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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

No. 40. 1856.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redakteure F. Stolle u. A. Diezmann.

Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.

Blut um Blut
Eine oberbairische Geschichte.
Von Herman Schmid.

Wo die Isar aus dem tiefen Thaleinschnitt, den sie sich auf ihrer Gebirgswanderung gegraben, bei München in die Ebene tritt, kann sie als die Grenze gelten, die das Hochland von dem übrigen Theile Oberbaierns scheidet, in welchem sich, anschließend an die Münchner Hochebene, zuerst tagelange Moosstrecken von Fürstenfeldbruck über Dachau und Schleißheim bis hinunter gegen Freising ausdehnen. Es wird wohl noch Jahrzehnte dauern, bis es der vordringenden Cultur gelingen wird, den Torfgehalt des ehemaligen Seegrundes zu erschöpfen und diesen selbst trocken zu legen – jetzt bietet die weite wellige Ebene, nur von trägen Moosbächen durchschnitten, kaum hie und da von graugrünem Weidengebüsch unterbrochen und noch seltener von einer menschlichen Ansiedelung belebt, einen traurigen, wenn auch nicht unschönen Anblick, dessen braunrothe Farbentöne und duftige Linien, vielleicht an jene der römischen Campagna erinnernd, schon manchen Maler begeistert und unter dem Pinsel eines Zwengauer und Morgenstern ihre künstlerische Verherrlichung gefunden haben. Als Grenze blickt von links her in blauer Ferne der Schluß der Bergkette des bairischen Hochlandes mit dem Herzogenstand, dem Heimgarten und der scharf abfallenden Zugspitze, die in’s Land hinaus ragt, wie der leergelassene Thronsessel eines Riesen, den die niedrigern Algäuer Berge wie dienende Vasallen umdrängen; zur rechten Seite zieht abschließend eine anmuthige Hügelkette dahin, auf welcher dunkle Tannenwälder mit braunen Ackerstreifen und grauen Wiesflecken wechseln, und bald ein freundliches Dorf mit stattlicher Kirche und Sattelthurm das heitere Leben der Gegenwart verkündet, bald das Schloß der alten Grafen von Dachau oder das ehrwürdige Stift von Weihenstephan von vergangenen Jahrhunderten und ihrer Herrlichkeit erzählen.

Auf dieser Höhe, zu deren Füßen sich die braune Amper aus dem weiten glänzenden Silberbecken des Ammersees heranschlängelt, ist wieder schönes fruchtbares Land, und während unten die Moosbäuerlein mit ihrem kleinen Vieh und ihren unscheinbaren Pferden mühsam um dem kargen Boden und der sauren Weide um ein kümmerliches Leben ringen, hat eine Stunde weiter der Wohlstand seinen behäbigen Wohnsitz aufgeschlagen. In leichten angenehmen Hügelwellen zieht reiches Fruchtland sich bis gegen Friedberg hin, mit zahllosen Dörfern, Hofmarken und Märkten, mit ergiebigem Boden, saftigen Wiesen und stattlichen schützenden Tannenwäldern, mit kleinen Flüßchen und Bächen dazwischen, so erquickend und mild, als die Luft, die darüber heimisch ist. Eine Eigenthümlichkeit der Gegend sind die vielen Einzelhöfe, eine Erinnerung, daß wir uns auf dem Boden echt germanischer Ansiedlung befinden, denn der Bajuvare liebte es, sich einzeln anzubauen und sein Gehöfte an einen möglichst freien und beherrschenden Punkt zu stellen.

Auf einer dieser Einöden begab sich die Geschichte, die wir erzählen; möge aber darum Niemand nach ihren örtlichen Spuren suchen, es würde vergebens sein, denn ein Theil der mithandelnden Personen lebt vielleicht noch, und dies gebot uns, die Spuren zu verwischen und zu verwirren: Niemand wird und soll unterscheiden können, was davon in’s Bereich der Dichtung gehört; daß sie wahr sei, wird nur derjenige bezweifeln, der das Volk nicht kennt, und über der idyllisch heitern Seite des Bauernlebens vergißt, daß hart daneben auch Abgründe liegen, wie kein städtisch verfeinertes Treiben sie schauriger und finsterer zeigt. Der Kern des Bauernthums ist unverdorbene Kraft: es ist nur natürlich, wenn sie nicht blos zum Guten drängt, sondern auch in maßloser Leidenschaft ausbricht – zumal im Flachlande, wo Luft und Lebensweise beitragen, das Blut minder leicht fließen zu machen, als in den Bergen des Hochlandes.

Auf grasigem Hügelabhang, mit der Giebelspitze gegen Sonnenaufgang gewendet, liegt der Stürzerhof, ein stattliches Bauerngut in Mitte einer mächtigen breiten Ackerflur, die nach allen Seiten von dunklem Tannenwalde bekränzt wird. Der Umkreis ist nicht groß; keine Fernsicht reicht über den Waldgürtel hinaus, und auch innerhalb desselben bietet sich dem Auge keine andere Abwechselung, als die leichten Hebungen und Senkungen des Geländes, als die sich in Braun, Gelb und Grün abstufenden Farben der Ackerstreifen. Das war besonders bei Beginn der Erzählung der Fall, denn der Wind wehte schon lange über die Stoppeln und über die grünen Schöpfe der Halmrüben, und der erste Sonntag im October ging in prachtvoller goldener Abendbeleuchtung zu Ende. Im Wiederscheine desselben stand der Stürzerhof mit seinen weißen Mauern wie ein Schlößchen da, an welches sich zur einen Seite ein langgestreckter Baumgarten schmiegte, während gegenüber der Wald eine grüne Spitze den Hügel herab vorschob und den natürlichen Park des Schloßherrn zu bilden schien. Zwischen der Spitze und dem Hofe stand auf grüner Wiesenfläche eine mächtige, dichtbelaubte Eiche, vor ihr ein über den Baum hinaus ragendes, roth angestrichenes Kreuz mit drei Armen – ein sogenanntes Schauerkreuz, dem man die Kraft zuschreibt, den Hagelschlag von der Flur abzuwenden, die es überschaut.

Beim Nähertreten verlor sich das gute Aussehen des Hofes beträchtlich, denn da war nicht zu verkennen, daß ein Theil desselben etwas verkommen aussah und das Eine sich nicht zum Andern

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 625. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_625.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)