem Augenblicke an bildeten sich und traten zwei Parteien einander entgegen, welche sich mit der Person die Erbschaft der Maria Stuart streitig machten und sich, die eine auf Frankreich, die andere auf England stützten. Vor Allem war es englischerseits Heinrich VIII., welcher in einer heftigen, ja drohenden Weise die junge Königin für den Prinzen von Wales begehrte und zu diesem Zweck verlangte, sie möge in ihrem zehnten Jahre zu ihrer ferneren Ausbildung nach England gebracht werden. Die unmittelbare Folge davon war eine Reihe von Zwistigkeiten und blutigen Kämpfen, welche mit der Niederlage der nationalen Partei bei Pinkey endeten, so daß im Verein mit dem Regenten, dem Grafen Arran, die kluge und gewandte Königin Wittwe beschloß, Maria nach Frankreich zu senden und mit dem jungen Dauphin zu verloben. Dieser Vorschlag ward von Frankreich eifrigst angenommen, weil es darin das sicherste Mittel erblickte, durch eine unauflösliche Verbindung England in Schach zu halten. Niemand gewann aber mehr dabei, als der schottische Adel, dem durch die Entfernung der Maria Stuart und ihre Vermählung in einem fremden Lande die wilde Herrschaft erleichtert wurde.

So langte die kaum sechsjährige Maria unterm Schutze einer französischen Flotte und begleitet von ihrem natürlichen Bruder Lord James und vier ihrer Altersgenossen, den sogenannten vier Marien, wohlbehalten im Hafen von Brest an. Sie wurde nach St. Germain gebracht, wo in diesem Augenblicke der Hof residirte und König Heinrich II. sie wie seine Tochter aufnahm und behandelte.

Aus dieser Periode schreibt ein gleichzeitiger Schriftsteller über sie: „Maria Stuart war für ihr Alter sehr gereift. Sie war groß und schön. Ihre Augen verkündeten Geist und strahlten von Glanz. Sie hatte die zierlichsten Hände von der Welt. Ihre Stimme war sanft, ihr ganzes Aeußere edel und graziös, ihre Rede voller Leben, ihr Zauber gewaltig. Schon frühzeitig zeigte sie eine seltene Anmuth, so daß man sie lieben mußte und sie schon in ihrer Kindheit verführerisch fand.“ Sie wurde mit den Töchtern der Katharina von Medicis und unter den Augen der gelehrten Margaretha von Frankreich, Schwester Heinrich’s II., erzogen. Der Hof, in dessen Mitte Maria Stuart aufwuchs, war der prächtigste, geschmackvollste, lebensfroheste, aber nebenbei auch einer der leichtfertigsten von Europa. Hier waren die Frauen fortwährend mit Männern untermischt. „Hier,“ sagt Brantôme, „gab es eine Menge sterblicher Göttinnen, von denen eine immer schöner als die andere war.“ Da sich die Könige Maitressen hielten, so sollten ihre Unterthanen auch welche haben, und die, welche dies nicht thaten, hielten sie für Narren und Dummköpfe. In einer solchen Schule der Feinheit und Verdorbenheit bildete sich Maria Stuart, die zugleich frühzeitig die Gaben ihrer reichen und reizenden Natur durchblicken ließ. In ihrem zehnten Jahre setzte sie bereits durch die Reife ihres Urtheils in Erstaunen, im dreizehnten Jahre war sie schon so verschwiegen, daß sie die vertraulichen politischen Mittheilungen geheim hielt, die sie von ihrer Mutter empfing, und als sie sich ihrem fünfzehnten Jahre näherte, beeilte Heinrich II. ihre Vermählung mit dem Dauphin, welche auch ein Jahr darauf, am 24. April 1558, mit der größten Feierlichkeit in der Kirche Notre-Dame begangen wurde. Heinrich II. vergaß sich bei dieser Gelegenheit in seinem Freudenrausche so weit, die Dauphine das Wappen von England annehmen zu lassen, eine Unklugheit, durch welche er den furchtbaren Kampf zwischen ihr und Elisabeth entzündete.

Das eheliche Glück der jungen Gatten sollte von kurzer Dauer sein, denn schon nach zwei Jahren starb Maria’s Gemahl, der inzwischen als Franz II. König von Frankreich geworden war. Dieser plötzliche Todesfall vernichtete die schönsten Hoffnungen Maria’s. In einem Alter von achtzehn Jahren Wittwe, und Französin seit ihrem zwölften, fühlte sie den ganzen Verlust, den ihr der Tod zugefügt, indem er ihr nicht allein den Gemahl raubte, sondern sie auch von dem Throne Frankreichs herabführte, den nun der berüchtigte Karl IX. bestieg.

