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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

vom Feste zu berichten, von einem Feste, auf dem alle Seiten des deutschen Volkscharakters wieder so recht hervorgetreten sind, seine großen Eigenschaften sowohl, seine Liebe zum Vaterland, seine Herzlichkeit und Gemüthlichkeit, wie seine Schwächen, seine Ueberschwänglichkeit, sein „Idealismus“, seine Neigung, das Erstrebte mit dem Erreichten zu verwechseln oder vielmehr in der Kraft der Begeisterung es mit vorahnendem Auge als erreicht zu schauen.

Von ganz unberechenbarem Einfluß müssen solche Feste auch auf die heranwachsende Jugend sein. Sie gewöhnt sich daran das als selbstverständlich zu betrachten, was uns so unendlich viel Mühe und Kampf gekostet hat.

Und damit wir bei unserem Rückblicke auf die verschiedenen Eindrücke, welche das Fest hinterlassen hat, nicht eines ganz wesentlichen Momentes vergessen, so sei hier schließlich noch seiner Verherrlichung durch die Anwesenheit des Herzogs Ernst gedacht. Ein Fürst, der sich mitten im Volke als ein Theil des Volkes bewegt, der seine Zeit und ihre Forderungen so vollkommen begriffen hat, ja ihr so vorausgeeilt ist, der so selbstthätig fördernd in die große nationale Bewegung eingreift, das ist eine Erscheinung, wie wir sie in Deutschland nicht alle Tage vor Augen haben.

Dem Leben während des weiteren Verlaufs des Festes können wir nun nicht mehr in seinen einzelnen Aeußerungen folgen. Es concentrirte sich auf die Schießhütte, die Festhalle und den Festplatz.

Werfen wir zunächst einen Blick auf die in der Schießhütte entwickelte Thätigkeit. Hier wurde an 100 Scheiben (70 auf eine Entfernung von 175 Meter, 30 auf eine Entfernung von 300 Meter) von Morgens früh 6 Uhr bis Abends 8 Uhr, mit einer Unterbrechung von 11/2 Stunde während des Mittagsessens, ununterbrochen geschossen. Auf jede Stunde kamen 6000–7000 Schüsse. Nur auf 10 Scheiben wurde aufgelegt geschossen. Für die Festscheiben waren 7 Stände eingerichtet.

Auf die Festscheiben bis 175 Meter Entfernung (Standfestscheibe) hatte jeder Schütze nur je einen Schuß, auf diejenigen von 300 Meter Entfernung (Feldfestscheibe) je zwei Schüsse. Bei den ersten war die Entfernung vom Mittelpunkt des 30 Centimeter haltenden schwarzen Kreises auf weißer Fläche oder des weißen Kreises auf schwarzer Fläche maßgebend, die Manns- oder Feldscheibe dagegen bildete ein Nummerfeld von 20 Punkten. Die geschossenen Punkte wurden zusammengezählt. Auf den übrigen 78 Ständen durfte Jeder so viel Schüsse (der Schuß zu 10 Kreuzer) thun, als er wollte, d. H. so oft er an den Schuß kam, worüber im Anfang manchmal eine halbe Stunde verging. 58 dieser sogenannten Kehrscheiben waren Standkehrscheiben (deren 8 zum Auflegen) auf 175 Meter Entfernung, 20 Feldkehrscheiben auf 300 Meter. Für die Feldkehrscheiben war das Schwarz, welches Kopf, Hals und Rumpf repräsentirt, in zwei Felder getheilt, sodaß Kopf und Hals und die deren Breite entsprechende, durch senkrechte Linien bezeichnete Fläche des Rumpfes zwei Punkte, das übrige Schwarz einen Punkt zählte. Bei den Standkehrscheiben hielt das Trefferfeld für Freihandschießen 15 Centimeter, für Aufgelegtschießen 71/2 Centimeter im Durchmesser.

Auf den Kehrscheiben sollten gar keine Geldpreise gegeben werden. Wer einen Treffer oder einen Punkt geschossen hatte, erhielt dafür einen Vorweis, den er gegen eine Karte einzutauschen hatte. Für sechs Treffer (beim Auflegen für zehn) und für zwanzig Punkte war ein Festthaler ausgesetzt, für die zweiten sechs, resp. zwanzig ein zweiter Festthaler, für die weiteren 12, resp. vierzig abermals ein Festthaler, für noch weitere 12, resp. 40 ein Becher. Von einem Gewinn konnte auf diesen Scheiben somit keine Rede sein. Um einen Thaler (1 fl. 45 kr.) zu gewinnen, mußte wenigstens ein Gulden, resp. 1 fl. 40 kr. verschossen werden. Trefferkarten und Festthaler zu gewinnen, war deshalb nur als Ehrensache zu betrachten. Auf die Festscheiben „Deutschland“ und „Heimath“ durften nur Mitglieder des deutschen Schützenbundes schießen.

