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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

denen viele Hunderte von schwarz-roth-goldenen Fähnlein herunter grüßten. Springbrunnen und Bosquets verliehen ihm ein heiteres Ansehen. An seiner einen Seite erhob sich die stattliche Festhalle, imposant und zierlich zugleich mit dem Bilde der Germania. An einer andern Seite wieder liefen die Schießstände hin und ihnen gegenüber eine lange Reihe von Läden und Büreaux. Da hatten die einzelnen Comites ihre Sitze aufgeschlagen, da gab es Post- und Telegraphenbüreaux, dazwischen aber auch Cabinets zum Rasiren und Frisiren, Niederlagen aller möglichen kleinen Gegenstände für den täglichen Bedarf, bei denen allen auf irgend eine Weise die Festhalle, der Gabentempel etc. im Bilde angebracht war. Sogar eine Presse befand sich auf dem Festplatz, durch welche die beim Banket gehaltenen Reden nach den Aufzeichnungen der Stenographen gedruckt wurden und so wenige Stunden nachher in Aller Händen waren. Dieselben werden jetzt in Frankfurt von Redacteur J. A. Hammeran in einem Hefte herausgegeben. Da wogte es nun vom frühen Morgen bis zum späten Abend von Tausenden von fröhlichen und begeisterten Menschen. Da war kein Unterschied des Standes und Ranges mehr, und alle einzelne Sorge wurde über der großen und allgemeinen Freude vergessen.

„Seid umschlungen, Millionen!
Diesen Kuß der ganzen Welt!“

das war die Devise, welche uns aus all den tausend freudestrahlenden Gesichtern entgegenleuchtete. Und nun erst am Abend, wenn es anfing, in der Stadt allmählich auszusterben, wenn Jeder und Jeder, der nicht durch Krankheit oder Alter abgehalten war, beflügelten Schrittes hinauseilte auf die heilig-frohe Stätte, wo ein ganzes Volk versammelt war! War das ein Schauspiel für Götter, wenn die feurige Himmelskugel sich nur zögernd von dem Orte wandte, den sie mit ihrem reinsten Glänze übergossen hatte, wenn sie, ein glühender Ball, hinter den blauen Höhen des aus der Ferne schimmernden Taunus niedersank und die Spitzen der Thürme vergoldete, die von des alten und des neuen Reiches vergangener Herrlichkeit singen und sagen – des Domes und der Paulskirche! Allmählich verschwammen sie im Schatten der Nacht, und dann gingen die Sterne auf, die Sterne oben und unten, die Sterne am klaren Himmelszelte und die Sterne auf dem Festplatze und in dem Feenpalaste, der Halle. Da ergoß sich ein flammendes Lichtmeer über den Häuptern der Arm in Arm Dahinwallenden, die sich zum ersten Male im Leben gesehen hatten und doch alle miteinander so vertraut waren, als wären sie nur eine große Familie. Es war ein wunderbares Treiben – ein Märchen aus Tausend und Einer Nacht zu Fleisch und Blut geworden.

Während des Abends in der Halle bei dem Scheine von 5000 Gasflammen sich 10,000 und mehr Menschen an den unzähligen Tischen zusammenfanden, zusammen tranken und sangen, in den Gängen hin und her drängten und im Vereine mit der schmetternden Musik ein Riesenconcert von Tönen aufführten, ging es beim Mittagstische, mit Ausnahme des ersten Bankets, geregelter und gemäßigter zu. Um halb Zwölf wurde die Halle von den Frühstückenden geräumt – um halb Eins begann das Banket. Ohne Banket-Karte durfte Niemand mehr passiren. Der Kanonendonner, welcher den Schluß des Vormittagsschießens kündete, ertönte, und herein strömte es in die Halle. War das eine bunte Tischgesellschaft! Dort die ordonnanzmäßige Schützenjoppe und der mit einem Wall von Trefferkarten und mit Sträußen, Trophäen vom Festzuge, reichgarnirte Hut – wir behielten den Hut natürlich auf dem Kopf –, hier der Bremenser grüne Kittel, dort wieder die Tyrolerjacke in allen Farben, dazwischen der officielle Frack mit der Comiteschleife und – daß wir die schönste Würze des Bankets nicht vergessen – in duftiger Sommertoilette der Damenflor Frankfurts und die auswärtigen Schützenschwestern, Schützencousinen und Schützenfreundinnen. Blumenmädchen, Blumenknaben und Blumengreise wandelten zwischen den Reihen, und wo sie eine Schöne erblickten, da erfolgte ein Sturmangriff auf den männlichen Nachbar und Schützencavalier.

Noch ein internationaler Verkehr ganz eigener Art zwischen Deutschland und der stammverwandten Schweiz war hier in der Halle angebracht: Appenzeller in rothen Westen und blendend weißen Hemden und Appenzellerinnen waren mit der Schweizer Völkerwanderung herübergekommen und boten Alpenrosen feil, wirkliche, echte und frische Alpenrosen und keine von der Blumenmacherin künstlich verfertigte, wie sie die Schweizer Schützen selbst auf ihren Hüten trugen. Vor der Halle stand eine riesige Kiste, der sie ihren Bedarf entnahmen. Eine solche Kiste kam jeden Tag frisch gefüllt aus Appenzell an, und jeden Abend war ihr Inhalt in tausend schönen Händen. Man sieht, die Schweizer verstanden sich so gut auf die industrielle Ausbeutung des Festes, als unsere Landsleute; auch viele Büchsenmacher aus der Schweiz waren da.

