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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

mit meinem Principal haben, Heinrich, werde dann sein Geschäft verlassen und auch jedenfalls die Stadt aufgeben, da mir hier doch kaum eine andere Aussicht, als Barkeeper oder Hausknecht zu werden, bliebe. – Nachher erkläre ich Dir Alles,“ beantwortete er ein erschrockenes Aufsehen des Tischlers, „höre jetzt nur weiter. Vor dieser Katastrophe nun hätte ich gern mit Mrs. Graham ein Gespräch unter vier Augen, mochte aber sicher sein, daß ich ihren Mann nicht im Hause treffe und daß sie sich nicht aus irgend einem Grunde vor mir verleugnen läßt. Kannst Du mir hierzu einen Weg angeben, da Du so bekannt mit den Verhältnissen im Hause bist?“

Aus Heinrich’s Gesicht war nach der letzten Wendung der Rede der Ausdruck von Besorgniß schon wieder geschwunden, und nach einem schlauen Aufblick gegen den Freund begann er nachdenklich seine Nase zu reiben. „Ich denke, die Sache kann gemacht werden,“ erwiderte er nach einer Weile bedächtig. „Du gehst mit mir nach Dunkelwerden durch die Hinterthür, und ich will schon sorgen, daß wir erfahren, ob der Comptroller im Winde ist. Dann wartest Du, bis die Mistreß nach dem Parlor geht, wie sie es stets nach dem Abendessen thut, und ich richte es ein, daß Dich die Mulattin ohne Weiteres hinauf bringt; wo es etwas Heimliches gegen ihren neuen Herrn gilt, ist sie ohnedies stets bei der Hand!“

Hugo blickte eine Secunde lang überlegend vor sich nieder und nickte dann entschlossen. „Also um sechs Uhr treffen wir uns hier am Hause!“ sagte er, dem Freunde die Hand reichend.

„Um sechs Uhr hier am Hause!“ wiederholte dieser; „jetzt aber stecke mir ein Licht auf, damit ich mir in meiner Dunkelheit nicht lauter Gespenster vermale!“ – –

Zwei Stunden später ritt Hugo die Höhe nach Winter’s Farmhause hinauf. Er fühlte, daß er nicht ganz ohne Abschied von Carry gehen durfte, die vom ersten Augenblicke seiner Ankunft an ihn mit der ganzen Freundlichkeit ihres Wesens umsponnen hatte; und wenn er auch wußte, daß er nie eine tiefere Empfindung für sie hätte hegen können, wenn er auch um des Mädchens willen froh war, daß die plötzliche Nothwendigkeit des Scheidens seinem Zögern ein Ende machte, so konnte er sich doch bei dem Gedanken an ihr frisches, lächelndes Gesicht, au ihr großes, lebendiges Auge kaum eines leichten Wehgefühls erwehren.

Als er die Treppe nach der Vorhalle hinaufschritt, trat sie ihm, wie von einem innern Glücke strahlend, aus der Vorhalle entgegen. „O, heute werden wir Sie länger hier haben, Mr. Zedwitz,“ rief sie, ihm die kleine runde Hand reichend und ihn nach dem Parlor geleitend. „Vater wird gegen Abend kommen und er hat mir aufgetragen, Sie bis dahin hier zu halten, er muß wohl Wichtiges mit Ihnen zu reden haben!“

Er sah in ihre lebendigen, glücklichen Züge, und es erschien ihm fast wie eine Barbarei, mit dem kalten Worte ihre Illusionen zu durchreißen. Aber er hatte keine Wahl.

„Und dennoch werde ich bald wieder gehen müssen, Miß,“ erwiderte er langsam, ihre Hand in der seinen festhaltend, „ich komme nur, um Abschied zu nehmen – ich verlasse morgen die Stadt!“

Sie blickte ihn an, als verstehe sie ihn nicht. „Abschied nehmen? Verreisen? Davon hat doch Pa nichts gesprochen!“ sagte sie, während ein leichter Farbenwechsel in ihrem Gesicht spielte.

„Er weiß auch noch nichts davon,“ erwiderte er, die Nothwendigkeit erkennend, schnell zum Ziele zu gelangen; „es sind Verhältnisse eingetreten, die mich zwingen, Mr. Winter um meine Entlassung zu bitten, aber ich konnte doch nicht gehen, ohne Ihnen für alle mir erwiesene Freundlichkeit zu danken, Miß Carry!“

Seine Stimme war bewegter geworden, als er selbst gewünscht hatte, und die Frische in ihrem Gesicht wich plötzlich einer völligen Blässe. „Aber das – das ist ja doch unmöglich,“ stammelte sie, während es um ihren weichen Mund zuckte, als dränge sie gewaltsam den Glauben an seine Worte zurück. „Pa sagte ja erst heute noch, daß er Pläne mit Ihnen habe – es kann ja nur ein Mißverständniß sein –“

„Lassen Sie uns den Abschied nicht schwer machen, Miß Carry,“ bat er, ihre Hand drückend, „es muß sein, und so fragen Sie mich auch nicht weiter –“ der Sprechende fühlte sich, den zitternden Augen des Mädchens gegenüber, weich werden und machte eine Bewegung nach seinem Hute zu greifen; sie aber legte plötzlich beide Hände um seinen Arm.