Die Schießhütte war ein 1150 Fuß langes, 50 Fuß breites loses und luftiges Viereck. Jeder Schießstand war 10 Fuß breit, die Ladebänke standen quer durch die ganze Hütte. Vor dem Stand lief, durch die ganze Hütte eine lange Tafel zum Auflegen der Büchsen. Im hinteren Raum der Schießhütte befanden sich auf Estraden die Tische der Secretäre. Auf den Feldscheiben war der Andrang der Schützen viel größer als auf die Standscheiben. Dort lagen anfänglich überall 25-30 Büchsen auf, so daß im glücklichsten Fall in der Stunde nur etwa 4–6 Schüsse möglich waren. In den letzten Tagen des Festes hatte der Zudrang sehr nachgelassen, und man konnte schießen, soviel man wollte. Theils waren viele Schützen schon abgereist, theils hatte manche die Ausdauer, die anfänglich nöthig war, ganz vom Schießen entfernt. Sie fanden bessere Rechnung im Genuß der sonstigen Freuden, die das Fest reichlich bot. Von heldenmüthiger Ausdauer zeigten sich vor Allem die Schweizer Und die Tyroler, die geborenen Schützen. Sie standen vom frühen Morgen bis zum späten Abend und vergaßen darüber Banket und Alles, was um sie her Sehenswerthes und Interessantes vorging. Die Tyroler und die Schweizer leisteten natürlich auch am meisten in der Kunst des Treffens. Es waren etwa 250 der besten Schützen Tyrols, Vorarlbergs und Steiermarks unter der Oberaufsicht von vier Feldkaplänen, welche übrigens auch der edlen Schießkunst mächtig waren, zum großen Schützenfeste gezogen. Bekanntlich hatte die Regierung durch Vermittlung des Erzherzog Statthalters eine Summe von 5000 Gulden ausgesetzt, um auch den Armen die Reise nach Frankfurt am Main zu ermöglichen. Die Tyroler schienen es besonders darauf abgesehen zu haben, sich mit den Schweizern zu messen. Als nun die Schweizer die ersten Becher im Stand und im Feld gewonnen hatten, entstand zwischen ihnen und den Tyrolern, welche letztere hie und da ihrem Unmuth Lauf ließen, ein etwas gereiztes Verhältniß, welches jedoch später, als in der bekannten Schmerzenskind-Affaire Oberst Kurz aus Bern so versöhnend eintrat, eine Wendung zu bester Cameradschaft nahm.

Die Schweizer waren besonders zahlreich aus den Cantonen der östlichen und nördlichen Schweiz erschienen. Was die renommirten Schützencantone Zürich, Glarus und Appenzell, was Basel, Aargau, Luzern, Bern, St. Gallen und Thurgau an guten Schützen besitzt, war ziemlich vollständig auf dem Platz. So groß der Vorsprung jedoch auch ist, den die Schweizer selbst in Berücksichtigung der Zahlenproportion erreicht haben, so erkannten sie doch selbst an, daß die Tyroler dennoch die gefährlichsten Rivalen für sie seien. Daß sie das, was sie auf dem Schießstand geleistet haben, mit solchen, zum Theil sehr schlechten und veralteten Waffen geleistet, ist in den Augen der Kenner das glänzendste Zeugniß für sie.

Eine interessante Episode in der Schießhütte war der Zweikampf des Tyrolers Hochenegger und des Schweizers Knutti, zweier der besten Schützen ihrer Länder. Das Wettschießen hat sich zwar zu Gunsten des Schweizers entschieden, aber ganz besonders in Folge der schweizer Waffe, und Knutti selbst gestand gerne zu, daß sein Rivale um kein Haar schlechter geschossen, als er selbst. Das Ende dieses Zweikampfes war ein recht gemüthlicher Act. Als Knutti am ersten Tage desselben 180, Hochenegger aber nur 106, am zweiten Knutti gar 238 und Hochenegger 191 Nummern geschossen hatte, trat dieser zu Jenem, klopfte dem Gegner auf die Schulter und sagte: „Schweizer, wir woll’n uns nit weiter plog’n; mei Waff’ hält’s nit aus. Du bist der Erst’ und i der Zweit’; aber wenn i Dein’n Stutzen g’habt hätt’, hätt’ i Dir heißer g’macht.“ Nun beschlossen sie, beiderseits aufzuhören und sich mit den errungenen Resultaten zu begnügen. Zum Vergnügen thaten sie noch ein paar Schüsse, wobei Einer dem Andern lud, dann spazierten sie Arm in Arm zum Banket. Die Schweizer, welche den Knutti begleiteten, zogen den Hut ab vor dem flotten Kaiserjäger, und die Tyroler im Gefolg ihres Schützenkönigs wiederholten: „Jo, jo, d’Schweizer sind Schützen, guote Schützen.“

Die Schießordnung – welche, beiläufig gesagt, in der Höhe die Kleinigkeit von 6 Fuß 2 Zoll und in der Breite 2 Fuß 5 Zoll mißt – wies eine Gabensumme aus von 108,390 Gulden. Durch die in Verlauf des Festes noch eingelaufenen Gaben stellte sich diese Summe auf annähernd 150,000 Gulden. Die Hälfte der Einlagen auf den Festscheiben (sie betrug 3 Thaler im Stand für 1 Schuß und ebenso viel im Feld für zwei Schüsse) ward zu Prämien verwandt.

Verlassen wir nun die Stätte der ernsten Thätigkeit, der das Fest seine Entstehung verdankt, und treten im Geiste eine Wanderung über den Festplatz an, über den Platz, der eine Reihe von Tagen der Sammelpunkt der Söhne des Landes war, dessen Sinnbild in seiner Mitte hoch oben auf dem Gabentempel thronte, und über den in Kurzem wieder die Pflugschar gehen wird. Der Festplatz bot ein gar reizendes, buntgestaltetes, nach den verschiedenen Tageszeiten verschiedenes Bild. Ein großes unregelmäßiges Viereck, auf dem sich bequem 20 – 25,000 Menschen bewegen konnten, war er rings von Bretern eingefaßt, von

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 526. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_526.jpg&oldid=- (Version vom 12.9.2022)