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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

Ihr Gedächtniß. Sehen Sie, ich gestehe Ihnen ganz aufrichtig, daß ich sogar die Ursache jenes Scherzes vergessen habe …“

„Sie lügen!“ Sie hatte diese Worte mit einem sonderbaren, unbedachten Tone herausgestoßen, welcher mit ihrem fröhlichen Air im Widerspruche stand – und ihre Augenbrauen hatten sich unmerklich zusammen gezogen. „Sie lügen!“

Sein helles Auge hielt den Blick des ihrigen aus, und seine ruhige Hand strich über die Spitzen seines Schnurbärtchens. Es lag so viel naives Erstaunen in seinem Blicke, daß sie selbst über den Ton ihrer Stimme erschrak, nachdem derselbe schon längst verhallt war.

„Sie haben Recht, Graf, ich bin kindisch,“ sagte sie mit ihrem alten Lächeln. „Wenn Sie je mein Feind waren, so muß der Grund jedenfalls sehr geringfügig gewesen sein, da wir uns gegenseitig nicht attakirt haben. A propos, haben Sie sich während Ihres Hierseins schon verliebt, Philipp?“ Sie hatte diese Frage in demselben leichten Tone gethan wie die letzten Worte – gleichsam ohne zwischen beiden Sätzen einen Punkt zu markiren. Und doch machten diese wenigen Worte die Lippen des Grafen zucken, und er beobachtete sie mit seinem scharfen Auge, wie sie ihn mit dem ihrigen beobachtete, – zwei Gegner, welche die gegenseitigen Kräfte messen. Aber dieses stumme Beobachten währte kaum zwei Minuten, und die Antwort der Frage erfolgte schon, als noch der Ton derselben in der Luft vibrirte.

„Verliebt? Parbleu! Wenigstens schon ein Dutzendmal!“ lachte er, indem er sein fröhliches, unbefangenes Gesicht dem vollen Lichte der Lampe zuwendete.

Sie biß sich auf die Lippen. „Ich meine nicht verliebt, wie Sie verliebt zu sein pflegen, Graf. Ich meine, ob Sie Jemanden lieben – lieben aus Liebe, Philipp. Sie verstehen wohl?“

Er zog seine Augenbrauen lustig in die Höhe, so daß ihr Bild, wie sie vor ihm halb kniete, halb saß, in seinen Augen wie in einem Spiegel zu leben schien.

„Lieben!“ rief er. „Ah, Gräfin, wollen Sie mich beleidigen? Lieben! Der Graf von Königsmark lieben! Und wen denn, um’s Himmelswillen? Mariette oder Nanette? Oder eine der steifen Halskrausen unseres Hofes, aus deren Falten ein geschminktes Heiligengesicht hervorragt, wie eine abgelegene Wachskerze? Oder würden Sie mir vielleicht die Tochter Ihres Portiers recommandiren, Gräfin? In diesem Falle –“

Sie unterbrach ihn, indem sie ihre weiße Hand auf seine Lippen legte. „Sie lieben also nicht, Philipp? Gewiß nicht?“

„Nein.“

Und wie er sich zu ihr herabneigte, näherte sie ihr lächelndes Gesicht dem seinigen, so daß der Hauch ihres Mundes ihn fühlbar umfächelte. „Das ist gut!“ flüsterte sie halb für sich.

Aus Philipp’s Augen schoß ein unruhiger Blitz. „Gut? – Oime! wie Herr von Mazarin sagt, ich glaube wohl, daß es gut ist! Aber weshalb?“

„Sagen Sie doch, Philipp!“ – und sie schien jedes ihrer Worte zu küssen, wie sie sprach, – „ist Ihr Gedächtniß im Allgemeinen so schwach, wie es in dem besondern Falle unserer Feindschaft ist?“

„Ich denke nicht.“

„Dann erinnern Sie sich auch noch an unser letztes Gespräch, nicht wahr?“

„Vollkommen.“

Es war beinahe eine ganz andere Frau, welche da vor ihm kniete, welche seine beiden Hände gefaßt hielt und welche hastig und eilig fortfuhr: „Nun denn, seit jenem Gespräche bringe ich Deine hübschen Augen da nicht mehr aus dem Sinn – und ich muß so oft an jene tolle Zeit unserer ersten Liebe denken, daß ich Herzklopfen bekomme, so oft ich den Prinzen küssen soll! Du begreifst wohl, Philipp, wenn eine Frau wie ich solche Sachen spricht, muß sie wahrhaft lieben – und ich liebe Dich, Philipp!“

„Gräfin!“

Sie steht hochaufgerichtet, beinahe drohend vor ihm. Ihre schwarzen Augen sprühen, ihre Hände krallen sich in den Stoff ihres Kleides ein, und Etwas wie ein trotziger Fluch zittert um ihre Lippen.

