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ihm seine vorläufige Entfernung ohne jeden Aufenthalt ermöglichte, und faßte mit einem Drucke des Tischlers Arm, daß dieser in die Höhe zuckte. „Heinrich, kannst Du Dir wohl denken, was aus dem Allem entstehen könnte?“ fragte er im Durchbrechen seines innerlichen Glücks. Der Gefährte hielt seinen Schritt an und sah rasch mit einem gespannten, fragenden Blicke auf; Jener nickte ihm nur mit einem strahlenden Auge zu und zog ihn rasch weiter. „Jetzt komm und packe meinen Koffer, während ich mich nach Graham’s Sachwalter erkundige,“ sagte er, „in einer Stunde aber sollst Du hören, was jetzt noch über mir selbst wie ein Traum, wie eine halbe Unmöglichkeit liegt.“




10. Herzens Prüfung – Rückkehr – Schluß.

„Nun, lieber Meßner, um auf ein bestimmtes Thema zu kommen – es ist morgen Weihnachtsabend, von dem ich mir so manche kleine Genugthuung versprochen – wie steht Ihre Angelegenheit? Ich habe mich auf Ihren Wunsch nun seit sechs Wochen jedes Einflusses auf das Frauen-Departement enthalten; haben Sie selbst etwas erreicht, oder sind Sie zu der Ueberzeugung gelangt, daß im Familien-Regimente Duldsamkeit die schlechteste Politik ist?“

Es war in dem wohldurchwärmten Arbeits-Cabinete des Geheimraths Zedwitz, wo dieser im bequemen Sorgenstuhle, von dem gedämpften Lichte der großen Lampe ans dem Mitteltische beschienen, ruhte, während der Schuldirector ihm gegenüber einen Sitz eingenommen hatte und bei der plötzlichen Frage, welche ein allgemeines Gespräch abgeschnitten, mit dem Ausdrucke einer leichten Unruhe aufsah.

„Sie wissen, Herr Geheimrath,“ begann er zögernd, „daß es mein höchster Wunsch ist, Ihnen einmal als Sohn nahe zu stehen, ich darf Ihnen auch sagen, daß ich seit Kurzem die feste Zuversicht habe, dieses Ziel und damit ein volles Glück für mich zu erreichen; ich möchte Sie aber von ganzem Herzen bitten, lassen Sie jedes Gemüth seinen ihm eigenthümlichen Weg gehen. Es mag sich dabei vielleicht Manches anders ordnen, als Sie es in Ihrem Geiste vorgezeichnet haben; aber wenn es sich nur zum Rechten gestaltet, wenn nur Ihrer Kinder Glück, das ja doch nur der letzte Endzweck Ihrer Sorge und selbst Ihrer Strenge ist, dadurch erreicht wird, so darf Ihnen ja auch der verschiedene Weg recht sein, und ich weiß, daß Sie eine zehnfache Liebe sich damit erwerben müssen. – Geben Sie mir einmal das Recht, Herr Geheimrath, mich so freimüthig gegen Sie auszusprechen, wie es meine Verehrung und aufrichtige Ergebenheit für Sie und Ihre Familie fordern!“ fuhr er angeregt fort. „Es sind sechs Wochen verstrichen, seit ich mich zu dem offenen Geständniß ermuthigte, daß ich mein Sohnesrecht in Ihrem Hause nie in Folge eines ausgeübten Zwanges erlangen möchte, daß Sie mich mit dem Versprechen glücklich machten, ein weiteres, sofortiges Vorangehen in meiner Angelegenheit einzustellen. Trotzdem ist keine Freude in den Familiencirkel gekommen, und die eingetretene Ruhe scheint die Gemüther nur noch mißtrauischer und ängstlicher besorgt um das, was sich daraus entwickeln werde, gemacht zu haben. Morgen ist nun Weihnachtsabend, und wenn ich meinem Blicke trauen darf, wird er unter der jetzigen Stimmung kaum ein freudiger werden. Es ist noch dazu, wie ich durch ein Wort errathen habe, der erste, an welchem der Sohn und Bruder im Familienkreise fehlt. Und dennoch, Herr Geheimrath, würde ein einziges freundliches Wort, das einmal das Herz des Vaters ohne Hülle zeigte, das wenigstens von den Gemüthern die Sorge vor einem gefürchteten Machtspruche nähme, die meine Erscheinung immer von Neuem wecken muß, den Abend so hell machen. Sie sehen, Herr Geheimrath, daß ich jetzt schon lieber Ihr Zimmer aufsuche, als den stillen Blicken, die mich im Zimmer der Großmama treffen, begegne, und morgen möchte ich am wenigsten die Schuld auf mich laden, den Damen durch meine Anwesenheit den Abend zu verderben –“

Zedwitz hatte sich langsam gerade aufgesetzt. „Und bei alledem sagen Sie, daß Sie zuversichtlich hoffen, als Sohn in meine Familie einzutreten?“