In tiefe Verzweiflung versunken, schloß sie sich mehrere Wochen in ihr Zimmer ein, wo sie außer den nächsten Anverwandten Niemand empfing. Mit düsteren Vorahnungen, denn sie liebte Frankreich und hatte ihr altes Vaterland fast vergessen, nahm sie die Aufforderung des schottischen Parlaments entgegen: unverzüglich in’s Königreich zurückzukehren. „Ich habe sie oft,“ sagt Brantôme, „diese Reise fürchten sehen wie den Tod, und sie wünschte hundert Mal lieber in Frankreich als einfache Wittwe zu bleiben, als die Regierung in ihrem wilden Lande übernehmen zu müssen.“

Am 14. August 1561 schiffte sie sich in Calais mit ihren drei Oheimen und vielen Adeligen ein. – Brantôme, der unter der Zahl der Edelleute war, die ihr nach Schottland folgten, hat uns über ihre Abreise eine rührende Erzählung hinterlassen, aus welcher wir Folgendes entnehmen: „Die Galeere war eben aus dem Hafen ausgelaufen, und es hatte sich eine leichte Kühlte erhoben, als man die Segel einzusetzen begann. Sie stützte sich mit beiden Armen auf das Hintertheil der Galeere an der Seite des Steuerruders, vergoß schwere Thränen, warf unausgesetzt ihre schönen Augen auf den Hafen und den Ort, von wo sie ausgefahren, und rief immer die traurigen Worte: Lebewohl, Frankreich, ich werde Dich nie wieder sehen! – bis es Nacht zu werden begann.“

Am Morgen des 19. August lief Maria Stuart im Hafen von Leith ein. Sobald man vernahm, sie sei gelandet, kam man ihr von allen Seiten entgegen, und der Adel empfing sie, um sie in den Palast ihrer Väter nach Edinburgh zu geleiten. Dieser herzliche Empfang rührte sie, ohne sie jedoch zu erheitern. Man hielt ein Pferd für sie bereit, hatte aber für die Damen und Herren ihres Gefolges nur kleine Klepper aus den Gebirgen. Als die Königin sie erblickte, fing sie an zu weinen und beklagte, daß dies nicht der Pomp, die Zurüstungen, die Pracht und die herrlichen Thiere von Frankreich wären. In solch bescheidenem Aufzuge kam sie in dem Palast von Holyrood an.

Am Abend versammelten sich die Bürger von Edinburgh unter ihren Fenstern, ließen sich auf ihren dreisaitigen Violinen hören und sangen Psalmen, um ihre Rückkehr zu feiern und ihre Freude zu bezeigen. Die Gesänge dieses düstern Cultus, der nicht der ihrige war, gesellten sich noch zu den melancholischen Eindrücken, welche Maria Stuart bei der Rückkehr in ein Land empfand, in dem sie sich fremd fühlte, dessen Gebräuche sie nicht angenommen hatte, dessen Glauben sie nicht mehr theilte.

Queen Mary’s Apartments!“ ruft also unser Führer.

Aus den Gemächern Darnley’s, die im erhöhten Erdgeschoß des nordwestlichen Thurms von Holyrood liegen, gelangen wir auf derselben Wendeltreppe, die am 9. März 1566 die Verschworenen überschritten, in die Zimmer der Königin. Es sind deren vier: das Audienzzimmer, das Schlafzimmer, das Ankleide- und Speisezimmer. Das Schlafgemach, noch in seinem Urzustande, diente der Königin zugleich zum Wohnzimmer. Die Wände sind mit Gobelins verziert (darauf der Sturz Phaëthon’s – ein bedeutungsvolles Omen), die Decke mit Emblemen, welche auf die schottischen Monarchen Bezug haben. Das Scharlachbett, welches nach damaliger Sitte fast in der Mitte des Zimmers steht, ist mit grünen Fransen und Quasten versehen und noch ziemlich gut erhalten. Hier schlief Maria als jugendliche Wittwe Franz des Zweiten – dann als Gemahlin Darnley’s und Bothwell’s – zum letzten Male in der Nacht des 5. Juni 1567 (nach der Schlacht von Carberry) – als sie von Lord Ruthven und Lindsay gewaltsam aus demselben gerissen und nach Loch-Leven gebracht wurde, um die königlichen Hallen von Holyrood nie wieder zu sehen. Neben diesem Scharlachbett steht noch der schmucklose Korb, in dem Maria das Kinderzeug für Jacob VI. von Elisabeth erhielt – jene Schatulle

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 630. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_630.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)