„Ich liebe Dich, Philipp, oder ich hasse Dich. Ich weiß selbst nicht, wie ich es nennen soll, was mich so quält und was mich solchen Unsinn sprechen läßt. Ich hasse Dich, weil ich mich vor Dir beugen muß, Philipp – ich hasse Dich, weil Du der einzige Mann bist, der mich zum schwachen Weibe macht – ich hasse Dich, weil ich Dich anbete, Philipp! O, was habe ich nicht Alles versucht, um diese wahnsinnige Liebe zu unterdrücken, aber es war umsonst. Man glaubt sich stark, man glaubt sich erhaben über die Lächerlichkeiten der Welt, aber es kommt immer ein Augenblick, siehst Du, wo das Weib ein Weib wird, und dann giebt es keinen Stolz mehr – Alles ist vergessen, und man kann nur sagen: Ich liebe Dich, willst Du mich? Philipp, Philipp, aber so antworte doch!“

Er hat sich erhoben. Ein wilder Stolz zittert in der gehobenen Brust, und seine Stimme ist klingend, wie er spricht: „Der Gräfin von Platen kann ich auf diese Frage keine Antwort geben!“

Eine glühende Röthe jagt in ihr Gesicht hinauf. Sie beißt die Zähne zusammen und schließt die Augen. Es ist, als zersprenge ein mächtiger Schrei die Pforten ihrer Brust und als bäume sich ihr Stolz, denselben frei zu geben. Jetzt öffnet sie die Augen wieder und lächelt. Aber es ist ein gräßliches Lächeln.

„Wer spricht hier von einer Gräfin von Platen?“ flüstert sie, und ihre Stimme ist heiser, als ob jener Schrei sich wirklich ihrer Brust entrungen hätte. „Es ist ein lustiger, guter Camerad, der Dich um Bescheid fragt, Philipp. Kannst Du die Gräfin nicht lieben? Willst Du sie nicht lieben, wenn sie sich Dir zu eigen giebt mit ihrer ganzen Seele – Dir allein?“

Philipp erhebt sich. Es ist ein grausames Etwas in seinen Zügen ausgedrückt. Es ist Etwas von dem alten Königsmark, von dem blasirten Wüstlinge an ihm, den er für immer von sich geworfen zu haben meinte; und er jubelt im Innersten seines Herzens und in seiner heiligen Liebe für Sophie, daß er das Weib bezwungen hat, welches ihre Feindin ist.

„Nein!“ sagte er mit klingender Stimme. „Nein, Camerad. Die Gräfin von Platen ist die Geliebte des Prinzen Georg – und ich bin nicht reich genug, um einen Souverain im Preise zu überbieten.“

Wie ein Blitz zuckte es durch die ganze Gestalt der Gräfin, und hochroth fuhr es über ihr wüthendes Gesicht. Dann trat eine Leichenblässe an die Stelle der Gluth, und sie wandte sich um und schritt rasch nach der Thüre. Auf der Schwelle blieb sie stehen und wandte sich um. Ehe sich’s Philipp versah, stand sie wieder dicht vor ihm – und ihre zitternde Stimme klang wie eine Stimme aus seinem eigenen Innern, so nahe war ihr Antlitz dem seinigen.

„Philipp!“ keuchte sie, „Philipp, nimm diese niederträchtigen Worte zurück. Ich flehe Dich an, sage mir nur ein einziges freundliches Wort, schenke mir nur einen einzigen freundlichen Blick! Ich liebe Dich, und darum werde ich Dir verzeihen – Du weißt nicht, wie ernst diese Stunde ist – Ein Wort, Philipp, ein einziges freundliches Wort der Versöhnung – Philipp, um Deiner selbst willen, laß mich nicht so von Dir gehen!“

Aber er blieb stumm und lauschte auf die Schläge der nahen Thurmuhr, welche dröhnend die elfte Stunde verkündete. Sie stieß einen tiefen Seufzer aus und ließ ihre Arme sinken. Es war Etwas in ihr gestorben. Dann schritt sie, ohne ein Wort zu sprechen oder sich umzusehen, zur Thüre hinaus.



11. Eine Schäferstunde.

Der Graf von Königsmark durchschritt, in einen weiten, faltenreichen Mantel gehüllt, den Corridor des nördlichen Flügels, welcher um diese Zeit stets schon verlassen und einsam war. Selbst die Wache vor dem Cabinete der Prinzessin war heute nicht auf ihrem Posten. Keine Lampe erhellte die Gänge, denn am Himmel strahlte der Mond in vollster Klarheit und strömte sein hellstes Licht auf die schlummernde Erde. Eine herrliche Sommernacht strömte ihre würzigsten Düfte durch die geöffneten Fenster, eine säuselnde Brise spielte in den Blättern der Bäume wie der Athem des schlafenden Tages, und das Wasser der Springbrunnen rauschte und plätscherte in der Ferne. Aber der Duft hauchte ihm nicht zu: Kehr’ um! und der Nachtwind säuselte nicht: Kehr’ um! und die Wasser murmelten nicht: Kehr’ um! – Wind und Wasser haben keine Sprache, die den Menschen verständlich wäre, und sein eigenes Herz war voll von Liebessehnsucht und Hoffnung.

Als er an die Thüre pochte, welche in das Vorzimmer der Prinzessin führte, hieß ihn keine Stimme eintreten und kein Diener öffnete ihm. Endlich drückte er an die Klinke und trat ein. Das Vorzimmer war dunkel – und nur ein Lichtstrahl, welcher aus der gegenüberliegenden Thüre fiel, zeigte ihm, daß es leer war. Er

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