„Sagen Sie mir doch, warum, Mr. Zedwitz, warum?“ rief sie in hörbar durchbrechender Erregung; im nächsten Augenblicke aber wandte sie sich von ihm, als könne sie der hervordringenden Thränen nicht mehr Herr werden.

In dieser Weise konnte er nicht gehen. „Carry,“ sagte er, ihr einen Schritt nachtretend und in dem Bestreben, sie zu beruhigen, seine Hand leicht um ihre Schulter legend; da fiel sie im ausbrechenden Weinen, wie von aller Kraft verlassen, in seine Arme. „Ist es denn unmöglich, daß Sie bleiben – Sie müssen doch erst den Vater sprechen,“ schluchzte sie, „ist es denn ganz unmöglich? “

Hugo, mit der eigenen Weichheit kämpfend, fühlte sich in Verlegenheit, wie die Scene zu enden. „Unmöglich sollte Niemand von der Aenderung eines Entschlusses sagen,“ erwiderte er, um nur ihre Erregung zu dämpfen. „Ich werde morgen früh erst ein Gespräch mit Mr. Winter haben – darum lassen Sie uns aber auch jetzt ruhig scheiden, Miß Carry!“

Sie hob den Kopf und lächelte ihn unter Thränen an. „O, wenn es nur an uns liegt,“ sagte sie, „dann weiß ich, das Sie bleiben!“ Ihr wiederaufblühendes Gesicht, ihre weichen, frischen Lippen blickten ihm verlockend entgegen; er fühlte in diesem Augenblicke, daß es nur an ihm lag, seinem Schicksale eine Wendung zu geben, die äußerlich ihm jede Befriedigung geschaffen haben würde; aber die Erkenntniß der entscheidenden Minute ließ ihn auch rasch die augenblickliche Lockung überwinden. „Good bye denn, Miß Carry,“ sagte er ihre Hand drückend und dann nach seinem Hute greifend; er sah noch, wie sie, ohne seinen Gruß zu erwidern, wie in plötzlich neu erwachter Besorgniß ihm nachblickte; dann aber schloß sich die Thür zwischen ihnen, und der Deutsche eilte mit einem tiefen Athemzuge nach seinem Pferde. Er ritt im scharfen Trabe davon, bis er die Grenze der Besitzung erreicht; dann aber mäßigte er, als wolle er ruhiger seine Gedanken ordnen, den Lauf des Thieres. Wenn er Jessy nicht gekannt, wenn es sich hätte nachweisen lassen, daß Winter ohne Schuld in Graham’s Betrügereien verwickelt worden wäre – „ja wenn!“ rief er halblaut, ohne den Nachsatz zu bilden, und vor dem Gedanken an die jungfräuliche Frau und die Zusammenkunft, welche er sich heute mit ihr zu verschaffen gedachte, schwand jeder Eindruck, welchen die eben durchlebte Scene in ihm hinterlassen. – –

Die Straßen der Stadt zeigten bereits die schnurgeraden Linien der Gasflammen, ohne daß diese im Stande gewesen wären, die eingebrochene Finsterniß mehr als zu einem Halbdunkel zu erhellen, als Hugo in Mangold’s Begleitung einen Theil des aristokratischen Stadtviertels durchschritt und endlich in eine enge und durch starke Breterwände gebildete Seitengasse einbog.

„Jetzt mir nur langsam nach, ich kenne hier jeden Stein und jede Pfütze wie bei Tageslichte!“ sagte der Tischler halblaut und faßte die Hand des Freundes, ihn an einer der Seitenwände entlang leitend; bald aber öffnete er behutsam eine Thür, welche den Einblick in einen mit Backsteinen gepflasterten Hof bot, der zum Theil durch das aus den Fenstern eines großen Hauses fallende Licht beschienen war, und zog Jenen nach sich. „Hier bleibe stehen, bis ich zurückkomme!“ flüsterte er, den Freund nach einer dunkeln Ecke des umschlossenem Raumes führend, „ich werde recognosciren, und Du sollst schnell genug erfahren, wie es steht!“

Er verschwand in dem dunkeln Theile des Hofes, und Hugo erhielt Muße, sowohl das Haus vor sich zu mustern, als sich noch einmal zu wiederholen, was er ihr, die ihn wohl jetzt am wenigsten erwartete, zu sagen gedachte. Er fühlte trotz seines festen Entschlusses sein Herz klopfen, und erst als er nach verhältnißmäßig kurzer Zeit den Tischler leise und hastig zurückkommen hörte, kehrte mit der nahenden Entscheidung auch seine volle Sicherheit wieder.

„Alles ausgezeichnet, und die vielen Umstände wären wohl nicht einmal nothwendig gewesen!“ rief Mangold mit gedämpfter Stimme, noch ehe er völlig heran war. „Die Mulattin kennt Dich ja und scheint wohl auch noch mehr zu wissen – es fehlte nicht viel, so hätte sie Dich gleich selber geholt. Graham wird vor spät Nachts nicht erwartet, also frisch vorwärts!“

Hugo sah sich einem niedrigen, erleuchteten Erdgeschoß zugeführt – er blickte durch den offenen Eingang in die Küche, und fast wollte ihm jetzt dieser Weg in das Haus kaum passend erscheinen; indessen ließ ihm das braune Kammermädchen, das ihm mit einem seltsam leuchtenden Blicke entgegentrat, keine Zeit, einen andern Entschluß zu fassen. „Mistreß ist allein im Parlor, ich werde

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