Während man sich in der Halle noch rangirte, die Nummer des Tisches aufsuchte, an dem man sich mit seinen Bekannten Stelldichein gegeben hatte – denn das war der einzige Ort und die einzige Gelegenheit, wohin man sich in dem unendlichen Gewühl mit einiger Aussicht auf Erfolg verabreden konnte – während sich also die essende Welt ordnete, war die kochende, anrichtende und servirende in voller Thätigkeit. An den kolossalen Heerden, deren einer 21 große Kessel hatte, stand bereits die von ihren Chefs angeführte Legion der Spülmädchen mit ihren leeren Suppenterrinen zur Entgegennahme ihrer Portionen bereit. Sie marschirten vor den Kochfrauen auf, die mit ihren kolossalen Aufschöpfern in einem Griff eine große Suppenterrine gefüllt hatten, und trugen sie dann auf die Anrichtetische, wo sie von den Aufwärtern in Empfang genommen wurden. Diese, 135 an der Zahl und erkenntlich an den roth und weißen Kappen, die sie trugen, stellten sich jetzt an den Eingängen in Reih und Glied auf und harrten des Zeichens mit der Trompete, das sie zum Vorrücken ermächtigte.

Es ward gegeben, und nun stürmten sie zu den vier Eingängen der Küche heraus, wo vier Wachtposten aufgestellt waren, welche den ersten Angriff überwachten. Man bedenke, daß für 4000 Speisende eingerichtet war, wenn auch durchschnittlich nur 3000 jeden Tag am Banket Theil nahmen. Während die Suppe gegessen wurde, wurden in der Küche das Ochsenfleisch und die Braten in Zuber ausgezogen, die letzteren aus Bratöfen, die für 200 Pfund Fleisch berechnet und deren Pfannen sechs Fuß lang waren. Zwanzig Trancheurs standen nun an ihren Posten zum Vorschneiden bereit, die Besteckmädchen nahmen das tranchirte Fleisch weg und stellten es auf die Tische, von denen es die Kellner abzuholen hatten. Es waren zu jeder Speise ungefähr 300 Platten zu füllen. Waren die Trancheurs und die Gemüsefrauen, die unterdessen auch das Gemüse anzurichten hatten, auf die Hälfte ihrer Arbeit vorgeschritten, so rief die Trompete die Kellner wieder herein für das Auftragen von Fleisch und Kartoffeln.

So trieb das große Räderwerk in der Küche deren sämmtliches Personal (Oberkellner, Sectionschefs, Aufwärter, Küferkellner, Köche, Kochfrauen, Trancheurs, Spülmädchen u. s. w.), aus beiläufig 500 Personen bestehend, rüstig weiter, bis die ganze, aus Suppe, Rindfleisch, Gemüse, Braten und Torte bestehende Riesentafel in bester Ordnung abgewickelt war. Das ging jedoch nicht so rasch, als es bei dieser ganz auf die Massenverhältnisse berechneten Organisation auf den ersten Blick erscheinen möchte. Die Herren Guggenbühl und Hafner waren zwar immer bereit, einen Gang rasch auf den andern folgen zu lassen, nicht so der Trompeter in Schützentracht mit der hochwallenden rothen Feder, der nach jedem Gang auf die Tribüne marschirte und ein weithin schallendes Aufgepaßt! in die summende Menge hinein schmetterte.

Dann folgte ihm ein Herr in einer Lila-Schärpe auf dem Fuße (ein Mitglied des Preßcomités, unter dessen Oberaufsicht die Banket-Beredsamkeit stand) und verkündete mit lauter Stimme einen Namen. Beim letzten Banket war gar manche dieser lauten Stimmen eine heisere geworden, die den Namen des betreffenden Redners mehr krähte, als ausrief. Darauf begab sich der also Ausgerufene auf die Tribüne und sprach nun zum versammelten Volke. Sprach er laut und vernehmlich, sehr laut und sehr vernehmlich, so ließ das Tellergeklapper und Gläsergeklinge nach, und die Leute hörten dem Manne aufmerksam zu, wenigstens so lange, bis er sie langweilte; sprach er aber nicht mit voller, durchdringender Stimme, so war sein Urtheil von vornherein schon gefällt, und wenn er die schönsten Gedanken und die kühnsten Metaphern ausgesprochen hätte. Man ließ ihn reden, applaudirte auch und rief Hoch, wenn er ausgeredet hatte, im Uebrigen aber ließ man sich im Einzelgespräch und in sonstigen geräuschvollen Beschäftigungen nicht stören und tröstete sich über den Verlust einer Rede im Hinblick auf die emsig schaffenden Stenographen, welche jedes Wörtlein, das da von der dicht über ihrem Sitze angebrachten Tribüne auf ihre Häupter herabfiel, auffingen und zur Kunde der Mit- und Nachwelt brachten. Die Zahl der Redner war unabsehbar. Obgleich sich gerade in den Tischreden der eigentlich geistige Gehalt der Feier, der ernste politische Hintergrund derselben und die Tendenzen,

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