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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

Album der Poesien.
Nr. 19.[1]


Ich lausche an der Thür hinein,
Im Hause ist es todtenstill;
O Mütterlein, lieb Mütterlein,
Du wirst gesunden, wenn Gott es will!

5
Du hast geduldet zwanzig Jahr,

Und sagtest nichts und klagtest nichts,
Dein Herz, das so voll Liebe war,
Vielleicht zu dieser Stunde bricht’s!

Und wär’s, und trüg’ man Dich hinaus,

10
Das Einzigletzte, was mich hält,

Dann scheid’ ich arm vom Vaterhaus,
Ein Fremdling, in die weite Welt!

O still! Das klang von Deinem Mund!
Ein Aechzen war’s, so schmerzlich tief,

15
So aus der Mutterseele Grund,

Das bebend meinen Namen rief!

Ich lausche ohne Laut hinein,
Es regt sich, flüstert, geschwind! geschwind!
Du lebst, Du lächelst, mein Mütterlein!

20
Ich bin so selig, – ich bin Dein Kind.


 K.


0

  1. Originalzeichnung von Sonderland in Düsseldorf.




Erinnerungen an Wilhelmine Schröder-Devrient.
Von Claire von Glümer.
XIV.

Den Frühling und Sommer hatte Wilhelmine der Pflege ihrer tieferschütterten Gesundheit gewidmet, im Herbst kam sie nach Dresden, heiter, hoffnungsvoll und scheinbar genesen. Sie sang, wie schon erzählt, in mehrern Concerten, und die enthusiastische Aufnahme, die ihr zu Theil wurde, bestärkte sie in dem Entschlusse, die Künstlerlaufbahn, die sie vor zehn Jahren verlassen hatte, auf’s Neue zu betreten. Es wäre dies, nach so langer Pause, selbst wenn sie sich noch ihrer vollen Kraft erfreut hätte, ein sehr gewagtes Unternehmen gewesen; für die dreiundfunfzigjährige, durch die heftigsten Stürme erschütterte Frau war es geradezu unmöglich. Aber vergebens suchten ihre Freunde sie davon zu überzeugen. Gewöhnlich ließ sie den Widersprechenden gar nicht ausreden, sondern vertiefte sich, sobald das Gespräch diese Wendung nahm, in die Erinnerung der Qualen, die sie während der zehnjährigen Unthätigkeit erduldet hatte.

„Ich kann es nicht länger ertragen, ich kann es nicht!“ rief sie dann in dem leidenschaftlichen Tone, der jedes Herz bezwang. „O, hättet Ihr es gesehen, wie ich oft stundenlang auf meinem Sopha gelegen habe, die Augen zur Decke gewendet, mich zwingend – um nur nicht zu denken – die sich durchkreuzenden Streifen der Tapete am Plafond zu zählen und die Nägel, womit sie befestigt war. Wie im Wahnsinn hat es mich oft gepackt – ich mußte zählen, zählen, zählen, bis in die Millionen hinein. Zu andern Zeiten dagegen war’s, als ob sich die schwarzen Streifen und Punkte dehnten und streckten; sie tanzten auf und ab – die Decke schien sich niederzusenken, um mich zu erdrücken. Dann sprang ich auf und lief hin und her – schneller, immer schneller, um die Unruhe in mir, das Drängen und Fluthen zu übertäuben. Aber es war umsonst, und endlich hielt ich es nicht mehr aus in dem kleinen, niedrigen Zimmer; war mir doch Zeit meines Lebens das Himmelsgewölbe noch zu eng. – Wenn es Sturm und Schnee nur irgend erlaubten, rief ich die Hunde, steckte mir ein kleines Beil in den Gürtel und ging in den Wald – da habe ich Bäume gefällt, um nur irgend etwas zu thun.“

Bei diesen Erinnerungen weinte Wilhelmine, wie ich nur sie habe weinen sehen, so daß die dicken hellen Tropfen im vollen Sinn des Wortes über ihre Wangen strömten. Auch uns kamen, beim Anblick ihres Schmerzes, Thränen in’s Auge, und wir verließen sie gewöhnlich, ohne ihr auch nur den zehnten Theil von dem gesagt zu haben, was zu sagen wir uns vorgenommen hatten.

Am 6. Decbr. kamen wir frühmorgens zu ihr, um sie zum

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 549. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_549.jpg&oldid=- (Version vom 18.1.2020)