„Und ohne einem Herzen damit Zwang anzuthun – wenn auch vielleicht in anderer Weise, als der von Ihnen beabsichtigten, Herr Geheimrath,“ erwiderte Meßner, während seine Wangen sich leicht rötheten. „Wenn ich einiges Vertrauen bei Ihnen genieße,“ fuhr er lebendiger fort, „so lassen Sie mir freie Hand, mein Ziel zu erringen, und sagen der Großmama zwei Worte, daß Sie das einfache Naturrecht jeder Frau, sich zu versagen, auch in Ihrer Familie nicht durch die väterliche Autorität antasten wollen. O, glauben Sie mir doch, Herr Geheimrath,“ setzte er erregt hinzu, als sich eine tiefe Furche zwischen den Augenbrauen des alten Beamten bildete, „daß jede strenge Tugend, jede starre Ueberzeugung in der Ausführung ihrer äußersten Consequenzen zum Unrecht werden kann, und glauben Sie doch auch, daß ein Herz, das niemals die Milde kennen will, auf das beste Glück verzichtet, daß es die treuste Liebe von sich stößt und zuletzt immer einsam in sich selbst versteinern muß. Es ist morgen Weihnachtsabend – denken Sie um unser Aller Glück daran, Herr Geheimrath!“

Der Alte sah den vor ihm Sitzenden mit immer starrer werdendem Blicke an, und auf seiner Stirne bewegte es sich, wie das Kommen und Gehen schwerer Gedanken. Langsam erhob er sich und durchschritt zweimal das Zimmer. Dann blieb er in kurzer Entfernung von dem Sitzenden stehen. „Ich habe immer geglaubt, lieber Freund, wir verständen uns, aber es ist nicht so!“ sagte er mit eigenthümlich ruhiger Stimme. „Ihnen habe ich, so viel mir bewußt ist, noch niemals ein so hartes Herz gezeigt –“

„Herr Geheimrath, eben weil ich den ganzen Reichthum von Wohlwollen, der in Ihnen lebt, kenne,“ unterbrach ihn Meßner, von seinem Stuhle aufspringend, mit bittender Stimme; aber Zedwitz wies mit einem Handwinke seine weiteren Worte zurück.

„– und wo man mich hart hätte nennen können,“ fuhr der Letztere ungestört fort, „habe ich nur Grundsätze festgehalten, die ich ein für allemal zu den Leitern meines Handelns gemacht. Wer aber unter dieser Consequenz, die ein Mann seiner Selbstachtung schuldet, oft mehr gelitten hat, ob ich selbst, den sie hart nennen, oder diejenigen, welche leichtsinnig mit meinen Ueberzeugungen glaubten spielen zu können, wäre erst noch zu entscheiden. – Da ist ein Fall, der tief in unser ganzes Familienleben eingeschnitten hat,“ fuhr er mit verfinstertem Gesichte fort, „der Sie vielleicht belehren kann. Er ist in der letzten Zeit aus seinem Grabe geholt und mir vor die Augen gehalten worden; die das aber gethan, wußten nicht, daß sie damit auch den ganzen beendeten Kampf eines Mannes gegen seine eigene Schwäche, die errungene Gewissensruhe und Klarheit mit sich selbst, aufriefen und ihn in seinen Ueberzeugungen nur kräftigten. Sie werden die trübe Geschichte jedenfalls zu hören bekommen, wenn es sich einmal um meine Charakteristik handeln sollte,“ sprach er mit einem Anfluge von Bitterkeit weiter, „und so gebe ich sie Ihnen lieber selbst in correcter Fassung.“

Er nahm langsam wieder in seinem Armstuhle Platz und drückte, während sich Meßner mit dem Ausdrucke vollen Interesses gleichfalls niederließ, eine kurze Weile die Hand vor die Augen.

„Ich hatte die Dreißig schon zur Hälfte überschritten, als ich den ersten bestimmten Schritt zur Gründung einer Familie that,“ begann er dann, vor sich niederblickend, „ich war ernst, hatte mich ebenso an strenge Pflichterfüllung meinerseits gewöhnt, wie ich sie von Andern fordern mußte, und mochte so für Frauen wenig Anziehendes besitzen. Aber ich wußte, daß die Hand, die ich meinem künftigen Weibe bieten würde, eine feste und zuverlässige war. Ich hatte eine junge Dame aus guter Familie kennen gelernt, ich warb um sie, aber gab mich ihr völlig offen mit den Ansprüchen, die ich an meine Lebensgefährtin glaubte machen zu müssen, und trotz verschiedener Mitbewerber erhielt ich den Vorzug ohne großen Kampf. Ich ahnte wohl, daß meine Stellung und Zukunft ihr bedeutendes Gewicht bei der Entscheidung in die Schale geworfen, aber ich war dennoch glücklich; wußte ich doch, daß eine gegenseitige fest begründete Achtung eine sicherere Garantie für ein dauerndes Glück bietet, als jene Liebe in jungen Herzen, die sich ihrer selbst noch nicht einmal klar sind, und glaubte ich doch bei meinem jungen Weibe auf ein unverrückbares Halten an dem, was Ehre und Gewissen geboten, rechnen zu dürfen.“ Der Sprechende machte eine kurze Pause und fuhr dann nach einem raschen Athemzuge fort: „Da fiel mir nach den ersten beiden Jahren unserer Verheirathung zufällig ein kürzlich angekommener Brief an meine Frau in die Hand – er war von einem ihrer früheren Bewerber, welcher ohne meine eigene Werbung wohl ihre Wahl gewesen sein würde. Ich hatte nur die ersten zwei Zeilen gelesen und gab ihr den Fund mit der ruhigen Bitte zurück, derartige Briefe um ihrer und meiner Ehre willen nicht wieder anzunehmen; aber ich fühlte damals zuerst, daß ich mehr an dieser Frau hing, als ich es meiner Weise zu empfinden selbst zugetraut. Jahre vergingen indessen, ehe mich zum zweiten Male dieselben Schriftzüge aus meiner wieder erlangten

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